Anmerkungen zu einer unabgeschlossenen Kriminalgeschichte
Jeder Kriminalfall ist seine eigene Geschichte, und ich bin bemüht, die Erzählung aus seinen Eigentümlichkeiten zu entwickeln, statt den Mustern zu folgen, die von Polizei, Justiz und Medien vorgegeben werden oder aus Kriminalfiktionen geläufig sind. Gleichwohl habe ich Routinen im Umgang mit Verbrechen, etwa dazu, wo und wie ich die Spuren auflese.
Dieser Fall ist in mehrfacher Hinsicht anders als die hunderte historischer und aktueller Verbrechen, über die ich geschrieben habe. Seiner Absonderlichkeit wegen publiziere ich, was mir davon bekannt wird, bevor er abgeschlossen oder an eines der Enden gelangt ist, ab denen ich ihn frühestens aufgriffen und er üblicherweise für mich begonnen hätte: mit der Verhaftung eines Tatverdächtigen, der Anklageerhebung oder der Ansetzung einer Hauptverhandlung vor Gericht.
Um dem Publikum die Seele des Verbrechers verständlich zu machen, empfahl Friedrich Schiller: „wir müssen mit ihm bekannt werden, eh` er handelt; wir müssen ihn seine Handlung nicht bloß vollbringen sondern auch wollen sehen“. Ich kann auf einen literarischen Kniff verzichten, weil ich den Täter lange vor der Tat kannte.
Vor einem halben Jahr
Die Meldung der Tat nahm ich nur am Rande wahr. Die Schlagzeile, mit der Aufmerksamkeit und Betroffenheit erregt werden sollten, bedeutete mir nichts: das Todesopfer wurde als „HSV-Investor“ vorgestellt. Ich wusste gerade, dass das Kürzel einen Fußballverein bezeichnet. Kam das Gespräch auf das Geschehnis, beteiligte ich mich nicht. Weder als Kriminalhistoriker noch als Reporter fühlte ich mich angesprochen; die einschlägigen Einträge in meinem Notizbuch betrafen in jenen Tagen einen Aufmarsch von Neonazis.
Am 9. September 2016, einem Freitag, klingelten zwei Maskierte an einem Haus in Stade-Bützfleth. Laut ersten Angaben der Polizei war es zwischen 20.40 und 21.10 Uhr; später hieß es 20 bis 21 Uhr. „Gegen 21 Uhr“ schrieben die Medien. Bevor ein Gericht seine Beweisaufnahme abgeschlossen haben wird, bleibt der Punkt ungewiss – und vielleicht auch nachher noch. Festzuhalten ist, dass den Konsumenten dieser wahren Kriminalgeschichte gegenwärtig nicht einmal klar sein kann, ob und wie bedeutend der genaue Tatzeitpunkt sein könnte.
Bei einem Verbrechen, das sich im öffentlichen Bewusstsein abbildet, sind Genauigkeit und Tatsachentreue von geringem Belang. Erzählt wird weniger das wirkliche Geschehen, als dass sich das Publikum Vorstellungen davon macht anhand von Abziehbildern. Die Informationen, die fehlen, um ein wahrheitsgemäßes Bild der Ereignisse zu erhalten, werden durch Fantasien ersetzt, die vornehmlich auf Kriminalfiktionen zurückgehen.
Gerade weil mir zur Tatbegehung als ähnlich nicht eine erfundene Szene aus einem Fernsehfilm einfällt, sondern ich an leibhaftige Täter und Opfer in einem Gerichtssaal denke, hüte ich mich vor Übertragungen. Verbrechen sind vergleichbar, aber ebenso unverwechselbar wie die Menschen, die sie verüben und begünstigen, oder die ihnen zum Opfer fallen und in Mitleidenschaft gezogen werden. Gerade auf die Unterschiede zwischen der Tat, die sich anhand vorläufiger Feststellungen ausmalen und mit anderen assoziieren lässt, und dem, was wirklich vorgefallen ist, kommt es an.
Polizeiberichte
Das Haus in Bützfleth wurde von einem Ehepaar bewohnt. Sie, 73 Jahre alt, ging an die Tür. Ein Maskierter schlug sofort auf die Frau ein, während der andere in das Haus eindrang und den Ehemann angriff – so teilte die Polizei am 11.9. mit. Oder „eilte er seiner Ehefrau […] noch zu Hilfe“, wie ein Text auf Fruchthandel Online am 12.9. den Medien entnahm?
