Warum ich die Bekämpfer von Fakenews mehr als diese selbst fürchte

Kapitel 2: Was zu melden ist

Bis ich selbst einen Account erstellte, war mir unter anderem medial bekannt gemacht worden, dass die Administration von facebook spät oder gar nicht auf „unangemessene Inhalte“ reagiere. Intervenierte nicht sogar der Justizminister?

Mehrere Male stieß ich ohne weitere Umstände auf Profile, die von Leuten erstellt wurden, die sich auf anderen Wegen weniger leicht und widerspruchslos weltweit Gehör verschaffen können: Bewunderern von Hitler und Himmler.

Was ich über die Administration erfahren zu haben glauben sollte, bestätigte sich nicht: die Profile waren keine 24 Stunden nach der Meldung abgeschaltet.

„Never regret what made you smile“ hieß es zu einem Foto des grinsenden „Fuhrers“ (sic!). Gibt nicht viel zu deuteln, und bis hierhin habe ich kein schlechtes Gewissen.

Sollte ich aber. Denn vor Leuten, die anderen den Mund verbieten und sie bei einer Herrschaft verpetzen, gruselt es mich eigentlich mehr als vor jemand, der sich meines Wissens nach nur mit Worten über etwas begeistert, von dem er vielleicht gerade so viel weiß wie ich bis dahin über facebook.

Was mich an der öffentlichen Erregung über die Saumseligkeit der Sittenwächter gestört hatte, bevor ich selbst zum Melder auf facebook wurde, war gerade das: der Ruf nach ihnen. Die Sehnsucht, was einem nicht passt, aus der Welt zu schaffen. Jenes Verlangen, das, nebenbei bemerkt, auch Hitler und Himmler umtrieb.

Adolf und die AfD

Meine Meldungen erfolgten anonym. Das ist so vorgesehen und war nicht meine Entscheidung. Dadurch werde ich zum Denunzianten, der Erfolg hatte. Die Zensur hat prompt funktioniert. Sollte mich das befriedigen?

Ich hatte nach einem „Adolf“ gesucht und bekam die Verehrer-Site vorgeschlagen, bevor ich zu Ende getippt und meinen eigenen Willen bekundet hatte – um ganz genau zu nehmen, wer hier was sucht und findet.

Bei meinem „Adolf“ handelt es sich um einen mir persönlich gut bekannten Neonazi. Ohne administrative Anregung hätte ich hier freilich nicht nach ihm gefahndet. Auch er war mir als möglicher Freund vorgestellt worden.

Obwohl Parteifunktionär seit rund 60 Jahren und unter anderem Kreistagsabgeordneter ist er nicht als „Person des öffentlichen Lebens“ mit eingeschränkten Rechten markiert wie weniger Prominente. (Ich zum Beispiel aufgrund eines eigenhändig vor Urzeiten erstellten wikipedia-Eintrags.)

Was „Adolf“ in seiner Chronik zum Besten gibt, ist rechtlich privater als ich auf facebook über ihn schreiben könnte. (Oder hier tun würde; aber das ist, bitte schön, meine wohlerwogene freie Entscheidung.) Die Liste seiner 219 Freunde ist öffentlich und ein Who-is-Who der NPD.

Anonyme Denunziation und Hoffen auf rasche Erledigung durch eine übergeordnete Instanz taugen so wenig wie Parteiverbotsverfahren.

Was ich nicht gesucht habe und mir gefunden worden ist, verweist zufällig auf das, worüber sich dieser Tage bevorzugt erregt wird.

The white racists are among us, waren es immer. Auf der inoffiziellen NPD-Site meines „Adolf“ finde ich weniger Verfängliches und schon gar nichts Deutlicheres als auf jeder Site der AfD. Nichts zu melden.

Regelverstöße

Ich habe nur drei Mal gemeldet, ich schwöre, Hitler und Himmler, und vor allem, um zu sehen, wie es funktioniert. Zahllose facebook-User setzen die „Meldung“ nach Belieben ein und beklagen sich lauthals, wenn kein „Verstoß gegen die Gemeinschaftsregeln“ festgestellt wird – oder jubeln, wenn es geschieht.

Die Grenzen zwischen Fakenews und Satire, purer Blödheit und bösem Willen sind derart fließend, und die Idee, das Aschenbrödel im Zeitraffer spielen zu wollen (Aussortieren binnen 24 Stunden), ist so absurd, dass die Ernsthaftigkeit, mit der sie vorgebracht wird und von allen Seiten Zustimmung erhält, umso erschreckender ist.

Was zunächst als Politikerschutz in Wahlkampfzeiten erscheint, wird sich ausbreiten. Wenigstens haben Denunzianten und Dummköpfe, die für falsch halten, was wahr ist, durch die Initiative der Bundesregierung Aufwind erhalten. Die professionellen politischen Manipulatoren (die es ja auch nicht erst seit facebook gibt) werden sich den neuen Regeln anpassen.

