Warum ich gewiss nicht die Grünen wählen werde
Die letzten Wahlen, an denen ich theoretisch teilnahmeberechtigt war, musste ich auslassen. Ich war wohnsitzlos und verfügte nicht einmal über einen gültigen Personalausweis. Bei der nächsten Bundestagswahl könnte ich zwar meine Stimme abgeben. Aber ich weiß nicht, wem und wozu.
Nachdem ich 1976 wahlmündig geworden war, habe ich mein Kreuz zunächst bei der SPD gemacht. Ein paar Monate lang war ich sogar Mitglied dieser Partei. Damals, als sich Hans-Ulrich Klose als Erster Bürgermeister von Hamburg für den Atomausstieg stark machte – bis seine Genossen ihn abservierten.
Inzwischen waren die Grünen entstanden, und ein paar Jahre lang bewegte ich mich als Autor der taz in ihren Kreisen. Dann kehrten Thomas Ebermann und Jutta Ditfurth der Partei den Rücken, weil sie beharrlich das verriet, wofür sie einmal angetreten war.
Ich habe dennoch weiterhin für die Grünen als dem kleineren Übel votiert. Bis ich von Repräsentanten dieser Partei in der Kleinstadt, in der ich lebte, persönlich diffamiert wurde, weil ich die Ehrung eines SS-Massenmörders durch den CDU-Bürgermeister öffentlich kritisiert hatte. Von anderen Parteichargen unterschied die Leute, die mit Mandaten der Grünen ausgestattet waren, vor allem ihr eklatanter Mangel an Rückgrat, ihre Charakterlosigkeit. Einer von ihnen, mit dem ich per Du war, wechselte schließlich zur CDU, weil es seiner Geldbörse förderlich war.
Worin immer die Grünen einmal „alternativ“ zur übrigen Politikerkaste gewesen waren, hat sich längst in Luft aufgelöst. Von „Basisdemokratie“ ist nurmehr aus den Reihen der Alternative für Deutschland AfD zu hören. Zuletzt entschieden die Grünalternativen sich, mit einer Führungsfigur in den Wahlkampf zu ziehen und ihr Schicksal mit dieser zu verknüpfen. Ihre Anhängerschaft gab sogar vor, es sei revolutionär, dass diese eine Frau sei – als wäre das Land nicht 16 Jahre lang von einer Frau regiert worden und als wäre das biologische Geschlecht ein Argument für oder gegen irgendetwas.
Man biedert sich dem Spießertum der BILD-Leserschaft an und tut zugleich so, als verfolge man ganz andere Ziele als diese Reaktionäre. Es wird wie irre gegendert und bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit die Regenbogenfahne geschwenkt – während man zugleich Wahlplakate aushängt, auf denen die bürgerliche Kleinfamilie verehrt wird. Der Unterschied besteht allein darin, dass Vater, Mutter und zwei Kinder nicht im SUV sondern im Lastenfahrrad unterwegs sind.
Als die Grünen einmal an der Bundesregierung beteiligt waren, haben sie nichts zum Atomausstieg beigetragen, der an ihrem Ursprung stand. Den leitete erst die CDU/CSU-Kanzlerin ein Jahrzehnt später ein. Inzwischen lebe ich seit einem Jahr in einer Großstadt, in der die Grünen mitregieren. Ich merke nicht nur nichts davon, sondern kann täglich feststellen, dass die Grünen sich hier im Wesentlichen so verhalten wie in der Kleinstadt, die ich hinter mir gelassen habe: Sie haben Angst vor der eigenen Courage. Sie reißen ihre Mäuler weit auf und werfen sich in die Pose moralischer Überlegenheit, kriegen aber nichts beschickt.
Dieser Tage sind die Parteifunktionäre und Anhänger ausschließlich mit Jammern beschäftigt. Die Führerin, hinter der sie sich geschart haben, hat sich als Lusche erwiesen, deren Schein kaum ein Sein entspricht. Schuld daran ist in den Verlautbarungen derer, die ihr mit Kadavergehorsam und Vasallentreue folgen, natürlich nicht Annalena Baerbock selbst, sondern eine Verschwörung gegen die Kanzlerinnenkandidatin.
Die Grünen zeigen eifrig mit dem Finger auf die Fehler der anderen Parteien, vor allem auf die Korruption bei CDU/CSU, mit denen sie vor Wochen noch bereit waren, eine gemeinsame Regierung zu bilden. Kann es noch erbärmlicher werden? Dem CDU-Kandidaten Hans-Georg Maaßen wird aktuell ein Angriff auf die Pressefreiheit vorgeworfen, während die grüne Klientel ihre Führerin als von eben dieser freien Presse verfolgte Unschuld darstellt.
Ja, es kann noch erbärmlicher werden: wenn die Grünen wie in Hamburg nicht nur schwafeln können, sondern handeln müssen. Die Obdachlosen haben erfahren dürfen, was von den hehren Ansprüchen der Grünen übrig bleibt, sobald ihnen Macht anvertraut wird. (→ Grüne Doppelmoral) Insofern ich selbst Erfahrung mit Wohnsitzlosigkeit habe, müsste ich schon masochistisch veranlagt sein, um die Grünen zu wählen. In Hinblick auf die anderen Parteien sind sie längst nicht mehr das kleinere, sondern ein gleichwertiges Übel.
Kommentar verfassen