Weder als Mitbegründer und Geschäftsführer des Frucht-Service Hamburg noch als Anteilseigner des Fußballvereins hatte der 79-jährige Ernst Burmeister viel Aufhebens von sich gemacht. Keine Zeitung schrieb über ihn; das einzige Porträt-Foto, den Medien zur Verfügung stand, stammte von der Website seines Unternehmens. Erst das an ihm begangene Verbrechen rückte ihn ins Rampenlicht und machte ihn zur relativen Person der Zeitgeschichte, die mit vollem Namen genannt werden darf.
Von seiner Person tut bis hierhin zweierlei zur Sache: dass er reich und alt war; ein lohnendes und vergleichsweise wehrloses Opfer. Die Räuber erbeuteten Schmuck und mehrere tausend Euro. Sie entkamen in einem bereit stehenden „dunklen Pkw“ mit Fahrer.
Das gefesselte und geknebelte Ehepaar blieb schwer verletzt zurück. Den Kopfwunden erlag Ernst Burmeister am folgenden Sonntag.
Dass die Räuber sich auf bisher unbekannte Art maskierten, scheint darauf hinzuweisen, dass ihre Opfer den Überfall hätten überleben sollen. Den Mitteilungen der Polizei (11.9., 12.9., 16.9., 23.9., 28.11.) ist nicht zu entnehmen, ob die Täter bewaffnet waren, als sie „schlugen“ und „körperliche Gewalt“ einsetzten. Ob mit Schlagwerkzeugen, Fäusten oder Tritten – jedenfalls endete die Überwältigung der Hausbewohner als Tötungsdelikt.
Raubmord also? Die Medien sowieso, aber auch die Polizei neigen zur Übertreibung, gemessen an dem, was Gerichte schlussendlich für vertretbar halten. Der Mord, den die Polizeistatistik verzeichnet, wird als Totschlag beurteilt. (Nebenbei: eine vergleichbare Gerichtsstatistik gibt es nicht.) Wenn die soziale Stimmung um eine Tat sich aufheizt, wird eine Körperverletzung mit Todesfolge flugs als Mord ausgegeben. Das vorerst letzte Wort von Polizei und Staatsanwaltschaft zum Fall Burmeister lautet „Raub mit Todesfolge“.
Der „Haupttäter“
Die nächste Information veröffentlichte die Polizei nicht selbst, sondern sie wurde an den Lokalanzeiger durchgestochen und von weiteren Medien kolportiert. Unvermutet ergab sich daraus meine Betroffenheit. Auf facebook bemerkte ich am 20.10.16 die „Jagd“ nach dem „Hauptverdächtigen“ im Fall des „HSV-Investors“ als Link zur BILD. User beklagten, dass mit einem verpixelten Foto nach dem „Mörder“ gesucht wurde, weil sie irrtümlich glaubten, der Fahndungsaufruf stamme von der Polizei.
Dass der Gejagte der „Haupttäter“ sei, beruhte auf keiner definitiven Aussage von Polizei oder Staatsanwaltschaft. Die Medien stürzten sich auf den jungen Mann seiner Vorgeschichte wegen, die den „Raubmord“ um einen „Justiz-Skandal“ zu erweitern schien.
Am 17. August 2016 war Mahmoud W., Jahrgang 1991, vom Landgericht Stade wegen schweren Raubes zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Zugleich wurde der Haftbefehl aufgehoben, und er blieb auf freiem Fuß.
Im Dezember 2015 war er im Kaufland, der ersten Adresse für Ladendiebe am Rand der Inneren Stadt von Stade, beim Diebstahl von Parfüm erwischt worden und hatte sich nach Kräften gewehrt.
Ohnehin auf Bewährung in Freiheit rechnete er damit, nach der Verurteilung für längere Zeit ins Gefängnis zu gehen. Bei den zwei oder drei Mal, die ich ihn traf (das heißt, wenn er im Auto an mir vorbei fuhr und hielt), ging es um seine düsteren Aussichten. Der anstehende Prozess hing wie ein Fallbeil über ihm.
