Wirklichkeit und ihre Repräsentation
Ich lebe in zwei Städten, einer wirklichen und einer fiktiven. Heute habe ich schon wieder einen Film gesehen, in dem die Elbphilharmonie die Kulisse bildet. Insofern hat sich der überteuerte Bau gelohnt und als Wahrzeichen etabliert. Ist je gezählt worden, wie viele TV-Serien und Spielfilme in Hamburg angesiedelt sind?
Einwohner von Berlin und München dürften sich in der virtuellen Welt ähnlich zuhause fühlen. Wie viele haben inzwischen angefangen, die Realität mit der Fiktion zu verwechseln? Ich jedenfalls habe in den vergangenen Wochen die Elbphilharmonie aus der Drohnen-Perspektive auf YouTube-Videos (einen Fernseher habe ich nicht) unvergleichlich viel häufiger gesehen als in Wirklichkeit. Realiter habe ich sie vor Wochen einmal im Vorbeifahren aus dem Hochbahn-Fenster wahrgenommen. Es herrscht Corona-Lockdown, und meine Neigung zu Sightseeing-Touren ist gering.
In Stade bin ich dieser Wechselwirkung nie ausgesetzt gewesen. Der letzte Film, von dem ich weiß, dass er im November 2017 in den dortigen Gassen gedreht wurde und den ich nie auf dem Bildschirm sah, spielte nicht in Stade, sondern die Schwingestadt stellte Amsterdam dar.

Aufnahmen von einer Drohne sind der letzte Schrei der Filmemacher. Bilder, für die man ehedem ein Flugzeug oder einen Hubschrauber mieten musste, kann nun jeder Amateur anfertigen. Solche Ansichten aus der Vogelperspektive markieren den Abstand zwischen Realität und Fiktion. Denn in der Wirklichkeit kann sich niemand auf den Kopf sehen.
Dass ich tatsächlich im vorigen Jahrhundert sowohl auf → St. Pauli wie in → Blankenese und unter 19 weiteren Adressen in der Stadt wohnte, macht mich einigermaßen unempfindlich gegen den Mythos Hamburg, der mir ständig vom Monitor entgegen strahlt.
Ist schon einmal psychologisch untersucht worden, was diese Repräsentation im Film mit den Bewohnern macht? Dass sie sich wie im Drehbuch fühlen und als würden sie nicht nur in Eimsbüttel oder Horn leben, sondern ebenso am Hafen, in der Nachbarschaft der Elbphilharmonie oder an der Reeperbahn?

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