Der surrealistische Zeichner Fabius von Gugel (1910–2000)
In der grauen Vorzeit, als nicht alle überall alles per Internet zur Verfügung zu haben schienen, so zirka 1974, kam ein Kind vom Lande nicht einfach so mit Kunst in Berührung. Wohl erhielt ich Kunst-Unterricht, doch bestand die längste Zeit in Kunsthandwerken; als die Schule mich mit Kunst in geistiger Form bekannt machte, hatte ich sie bereits selbst erkundet.
In dem Marktflecken, in den Geburt mich verschlagen hatte, und dem Städtchen, in dem ich die Schulzeit verbrachte, hörte und sah ich nichts von Kunst – außer durch eine Buchhandlung, über die ich sonderbare Bücher bestellte.

Ich absolvierte ein Schulpraktikum in Hamburg. Den Weg zum Arbeitsplatz legte ich wahlweise in der Straßenbahn oder per pedes zurück. Ging ich zu Fuß, studierte ich die Schaufenster der Galerien und einer Kunstbuchhandlung. Dort lag Aschen-Brödel oder Der verlorene Schuh aus, das Märchen der Brüder Grimm mit Illustrationen von Fabius von Gugel, erschienen 1965.

Als Kind vom Lande betritt man nicht einfach so eine Kunstbuchhandlung. Das habe ich erst Jahre später getan, nachdem ich den Eindruck der Titelillustration bewahrt hatte, um in dem Band, den ich wiederum im Schaufenster gesehen hatte, zu blättern. Zwischenzeitlich hatte ich das Wesentlichste über den Künstler einem bis heute raren Lexikon entnommen (J. Krichbaum / R. A. Zondergeld, DuMonts kleines Lexikon der Phantastischen Malerei, Köln 1977).
Fabius von Gugel, 1910 in Worms geboren, schlug in Paris und Rom eine Laufbahn als Künstler ein, als von Berlin aus Krieg in die Welt gesetzt wurde. Von Gugel wurde einberufen und kam im Elsass zu Einsatz. Seine adlige Familie verschaffte ihm die Versetzung als Funker in die deutsche Botschaft in Rom; dort wurde nicht geschossen.
1945 zunächst nach München zurückgekehrt, wo er seine Jugend verlebt hatte, zog Gugel 1947 wieder nach Rom. Er hatte Umgang mit Fabrizio Clerici und Giorgio de Chirico, Leonore Fini und Roberto Matta. Clerici machte Gugel mit Federico Fellini bekannt; Szenen, für die Gugel Ausstattungen entworfen hatte, wurden allerdings aus dem Film geschnitten.
Ab 1956 wieder in München sesshaft, machte Gugel zahlreiche Reisen, etwa nach Nordafrika und Indien. Er arbeitete als Bühnenbildner und Gestalter für eine Porzellanfabrik. Sein künstlerisches Werk, Federzeichnungen vor allem und Grafiken, blieb weitgehend unbeachtet. Als er 2000 starb, war Fabius von Gugel für die Kunstwelt schon tot.
»Fabius von Gugel distanzierte sich persönlich von den Surrealisten, die den deutschen Künstler nach dem Zweiten Weltkrieg nicht beachteten, und beschuldigte Salvador Dalí des Plagiats seiner Bildideen«, heißt es bei wikipedia. Missverständnisse beim Autor wie beim Künstler.
Die Surrealisten gab es nach 1945 nicht mehr, nicht als Bewegung in Kunst und Literatur oder sonstwie, und schon gar nicht in Deutschland, wo sie nie heimisch waren. »Surrealismus in Deutschland«, klagte Ginka Steinwachs einmal, »das sind tausend Jahre entartete Kunst.« Freilich gab es nach 1945 surrealistische Künstler. Max Ernst, dem Gugel in Paris begegnet war, machte weiter; aber der war ein Einzelfall und als Deutscher sowieso nicht zu vereinnahmen. Ein anderer deutscher Surrealist, der nach 1945 im Lande lebte, Richard Oelze, wurde nahezu ebenso vergessen wie Fabius von Gugel. (→ Wälder toter Augen)
Warum auch immer Gugel sich persönlich vom Surrealismus distanziert haben mag, gehört er dazu. Seine fein ziselierten Zeichnungen folgen präziser als andere der Maxime, die André Breton am eingehendsten in Die kommunizierenden Röhren dargelegt hat: die eigenen Träume als Quelle der Inspiration zu nehmen.
Gugels Plagiats-Vorwurf an Dalí ist ulkig. In meiner optischen Bibliothek stehen beide nebeneinander. Als Zeichner ist Dalí weniger populär denn als Maler, hat aber ebenso reichlich wie Gugel mit der Feder Traumnotizen gemacht. Der unübersehbaren Verwandtschaft in den Motiven steht eine gänzlich andere Handhabung des Zeichengeräts gegenüber. Dalís Strich ist gestisch und dynamisch, Gugels Linien sind Schraffuren, wie sie schon Dürer setzte. Zeichnerisch ist Dalí um so viel eigener, dass die mögliche Kopie eines Motivs des anderen nicht ins Gewicht fällt.
An der Titelillustration von Aschen-Brödel zog mich gerade die Spannung an zwischen der altmeisterlichen Zeichenart und dem modernen Motiv: das plötzliche Zusammentreffen des althergebrachten Systems der Darstellung der dritten Dimension in zweien mit den Innereien des 20. Jahrhunderts. Wie die Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf dem Seziertisch, als die der Comte de Lautréamont in den Chants de Maldoror das surrealistische Bild beschrieb.
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