In Untersuchungshaft brachte ihn jedoch am 23. Januar 2016 eine Tat vom September 2014, in der nun erst ermittelt worden war. Mahmoud hatte mit einem mir gleichfalls gut bekannten Komplizen einen „Kumpel“ in dessen Stader Wohnung überfallen, gewürgt und mit einem Elektroschocker gepeinigt. Sie verschwanden mit 1100 Euro und zehn Gramm Cannabis.
Mahmouds Hauptproblem ist eine andere Droge. Oder vielmehr, was ihn dazu gebracht hat, sich auf sie einzulassen. Bei meiner letzten Begegnung mit ihm, wenige Tage nach dem Urteilsspruch und nicht lang vor dem Überfall in Bützfleth, sprach er von der Therapie, die er antreten wolle.
Manches Mal habe ich die Aussage von Familienangehörigen oder Freunden eines Straftäters notiert: „Das hätte ich ihm nicht zugetraut.“ Wie glaubwürdig oder sinnvoll der Satz sein mag – jetzt könnte ich ihn selbst sagen. Ich habe Mahmoud allerdings nie aggressiv erlebt. In krimineller Typologie ausgedrückt ist er ein Dieb und Betrüger, aber kein Schläger.
Seine anfallartige auftretende Gewalttätigkeit hänge mit der Droge zusammen, sagen andere über ihn. Der Entzug wäre gewiss ein Ansatz gewesen, aber keine Lösung.
Zwei Messer
In den Medien wurde gemutmaßt, er habe sich am Überfall in Bützfleth beteiligt, um seine Flucht zu finanzieren. Wie gesagt, ich redete kurz zuvor mit ihm über Therapie, und er rechnete mir vor, wann er wieder in Freiheit wäre, sofern er seinen Anwalt richtig verstanden hatte. Ich bekräftigte, was dieser geraten zu haben schien. Ein exzellenter Strafverteidiger, dessen Nummer ich selbst für entsprechende (bis dato nicht eingetretene) Eventualitäten gespeichert habe.
Falls Mahmoud hätte fliehen wollen, noch dazu in den Libanon, wo er sich zur Zeit aufhalten soll, hätte er unter rationalen Aspekten keinen Umweg über Bützfleth nehmen müssen, um es zu bewerkstelligen.
Ich hätte mir das Datum gemerkt, hätte ich geahnt, dass ich darüber schreiben würde. Vielleicht habe ich sogar eine Notiz gemacht – aber ich kann mich nicht einmal auf das Jahr besinnen, in dem die charakteristische Begegnung mit Mahmoud stattfand, und unterlasse es fürs Erste, meine Bücher daraufhin durchzusehen. Er unterlag noch dem Jugendstrafrecht, war also noch keine 21, als seine Familie ihn für eine Weile aus Stade fort schickte. Was die Absicht war, kann ich nur vermuten.
Bevor er verschickt worden war, hatten einige seiner Freunde und Bekannten angefangen, sich mit Messern auszustatten und zu spielen. Das gab sich freilich rasch wieder. Nach seiner Rückkehr aus Beirut stöhnte Mahmoud: „Die haben da alle zwei Messer.“ Er war heilfroh über die Beschaulichkeit seiner Heimatstadt, wo die übelsten Delikte ohnedies seltener mit Butterfly-Messern als mit denen begangen werden, die in jeder guten Küche aufgereiht im Block stecken.
Mit der Verurteilung im August 2016 wurde er zum Strafgefangenen und würde wenigstens aus der U-Haft in ein anderes Gefängnis umziehen – nachdem das Urteil rechtskräftig und sobald Platz in der Haftanstalt wäre.
Soweit wurde der Haftbefehl aufgehoben, und die Staatsanwaltschaft protestierte nicht. Der Richter hätte anders befinden können. Aber ohne seine Begründung zu kennen, die für den Außenstehenden, der nicht im Saal war, nirgends dokumentiert ist, lässt sich seine Entscheidung gewiss nicht kritisieren unter dem Aspekt seines mangelnden Wissens über das zukünftige Verhalten des Verurteilten.
