Datenschutz im Alltag
Wenn facebook Informationen über mich, die es von mir erhalten hat, an Dritte weitergibt, regt alle Welt sich auf. Dabei geschieht dies jeden Tag überall, und man selbst tut es. Tratsch heißt das dann.
Ärzte und Anwälte sind zur Verschwiegenheit verpflichtet; ihnen kann man etwas anvertrauen. Ansonsten ist man besser beraten, für sich zu behalten, von dem man nicht will, dass es stante pede Stadtgespräch wird.
»Hey, Uwe!«, spricht mich jemand auf der Straße an.
Ich stutze und überlege. Ich kenne den Typ nicht, und dass er mich umstandslos duzt, macht es nicht besser.
»Kennen wir uns?«, frage ich zurück.
»Ja, durch H.«
»Nein« wäre die richtige Antwort gewesen, aber die meisten Leute wissen nicht, was sie reden.
H. kenne ich allerdings. Wie sich zeigt, hat er mit dem Finger auf mich gezeigt, als er und meine neue Bekanntschaft mich irgendwo sahen, vielleicht aus dem Auto heraus, so dass ich sie nicht bemerkte, und zum Besten gegeben, was er über mich zu wissen meinte.
Ich lasse den Typen stehen und verzichte auf seine Bekanntschaft.
Als ich H. darauf anspreche, beginnt er sofort, mir alles zu berichten, was er über den Typ zu wissen glaubt. Ich formuliere mit Bedacht unbestimmt, denn bei den »Informationen« handelt es sich vorwiegend um Selbstaussagen des Betreffenden, die H. selbstverständlich nicht überprüft hat.
Ob dessen Ehescheidung beispielsweise so abgelaufen ist, wie er sie H. geschildert hat und dieser es verstanden hat und mir als Tatsache wiederholt, steht dahin.
Ich unterbreche H. und erkläre, dass ich das alles gar nicht wissen will. Was mein Punkt ist, begreift er nicht. Diskretion ist für ihn ein Fremdwort.
Immerhin hat der Typ mich angesprochen und mir damit verraten, dass er über mich etwas weiß, das ich ihn nicht habe wissen lassen. Wie viele andere es gibt, an denen ich vorüber gehe, ohne zu ahnen, dass H. ihnen das, was ich ihm mitgeteilt habe, weiter getratscht hat, kann ich nicht abschätzen.
Den Umgang mit H. habe ich eingestellt. Auf Gespräche über das Wetter und die neuesten Nachrichten kann ich verzichten, und über etwas Wesentliches mit H. zu reden, hieße, es auszuposaunen.
Das tue ich lieber selbst, etwa hier, und habe die Kontrolle darüber, was ich mitteile, statt dass es in der korrumpierten Form in Umlauf kommt, in der H. glaubt verstanden zu haben, was ich gesagt habe.
Meine journalistische Erfahrung hat mich den Abstand kennen lernen lassen zwischen dem, was für wahr gehalten wird, und dem, was wahr ist. Als Einwohner einer Kleinstadt, in der Tratsch eine der Hauptbeschäftigungen ist, habe ich erfahren, wie leicht gutgläubiges Geschwätz sich in üble Nachrede verwandelt.
Die ist übrigens strafbar. Wenn dieses Delikt so oft angezeigt und verfolgt würde, wie es begangen wird, hätten Polizei und Justiz keine Zeit mehr, sich mit anderem zu befassen.
Und natürlich will es keiner je gewesen sein. H. jedenfalls war sich keiner Schuld bewusst und erzählt nun wahrscheinlich herum, ich sei sonderbar und überempfindlich. Und damit hat er sogar Recht.
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