Die Sandkuhle zwischen Haddorf und Wiepenkathen
Ich hatte das Gelände mit Wiepenkathen in Verbindung gebracht, und dafür spricht die Postadresse der Firma, die dort Sand und Kies abbaut, aber die Homepage der Stadtverwaltung spricht von der »Sandkuhle Haddorf«. Die 3,3 Hektar große Grube untersteht seit 1987 dem Landschaftsschutz. Der Boden wurde zehn bis 15 Meter tief ausgehoben und ist seither zugewachsen, vor allem mit Birken.
Ich habe diesen verlorenen Ort seit vielen Jahren nicht mehr aufgesucht. Stade verfügt über keinen Park, und kaum irgendwo entkommt man dem Autoverkehr, selbst dort nicht, wo er förmlich nichts zu suchen hat. (→ Zwischen Stadt und Land) In der Sandkuhle hört man zwar die Autos auf der Bundesstraße 73, muss aber weder sie noch irgendeinen Menschen sehen. Üblicherweise ist Natur für den Stader nur nach einer Autofahrt erreichbar und für die Bedürfnisse von Automobilisten zugerichtet. Diesen Platz im Grünen kann ich als Passant erreichen. Freilich soll ich mich dort nicht aufhalten.
Die Trampelpfade sind noch in Benutzung, über die Hunde ausgeführt werden. Müll und Reste von Grillfeuern zeigen an, dass ich nicht der einzige bin, der die Stellen kennt, an denen ein Abstieg in die Grube möglich ist.
Von Natur kann bei dem Gelände lange noch keine Rede sein. Noch ist es Landschaft, die Eingriffe und Gestaltung durch Menschenhand erkennen lässt. Aufdringlich an einer Stelle durch Gebäudetrümmer. Meine Nachsuche im Internet hat nichts ergeben; ich entsinne mich, einmal etwas darüber gelesen zu haben. Eine Flak-Stellung vom Ende des Zweiten Weltkriegs?
Wieso es von ökologischer Bedeutung sein soll, dass das Gelände, an dessen Rand weiterhin gegraben wird und das zwischen zwei Bundesstraßen und einem Gewerbegebiet liegt, sich selbst überlassen bleibt, erschließt sich mir nicht. Zumal es theoretisch nicht so unberührt bleibt, wie es scheint. »In unregelmäßigen Zeitabständen werden Sträucher und Bäume enfernt«, klärt die Stadtverwaltung auf ihrer Homepage auf. »So paradox es klingt, wichtig für den Erhalt dieser Pflanzen- und Tierarten ist es, dass ihre Lebensräume immer wieder freigeschnitten werden müssen. Würde dieses nicht geschehen, wären die Flächen nach einigen Jahren völlig mit Sträuchern und Bäumen bewachsen und die Biotopvielfalt wäre verloren.« Nach meinem unmaßgeblichen Augenschein sind seit meinem letzten Besuch keine Sträucher und Bäume entfernt worden.
Der ökologische Wert eines Biotops an dieser Stelle kann nicht sehr weitreichend sein. Umzingelt von Zivilisation wird dieser unberührbare Fleck Natur stets nur ein gestörter Lebensraum bleiben. Statt ihn mit einer abstrakten ökologischen Begründung verkommen zu lassen, wäre es angezeigt, den Ort als das zu begreifen und zu gestalten, als den ich ihn nutze, als Park. Man muss nicht mit Besucherströmen rechnen, nur mit einem Teil derer, die etliche Kilometer mit dem Auto zurücklegen, um sich in der Landschaft zu ergehen.
Natur in Stade sind die privaten Gärten. Ringsum gibt es sie nicht. Wenn nicht um landwirtschaftliche Flächen handelt es sich um Kulturlandschaft, die sich von einem Naturzustand so weit entfernt haben wie die Menschen, die sich romantische Vorstellungen dazu machen. Naturschutz ist oft nur ein ökologisches Feigenblatt.
Bis aus der Kieskuhle ein Urwald geworden ist, ist die Welt längst am Klimawandel zugrunde gegangen. Für die Öko-Bilanz von Stade ist es irrelevant, ob man das Gelände sich selbst überlässt oder damit umgeht. Nicht, indem es zur unbetretbaren Zone erklärt, sondern als das angenommen wird, was es ist: ein Garten, über dessen Verwilderung sich die Nachbarn beschweren würden, wäre es Privatgrund.
Meinetwegen kann die Grube so bleiben wie sie ist. Aber in Anbetracht der sonstigen Verdichtung der Besiedlung ist der heutige Naturschutz womöglich nur ein grünes Gespenst, das mit einem Bebauungsplan vertrieben werden kann. Einen Park wird man nicht ohne Weiteres platt machen, ein Naturschutzgebiet schon, an das man bis dahin keinerlei Gedanken oder gar Mühe verschwendet hat. Das ein lost place ist; so verloren, dass sich bei google kein Bild findet.
Durch einen Park würde diese oder jene Käferart verschwinden? Wie glaubwürdig sind Naturschützer, die unaufhörlich nebenan auf der Bundesstraße fahren, wo kein Käfer eine Chance hat? Tatsächlich würde es genügen, die längst vorhandenen Wege von Totholz zu räumen und bei den ohnehin notwendigen Eingriffen nicht nur abstrakte ökologische Aspekte zu berücksichtigten, sondern mit der Ästhetik des Geländes umzugehen.
Da wäre eine Strecke mitten durch dichte Reihen schlanker Bäume; die Hügel, auf die sich Ansichten böten, würden tief hängendes Gesträuch und vermodernde Äste beseitigt. Dass die beiden Teiche ökologisch wertvoller sind, wenn sie vor sich hin sumpfen oder vertrocknen, stimmt nur aus der Perspektive von Leuten, die im SUV zum Krötenretten fahren; die den vollen Rahmen ihrer Zivilisation ausschöpfen und ihr Gewissen mit der Vergottung eines Insekts beruhigen.
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Juni 2019: Jemand hat bereits mit der Neugestaltung begonnen und einen Aussichtspunkt markiert.
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