Eher noch könnte ich mir vorhalten, Mahmoud nicht in den Arm gefallen sein. Hätte ich etwas ahnen müssen oder können? Ohne mehr über den Vorlauf der Tat zu wissen, kann ich das nicht entscheiden. War sie schon in Planung, als ich mit ihm über den Umgang mit seinem anstehenden Drogen- und Freiheitsentzug sprach?
Wie nahe muss man jemand stehen, um für seine Taten moralisch mitverantwortlich gemacht werden zu können: Bekannter, Freund, Familienangehöriger, Ehepartner? Eine der vielen Fragen, die Hassprediger und andere Selbstgerechte als beantwortet voraussetzen.
Für seinen Mitverurteilten mit demselben „Migrationshintergrund“ (seiner Eltern, wohlgemerkt) galt dasselbe juristische Prozedere. Er meldete sich bald nach dem Prozess freiwillig zum Haftantritt, statt womöglich noch Monate zu warten, bis die Ladung an ihn erging. Soviel für die Vergleichsstatistik.
Hetzlaute
Persönlichkeitsschutz besteht nicht, und im digitalen Zeitalter erst Recht nicht, allein darin, etwas zu verschweigen. Es kann und muss manchmal auch bedeuten, laut über das zu reden, das sonst niemanden angeht. Etwa um bereits umlaufenden Verleumdungen zu entgegnen.
„Dieser Mörder ist das, was unsere Eltern früher ,Gesindel‘ nannten“, postete der inzwischen verstorbene Demagoge Udo Ulfkotte (→ mehr hier) am 25.10.16 auf facebook, „heute laufen viele dieser ehrenwerten Mitbürger, die von der Justiz immer wieder auf Bewährung entlassen werden, frei herum“.
Sonderlich vornehm, wie meine Eltern sagen würden, verhalten Leute wie Ulfkotte sich nicht, indem sie Urteile über Sachverhalte oder Personen fällen, von denen sie höchst oberflächliche Kenntnis haben: in diesem Fall ein halbes Dutzend Sätze und ein paar Polizeifotos. Es ist keineswegs erwiesen, dass Mahmoud ein „Mörder“ ist und juristisch unzulässig, ihn so zu nennen. Aber bei Mördern wenden die „Anständigen“ Sonderrechte an – wenn sie es denn sind: Mörder oder anständig.
Die gern geübte pauschale Verdammung der Bewährungsstrafe offenbart ein weiteres Unverständnis für den Rechtsstaat ebenso wie geringe Menschenkenntnis. Es lohnt eigentlich nicht, sich mit dem Geschwafel der Ulfkottes und Sarrazins abzugeben, würde es nicht von allzu vielen nachgeplappert, die denken möchten wie ihre Eltern.
Ob von der Polizei oder in den Medien die ethnische Herkunft oder religiöse Orientierung von Straftätern genannt werden soll oder darf, war wieder einmal eine Weile in der Diskussion gewesen. Wenn die Abgrenzungsmerkmale für die Tat von Bedeutung sind, ginge das in Ordnung, befand der Presserat. Inwiefern jedoch die Abstammung eines Täters relevant für die Tat ist, hängt nach wie vor von Vorurteilen ab.
Am 29.10.16 erschien im Lokalanzeiger ein Artikel, der quasi journalistisch verbrämte, was in den Sozialen Netzwerken als Hetz-Kommentare zu lesen war. Bei den einschlägigen Erörterungen wird gern ein Unterschied zwischen dem verbalen Mob und den Medien unterstellt, der nicht unbedingt besteht. Auch die Medien hetzen bisweilen, vielleicht gemessener im Ton; und bei weitem nicht an jeder Publikation eines professionellen Journalisten sind Verstand und Verantwortungsbewusstsein beteiligt.
Der Artikel konstruierte einen Zusammenhang, der die Frage nach der Absicht des Autors aufdrängte. Um Aufklärung konnte es nicht gehen, denn es wurden Äpfel mit Birnen verglichen.
Der Fall Burmeister wurde in Beziehung gesetzt zu einem Überfall in der Region am 12.12.10, bei dem ebenfalls der Ehemann im eigenen Heim starb, der auch „Unternehmer“ war. Die Causa ist vor Gericht aufgearbeitet worden. Was sich in Bützfleth zutrug ist vergleichsweise noch vollkommen unklar.
