Zum Todestag von Helmut Lent
Der Lauf des Todes ist gedrillt: eine winzige Spirale in seinem Inneren, kaum sichtbar, kaum fühlbar, wenn man mit dem Finger hineinkäme in die Stahlöffnung.
Die Spirale sorgt für eine geringe, aber entscheidende Beschleunigung des Geschosses, denn das Tempo, mit der es aus dem Lauf austritt, die Anfangsgeschwindigkeit, gibt seinem Flug die Weite vor.
Ich bin einmal darauf gedrillt worden, den Lauf lupenreich zu halten. Ich habe die Lektion in Kriegskunst noch parat und könnte blind, mit einem Stiefelsack über dem Kopf, das Gewehr auseinandernehmen und wieder zusammensetzen.
Seine Robustheit und Einfachheit hatte das Standardgewehr der Bundeswehr weltweit beliebt gemacht. Die Einzelteile lassen sich leicht verstecken und schmuggeln, und jeder Gimpel kapiert, wie es geht, läuft, schießt, tötet.
Ein Jahr meines Wehrdienstes war ich in der nach Helmut Lent benannten Kaserne in Rotenburg an der Wümme stationiert.

Der Nachtjäger verfolgt mich. Sein Grab liegt wenige Schritte von meiner Wohnung entfernt. Als ich am „Nationalfeiertag“ zufällig dort vorbei kam, bemerkte ich, dass er an einem 7. Oktober starb.
Neuesten Forschungen nach verbrachten Lent und seine Familie insgesamt 16 Monate in Stade. 1944 kam der 26-Jährige bei einem Flugunfall in der Nähe von Paderborn um.
Lent wurde von Hitler persönlich dekoriert und von Göring zum „Fliegerhelden“ erklärt. Kein Vorbild für die Bundeswehr; die Kaserne gehört umbenannt, finden viele. Kürzlich hat die Lokalpolitik zum wiederholten Mal für Lent als Namensgeber votiert.

Ein Befürworter der Umbenennung will Belege gefunden haben, dass Lent nicht nur von der Propaganda der Nationalsozialisten „missbraucht“ wurde – wie in einem Nachruf beim Staatsakt in Berlin: „Sein Glaube an den Sieg und unsere gerechte Sache war felsenfest und ist gerade in den letzten schweren Monaten nur fester geworden. Dieser Glaube lag begründet in seiner heißen Liebe zur Heimat und seiner unübertrefflichen Treue zum Führer und seiner Sache.“
Der Jagdflieger selbst schrieb im August 1944: „Vor allem aber ist es notwendig, den Soldaten klar aufzuzeigen, was geschehen würde, wenn es den Feinden gelänge, tatsächlich über uns herzufallen. Für uns bleibt als logischer Schluss nur die eine Antwort, dass wir in leidenschaftlicher und fanatischer Weise bis zum letzten Blutstropfen kämpfen.“
Der Flieger hatte kaum Gelegenheit, sich von der vermeintlichen „Barbarei“ der Alliierten zu überzeugen; und man weiß nicht, wie viel er von der Barbarei der eigenen Bodentruppen wusste. Ob er selbst „fanatisch“ war oder den Ausdruck nur als allfällige Worthülse benutzte, spielt auch keine Rolle.
Unter politisch-ideologischen Aspekten war Lent durchschnittlich. Herausragend war er als Soldat – durch die Zahl seiner Abschüsse. Das allein qualifiziert ihn als Namenspatron einer Kaserne. Wie denjenigen, nach dem die Kaserne hieße, falls nicht nach Lent.
Menschenwaffen. Ob die eine mehr oder weniger als „Vorbild“ taugt, ist eine morbide Unterscheidung. Bis Kasernen nach Deserteuren oder Pazifisten benannt werden, ist Lent so gut oder schlecht wie jeder andere Kriegshandwerker.
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Anfang Oktober 2019 wurde bekannt, dass die Bundeswehr die Kaserne umbenennen wolle. Ein neuer Namenspatron als militärisches Vorbild steht noch aus. Wohl kein Wehrmachtssoldat diesmal. Vielleicht ein preußischer General? Oder ein im Afghanistan-Friedenseinsatz getöteter Bundeswehrsoldat. Gewiss nicht Bertha von Suttner.
24. Januar 2018 at 1:37
„Das allein qualifiziert ihn“ -leider nicht. Man gibt sich große Mühe – und das spätestens seit dem Traditionserlass von 1982 – klarzustellen, dass die alte Metrik „Anzahl der Abnschüsse = große Tapferkeit = großer Heldenmut = große Ehre“ in der heutigen Ausbildungs- und Einsatzwirklichkeit keine Rolle mehr spielt. Diese „veraltete“ Metrik – oder Logik – war es jedoch die zur Auswahl Lents führte. Hinzu kam das Engagement seines ehemaligen Vorgesetzen Kammhuber, dessen Umbennenungs-Rundreise in den Jahren bis 1964 derart „Erfolgreich“ war, dass Das Thema Kasernennamen auf die Agenda kam – und 1965 der erste Traditionserlass verabschiedet wurde. 1982 würde man konkreter: Namensgeber sollten sich „um Freiheit und Recht“ verdient gemacht haben. Spätestens da war klar: das kann man von Lent nicht behaupten, es sei denn man nimmt den Verlauf des 2. Weltkrieges aus der Perspektive der damaligen diktatur wahr. Wie Miliionen von Toten aus Kriegsgräbern, Stralags und KZs bezeugen könnten, setzte man sich damals nicht für „Freiheit und Recht“ sondern für ein System der Unfreiheit und der Willkür ein – für Unterdrückung und legale Sklaverei, kombiniert mit einer Ideologie rassischer Überlegenheit. Im Dienste dieses Systema stand Lent und er war Held und Ikone dieses Systems – und dies überstrahlt bei weitem das, was er bei vieleicht im privaten war oder hätte sein können. Er hat so gesehen das nationalsozialistische Regime immer im Gepäck – und man kann ihn nie auf einen „begnadeten Handwerker“ reduzieren. Er bringt auch mit sich die freiwillige oder erzwungene Rücksichtslosigkeit in der Führung seiner Untergebenen. „Bis zum letzen Blutstropfen“ „Feiglinge erbarmungslos ausrotten“ – kein Vorbild für die Bundeswehr von heute. Auch das hat Lent – freiwillig oder nicht – immer im Gepäck. Das hat ihm die Zeit in der er lebte und das System dem er diente aufgebürdet – und mit dem kann er kein „sinnstiftendes Vorbild“ für eine neue, junge Soldatengeneration sein. Sein Platz ist in Stade, auf dem Garnisonsfriedhof unter Begonien, neben seinen Kameraden. Da kann und sollte er ruhen dürfen.
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