Verlogenheit als Programm

Elf Obdachlose sind bislang in diesem Winter auf den Straßen der Freien und Hansestadt Hamburg gestorben. Die staatlich vorgehaltenen Unterkünfte, die über nicht annähernd genug Kapazitäten verfügen, sind Corona-Hotspots. Der Seuche wegen stehen Hotelzimmer leer, sollen aber nach dem Willen des Senats aus SPD und Grünen nicht mit Berbern belegt werden können.

Wenn die Grünen sich das nächste Mal über die Zustände in Flüchtlingsunterkünften am Mittelmeer empören und dort medienwirksam hinfliegen, um anschließend Hummer zu verspeisen, sollte man sie an das erinnern, was sie vor ihrer Haustür zulassen. (Siehe u. a. → DIE ZEIT)

Aber für die sozialen Probleme im eigenen Land interessiert sich die grüne Wählerschaft aus Besserverdienenden nicht, denn das würde ihren eigenen bürgerlich behäbigen Lebenswandel betreffen. Das Elend in der Ferne zu beklagen und mit Geldspenden das Gewissen zu beruhigen ist weniger belastend. Die Grünen sind im Establishment angekommen, und der Abgrund zwischen ihren humanistischen Parolen und ihrem zynischen Tun bringt ihre Doppelmoral noch deutlicher zum Ausdruck als es CDU/CSU, SPD und FDP je gelungen ist.

Ach ja, und die Zustände in den Unterkünften für Flüchtlinge in Hamburg? Wann hat sich dort das grüne Spitzenpersonal blicken lassen, seit es dafür mitverantwortlich ist? Rhetorische Frage. Und wenn, dann wäre natürlich alles auf Vordermann gebracht worden, bevor die Kamerateams anrücken, derentwegen man den Termin anberaumt hätte.

Siehe u. a. → Neues Deutschland

Eppendorfer Baum

Inzwischen ist ein zwölfter Obdachloser gestorben. Minus neun Grad zeigt das Thermometer an diesem Montag, den 8. Februar 2021, und es soll in den nächsten Tagen ähnlich kalt bleiben. In den Medien warnen die Sozialarbeiter vor weiteren Toten, und die Sozialbehörde alarmiert die Polizei. Berber, die die längst überfüllten Notunterkünfte meiden, um sich nicht mit Corona anzustecken, sollen von der Polizei zwangsweise eingewiesen werden. Sozialpolitik in Hamburg nach Art des Dritten Reichs. Die regierenden Spezialdemokraten und grünen Guthmenschen denken weiterhin nicht daran, leer stehende Hotelzimmer vorübergehend mit denen zu belegen, die endgültig unter die Räder der Profitmaschine gekommen sind.

In den Medienberichten kommen die Betroffenen natürlich nicht selbst zu Wort. Einmal wird erwähnt, viele von ihnen kämen aus Osteuropa, als würde die hiesige Gesellschaft keine Obdachlosigkeit produzieren. Zigeuner soll man nicht mehr sagen dürfen, aber ziehende Gauner werden trotzdem viele assoziieren. Die Bürger werden aufgefordert, Obdachlose zu melden, damit sich um sie gekümmert werden kann. Damit die Polizei sie von der Straße schaffen kann.

Auch dieser Winter wird vorüber gehen, und es wird weiter Obdachlose geben. Aus den Medien werden sie wieder verschwinden, bis auf gelegentlich anrührende Geschichten, die die Rolle der Behörden bei der Produktion von Wohnsitzlosigkeit aussparen. Auf twitter werden sich die Besserverdienenden wie gehabt über Rassismus oder Sexismus als strukturelle Probleme erregen und Shitstorms gegen andere ihresgleichen entfachen; über Armut und Obdachlosigkeit als Strukturelemente der Gesellschaft, in der die twitter-Bande obenauf schwimmt wie Fettflecken auf der Suppe, wird kein Wort verloren werden.

Vorerst letzter Stand, während weiter Minusgrade herrschen: 13 Tote. In den Medien von BILD bis taz wird die Lage der Obdachlosen thematisiert, aber die Regierenden schweigen. Das ist nichts, worum sie sich Sorgen machen müssen, dass es bei der nächsten Wahl eine Rolle spielen wird.

Und weiter gehen die Grünen auf Obdachlose los. Da die Temperaturen gestiegen sind, schauen die Moralapostel ihnen nicht mehr beim Sterben zu, sondern vertreiben sie nur noch.

Zwei von ihnen hatten ihren Stammplatz vor einer Bankfiliale in Ottensen. Ebendort hat die Hamburger Sparkasse, ein ehrwürdiges und hoch wohllöbliches Institut, das natürlich noch nie aus reiner Gewinnsucht daran beteiligt war, dass jemand seine Wohnung verloren hat, Blumenkübel aufgestellt. In Absprache mit dem Bezirksamt, das von einer Gutmenschin geleitet wird. Es habe halt etwas unternommen werden müssen, begründet die Berufszynikerin gegenüber der → taz. Die Zeitung berichtet nicht, ob sie dabei rot geworden ist.

Davon dass die Grünen irgendetwas unternehmen, um der Obdachlosigkeit entgegen zu wirken (statt sie durch die Jobcenter noch zu produzieren), war bisher nichts zu hören. Aber das tangiert ihre Wähler in ihren Eigenheimen und Eigentumswohnungen auch nicht. Hauptsache, der öko-vegane Lifestyle wird nicht angetastet. Und der bedarf eines funktionierenden Kapitalismus. Der wiederum nicht reibungslos läuft, wenn niemand unter seine Räder kommt.

Sozialpolitik interessiert die gut genährten Bessermenschen nur, wenn es um Flüchtlinge und nicht-heterosexuelle Minderheiten geht. Alle anderen können zum Teufel gehen und sollen ihnen bloß nicht zu nahe kommen auf ihrem Weg ins Naturparadies.

Siehe auch → Flüchtling im Inneren