Über die Grenzen der Meinungsfreiheit entscheiden nurmehr im Ausnahmefall öffentliche Gerichte. Alltäglich werden facebook-Angestellte bestimmen, was gesagt werden darf und was nicht.

Und die User werden sich anpassen. Das Soziale Netzwerk wird dem Provinzblatt immer ähnlicher werden: nur Friede, Freude, Eierkuchen. Ich werde mir die Hassparolen noch zurück wünschen.

Autos und Ausländer

Am selben Tag, als die Regierung Initiative zeigt, wird der Tod von Udo Ulfkotte vermeldet, eines, sagen wir, de mortuis causa, politischen Publizisten, dessen Bücher so populär sind, um in der öffentlichen Bücherei meiner kleinen Stadt erhältlich zu sein.

Er gilt als (eigentlich ein Unwort) Verschwörungstheoretiker. Hat keine Fakenews produziert, sondern mit den Meldungen gearbeitet, die die Medien ganz ohne Arg als wahr verbreiten.

So listet er seitenlang Zeitungsartikel über brennende Luxuslimousinen allenthalben im Bundesgebiet auf: „Auto abgefackelt, die Ermittlungen laufen.“

Mehr als die Polizeimeldung ist nicht zu lesen und wird kaum je in Erfahrung zu bringen sein. Die Fälle bleiben fast immer ungeklärt – und wenn doch nicht, steht nichts in der Zeitung, weil sie vor dem Amtsgericht verhandelt werden, wohin kaum ein Reporter sich je verirrt.

Jugendliche, die ein Auto klauen, um damit eine Spritztour zu machen, setzen es hernach in Brand, weil ihre älteren Brüder ihnen gesteckt haben, dass damit alle Spuren vernichtet würden. Vielleicht nicht alle, aber jedenfalls alle, die eine chronisch überlastete Polizei verfolgt.

Kommt außerdem häufiger vor, als in der Zeitung steht, weil die Polizei nicht alles und nicht gleich weiter erzählt und nur nachfragen kann, wer bereits etwas weiß – und sich für irgendein Autowrack interessiert.

Wie viele Autos er angezündet hat, erinnerte der Serienbrandstifter vor dem Landgericht beim besten Willen nicht. Er kannte eine Stelle, an die er nur das Feuerzeug halten musste, dann kokelte es schon. Er zündelte im Vorbeigehen und war oft schon weg, bevor es richtig brannte. Erst als er über den Parkhausbrand aussagte, kam der Dreh mit dem Feuerzeug heraus. (Die Vorsitzende Richterin bat mich als einzigen Unbeteiligten, Einzelheiten zu vergessen, um Nachahmung vorzubeugen, was ich längst getan habe.)

Es ist völlig unklar, wie viele Autowracks so entstanden und entstehen. War es aber nicht für Udo Ulfkotte, der Luxuslimousinen in Flammen als „Ausländerkriminalität“ brandmarkte (da passt die Metapher mal). Wie er das tun konnte, ohne die Täter zu kennen, mag man bei ihm selbst nachlesen.

Lügenbolde

Das Beispiel ist umso bezeichnender für Falschmelderei, als dieselben unaufgeklärten Fälle von echten Politikprofessoren der „linksextremistischen Kriminalität“ zugeschrieben werden. Wie sie das tun, ohne dass ihnen nachgerufen wird, sie seien Verschwörungstheoretiker, steht in ihren Büchern, von denen das eine und andere ebenfalls in den Regalen meiner Stadtbibliothek bereit gehalten wird.

Die Schwelle ist im Internet freilich niedriger. Jeder Idiot kann massenhaft Schwachsinn in die Welt setzen, ohne vorher Finanziers, Verlage und Lektoren überzeugen zu müssen. Aber die Gefahr der Desinformation ist nicht prinzipiell gewachsen.

Ulfkotte und die Politikprofessoren haben auch ohne Internet ihr Publikum erreicht, und professionelle Theoretiker brauchen die Konkurrenz durch launische Eingebungen Einzelner oder Wahlkampf-Bots nicht zu fürchten.

Die Masse auf facebook und sonstwo erfindet nichts, sondern teilt nur. Sie wird immer Leute brauchen, die ihr etwas vorlügen, und stets wird es genug Politiker und Professoren, Publizisten und sonstige Personen geben, die es mit Eifer tun.

Eben noch solidarisierte sich die Nation mit einen Klamaukianten, der für seine „Ziegenficker“-Scherze Satirefreiheit reklamierte – warte nur, warte, bald wird ihr das Maul gestopft, wenn sie ungehörig daher redet.