Tagebuchnotizen eines „Dosen-Benutzers“
März 1996
Mittwoch
Luzi lag am Fenster zur Straße, das Schützenhaus breitete seinen roten Giebel im Graugrün des Winterendes aus. Schwarzgrüne Bäume reckten ihr Geäst in den Bildrahmen. Theodor Hams stimmte die Mandoline.
Samstag
„Panel“, bemerkte der Dosen-Benutzer. „Ich meine den Bildschirm-Aufbau.” Zwölf-Zoll-Diagonale (Classic), Zwanzig-Zoll-Diagonale (hiesiges Equipment).
„Ich zeige niemandem meinen Piephahn”, sagte der TV-Soldat, bevor er am Strick baumelte. Disco-Besucher drängelten sich vor dem → Welcome. „Or the system itself has crashed.” Gleichzeitig ereigneten sich Katastrophen im TV und am Bildschirm. Hackensack/New Jersey.
„Jetzt bin ich mal neugierig”, sagte Theodor Hams.
„Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich gehört habe, was ich sage?” sagte der Computer.
„Wittgenstein?” fragte der DOS-User.
„Luzi, wo ist die Maus?”
Und die Rakete donnerte schnurgerade in den strahlend-blauen Himmel, und die Rakete und donnert und donnert und donnert. Das Zentrum der Space-Schirmfahrt in der Hützel-Villa, Astronaut Hams erläuterte: „Das war der mechanische Contact, das federt ein bißchen, und dann steht es still.”
„Na, Schmuzi?” schmeichelte er der Katze; ein Astronaut knatterte dazu in der Schwerelosigkeit und schwang seine Gitarre.
„Luzi, sag ‘Volvic-Deckel’!”
„In einer Geschichte von Jean Giono spricht die Katze schließlich doch einmal zu ihrem alten blinden Frauchen, kurz vor dem Tod derselben.”
„Aber nicht ‘Volvic-Deckel’!”
„Jetzt bin ich mal neugierig”, sagte Theodor Hams.
Hollywood-Star im Fernsehformat der Fünfziger: „Eine alte chinesische Weisheit sagt, man ist glücklich, wenn man genug zu arbeiten hat.” Hams hatte auf jeden Fall für jeden genug zu tun.
Berichterstatter sah keine Möglichkeit, in die elektronische Familie aufgenommen zu werden.
„Ich bin mal neugierig”, sagte Hams. „Jetzt wird es spannend.”
Herzschlag-Pause.
„Aber… was ist da los? Das begreife ich nicht.” Die Festplatten schnurren nicht regelmäßig.
Zur vollen Stunde wurde der Kapitän von der Brücke gepfiffen, und das Herz des → Pixel-Golem begann zu schlagen.
„Bist du nicht ein Cyborg? Sind wir nicht alle Cyborgs?”
„Aber ein Vorkriegs-Cyborg, sprüht Funken und grunzt bloß.”
„Ein anderer ist Golem, weiß es aber nicht.”
Die Cyborgs kämpften um einen Fötus im Glas. Am frühen Morgen spielte die Maus mit der Katze hinter den Bonsai-Bäumchen.
Sonntag
Theodor Hams sägte eine Kokosnussschale. „Nur die Liebe kann so sägen.” Miss Computer war noch auf Schmollstellung.
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Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist nicht zufällig, sondern Ergebnis genauer Beobachtung und kritischer Überprüfung.
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Ich kann nicht einschätzen, welche Sätze heute so kryptisch sind wie sie gemeint waren und keiner Erklärung bedürfen, oder welche geheimnisvoll geworden sind, weil die Zeit ihren Sinn mit in die Vergessenheit gerissen hat. Können durchschnittliche Leser*innen in diesem Sommer 2020 noch wissen, dass „Dosen-Benutzer“ die Verachtung der Computer-Cracks ausdrückte, die einen Macintosh besaßen, gegenüber den „Sklaven“ von Windows und dem MS-DOS-Betriebssystem? Vielleicht teilt sich mit, was mir unveränderlich vorkommt. Sonst taugt der Text immerhin für die Sammlung eines Kulturanthropologen zum Home Office, das gegenwärtig in aller Munde ist, als Momentaufnahme der Avantgarde.
9. März 2023 at 18:57
Aus Gründen musste ich heute hier hereinschauen.
Das war auch die Episode mit den »schreienden Kindern« — jene Thermoskanne habe ich heute noch, mit neuen Dichtungsgummis, und sie heißt auch heute noch so.
LG
Theo
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