Die Ähnlichkeit, auf die der Artikel abhob, hatte freilich nichts mit der Tatbegehung zu tun oder war gedacht, zu einem besseren Verständnis der Verbrechen zu verhelfen. Als Hauptverbindung wurde vorgestellt, dass die Täter aus dem Ausland gekommen sein sollten. Info-Kästen über die Heimatländer der Delinquenten strichen das heraus.
2010 reisten die Räuber allerdings aus Weißrussland an. Im Fall Burmeister nehmen Polizei und Staatsanwalt vier Täter an. Zwei waren der Öffentlichkeit unbekannt, als der Zeitungsartikel sie zu Ausländern erklärte, und sind es bis heute. Als „Tippgeber“ wird der 27-jährige Enkel der Opfer verdächtigt. Frau Burmeister soll ihn erwartet haben, als sie arglos den Räubern die Tür öffnete. Der gedankenlose Artikel nötigt zu der blödsinnigen Klarstellung, dass der Enkel Inländer ist.
Der „Ausländer“
Für die Ausländer-These stand nur Mahmoud W. ein, der drei Tage nach dem Überfall 25 Jahre alt wurde und sein Leben in Stade verbracht hat. Er hat sowohl die deutsche wie durch seine Eltern die libanesische Staatsbürgerschaft.
Er ist so wenig ein Ausländer wie die Deutsch-Türken, die soeben allenthalben, auch im Lokalanzeiger, als Mitbürger gefragt sind. Oder wie die Russland-Deutschen oder Deutsch-Russen, die im Lokalblatt schlicht zu „Russen“ wurden, als es für angezeigt hielt, über Straftaten von ihnen zu berichten – und über sonst nichts weiter, das diese Gruppe hätte betreffen können. So wenig wie Deutsch-Libanesen je anders als in Verbindung mit Kriminalität publizistisch wahrgenommen werden.
Dass die arische Schriftleitung Mahmoud wie einen Weißrussen behandelt, läuft auf eine Botschaft hinaus, die ihre Leserschaft nur zu gern hört: das Verbrechen kommt aus der Fremde. Der symbolische Subtext des Artikels, über den der Autor nicht lange nachgedacht haben kann, der sich gewissermaßen automatisch ergoss, geht noch weiter: Die Mitte der Gesellschaft, ihre Vorzeigefiguren, erfolgreiche Unternehmer werden in ihren Eigenheimen bedroht von – Ausländern.
Mahmoud reiste nicht zu seiner Tat an. Er war mein Mitbürger – nicht aber der des Zeitungsredakteurs, der den Raubüberfall zum Anlass nimmt, das herauszustellen. Ohne es zu ahnen, trägt er damit zum Verständnis des Verbrechens bei, soweit es Mahmouds innere Beteiligung anbelangt.
Der Artikel akzentuiert die Ächtung, der Mahmoud von Kindesbeinen an ausgesetzt war, sobald er sich außerhalb der ihm gesetzten sozialen Grenzen bewegte. Gewiss gibt es keine Vorbestimmung zum Gesetzesbrecher, aber die Wahrscheinlichkeit des Verbrechens ist bei denen höher, deren sonstiger Spielraum begrenzt wird.
Lange bevor er zum Verbrecher wurde, vor zehn Jahren, war Mahmoud zum gefährlichen Straftäter abgestempelt worden, in einer konzertierten Aktion von Polizei, Politik und Presse, in der es vor allem darum ging, soziale Probleme durch autoritäre Maßnahmen zu vertuschen und von dubiosen Machenschaften der herrschenden Klasse abzulenken.
Bevor ich mich daran mache, Beobachtungen und Erfahrungen aus der Zwischenzeit aufzuzeichnen, ein Link zu dem Text, bei dessen Abfassung ich mit Mahmoud bekannt wurde: → Hamburger Abendblatt 7.2.2007. (Die Überschrift „Eine Jugend-Gang verbreitet Schrecken in der Stadt“ stammt nicht von mir, und ich wurde nicht gefragt; meine Reportage sollte dieses Abziehbild gerade in Anführungszeichen setzen.) Mehr über Mahmouds Wohnumfeld → auf diesem Blog.
Ein Blogger sprach am 26.10.16 aus, was die Leserschaft des Lokalanzeigers zu glauben angehalten wird: „Es lebt sich gut als Made in Stade“, fällt ihm ein zur Berichterstattung im Fall Burmeister. „Es gibt irgendein Tier, das seine Eier im Körper eines anderen Tiers ablegen. Wenn dann die Jungen schlüpfen, fressen die ihr Wirtstier von innen auf. […] die Ausbreitung des Islam in Deutschland erinnert mich irgendwie daran.“
Der Koran spielt für Mahmoud keine Rolle – es sei denn dadurch, dass andere ihm seines Stammbaums wegen Islamismus vorwerfen. Religiosität ist ihm so fremd wie ihm der Libanon war – bis zur erwähnten Strafexpedition. Für ihn und seine Geschichte sind allein die Verhältnisse in Deutschland, namentlich in Stade, maßgeblich, inklusive der automatischen Ächtung als Muslim und Ausländer durch seine anständigen Mitbürger, die partout nicht seine sein wollen und seine Straftat zum willkommenen Vorwand nehmen, es heraus zu schreien.
„XY … ungelöst“
Obwohl im öffentlichen Bewusstsein und für Teile der Medien mit der Jagd nach dem „Haupttäter“ gedanklich abgeschlossen, ist der Fall offener, als es denen lieb ist, die an ihren Vorurteilen als Selbst- und Welterkenntnis genug haben.
Für die ZDF-Fahndungssendung Aktenzeichen XY vom 11.1.17 war ein Beitrag über den Fall vorgesehen, wurde jedoch nicht ausgestrahlt. Dass es dabei um Mahmoud gehen sollte, ist nicht anzunehmen. Nach ihm hat die Polizei bis heute nicht öffentlich gefahndet, weil es schlicht keinen Sinn macht.
Bei der Präsentation ihrer Kriminalstatistik für 2016 in traulicher Runde mit zwei geladenen Pressevertretern, darunter der Autor des Artikels im Lokalanzeiger vom 29.10., ging die Polizei am 16.2.17 ausführlich auf den spektakulärsten Fall des Jahres ein. Bei den „neun Straftaten gegen das Leben (Vorjahr 7 Taten) im Bereich des Landkreises Stade“ sei der Tod von Ernst Burmeister „noch nicht berücksichtigt, da die Kriminalstatistik nur polizeilich abgeschlossene Straftaten erfasst“.
Über die Mittäter ist bis dato nichts bekannt gemacht worden. Darauf, dass die Polizei sie nicht kennt, scheinen Durchsuchungen und offenbar wahllose Aufforderungen zur Abgabe einer Speichelprobe hinzudeuten, die seit Februar im weitesten Umfeld von Mahmoud W. stattfanden. Ob der öffentlich verdächtigte Enkel sich in Haft befindet, wurde nicht gemeldet. Ob die Polizei ein halbes Jahr nach der Tat viel mehr weiß, als das überlebende Opfer ihr mitteilen konnte, steht dahin, steht alles noch dahin.
30. März 2017
Nachtrag 3.4.17
google ist unzuverlässig. Eben noch wurde diese Seite angezeigt, dann ist sie wieder weg. „Entfernt aus Rechtsgründen“? Welche das wohl sein mögen und wer sie vorgebracht hat? Dass oben zitierte Hetzer gleich auf der ersten Ergebnisseite der Suchmaschine in humaner Regie gezeigt werden – das könnte man für Kulturpolitik halten. Eine, die von denen, die ùber die Macht des Geldes verfügen, gemacht wird, ohne dass die förmlichen, demokratischen Machthaber gefragt würden. Oder es überhaupt mitbekämen …
Nachtrag 12.4.17
Dieselben Suchbegriffe, und die Seite ist wieder da. Zwischen Zeitungsartikeln und Hetz-Posts wird mein Beitrag von google angezeigt. Verstehe das, wer will.
•∞•
Siehe auch
→ Teil 2 (April 2017)
→ Teil 3 (September 2017)
→ Teil 4 (Januar 2018)
→ Teil 5 (August 2018)
→ Teil 6 (Februar 2019)
© Uwe Ruprecht
11 Pingback