Bin ich jetzt ein Aussteiger und gesteigerter Aufmerksamkeit würdig? Heißt es nicht in der Bibel, der bekehrte Sünder sei Gott lieber, als einer, der immer schon ganz gewohnheitsmäßig rechtschaffen war und die Versuchung gar nicht kennt? Muss jedenfalls ziemlich arg zugehen, wenn mir Christenkram einfällt, für den ich mich nicht verbürgen kann.
Aber von Anfang an. Auf Aussteiger komme ich noch zurück.
Antifaschistische Wellenfront
Im virtuellen Schockzustand, nachdem mir auf facebook zum ersten Mal die Bestie Mensch begegnet war, schloss ich mich einer Gruppe an, die „Widerstand gegen rechts“ leisten zu wollen behauptete.
Gibt etliche solcher Gruppen, zwischen denen erbitterte Feindschaften bestehen, deren Gründe zu entdecken ein extra Studium erfordern würde. Offenbar ist es angesagt, sich „gegen rechts“ zu stellen, wieder einmal. Die dritte oder vierte Welle, die ich schwappen sehe. Die vorigen sind versickert, und die gegenwärtige – vermutlich die erste, von der die Sozialen Netzwerke erfasst werden – wird ebenso verebben.
Es sei denn, es kommt noch schlimmer. Dass dann alle, die sich jetzt „gegen rechts“ positionieren, noch an derselben Stelle stehen werden, bezweifle ich stark. Für viele Mitschwimmer ist ihr „Antifaschismus“ eine Attitüde, die sie als Haltung missverstehen, weil sie nie auf den Prüfstand gestellt wird.
(Den fundamentalen Unterschied zwischen Faschismus und Nationalsozialismus und warum dieser gerade von Kommunisten verschleiert wird, erklärte am prägnantesten Sebastian Haffner 1978 in seinen Anmerkungen zu Hitler.)
Korrekte Negerbilder
Wie im wirklichen Leben sind auf facebook die Leute nicht immer das, was sie zu sein vorgeben, und tun anders, als sie reden. Da ihre Präsenz im Web sich auf Worte beschränkt, ist diese ohnehin Schein – und wird umso schemenhafter, je unbeholfener ihr Umgang mit Worten ist.
Ich war fehl am Platze, weil ich genau auf Worte achte. Und ich war ein Außenseiter, weil ich über „rechts“ mehr weiß, als die Massenmedien darüber gemeinhin mitteilen. Diese bildeten den Horizont der Gruppe. Tagesspiegel und Spiegel wurden verlinkt, nicht blick nach rechts und der rechte rand.
Die Silvesternacht in Köln war ein Aufreger in der Gruppe, obwohl sie vordergründig nichts mit „rechts“ zu tun hatte.
Nach Türken (Nationalität) und Muslimen (Religion) standen Nordafrikaner (Rasse) im Visier und lockten die Klischees hervor. Neger mit den berüchtigten Geschlechtsorganen, triebhaft bis in den Tod (siehe Aids), kurz gesagt: der Affe macht sich an weiße blonde Janes heran, und noch dazu im Schatten eines katholischen Leuchtturms.
So sahen es alle, auch die, die es nicht so sehen wollten, Feministinnen und Kapitalismuskritiker, und zeigten sich in ihrer Widerstandsgruppe Witzbildchen, auf denen Mohrenköpfe prangten. „Political correctness“ verhilft nicht zuletzt dazu, die eigenen Vorurteile in milderem Licht zu sehen. Als Psychoanalytiker würde ich mir laufend auf die Schenkel klopfen über die Fehlleistungen von und auf allen Seiten.
Während ich noch den Kopf schüttelte, sendete das Flaggschiff des deutschen Journalismus, der Deutschlandfunk, ein Feature über die afrikanische Perspektive auf Europa: wie wenig die ehemaligen Kolonialherren von ihrer Herablassung abgelassen haben. In den Köpfen sieht es immer noch so aus wie bei Tim und Struppi im Kongo.
(Ein Fall, an dem die PC früh exekutiert wurde. Erfolglos: Jahre später fand ich den Band in der Comic-Abteilung meiner heimischen Stadtbibliothek und vergewisserte mich, dass es wirklich ein übles Machwerk ist, hinsichtlich des Klischeegehalts freilich nicht schlimmer als die Indianergeschichten im Regal daneben, über die nie eine PC-Debatte entbrannte.)
Kampfbilder und Bilderkampf
Als Angehörigem der Widerstandsgruppe (Mitglied ist ein Wort, das weitere Bedenken weckt) wurden mir täglich Bildchen gezeigt, auf denen dies und jenes irgendwie passend zu etwas montiert wurde, das witzig sein sollte. Ich hatte keine exakten Erwartungen gehabt, aber gewiss keine Unterhaltungsseite abonnieren wollen.
Ich ignorierte die Albernheiten, bis ich einen schlechten Scherz über die Reichsbürger lesen musste, zu denen ich kürzlich → Grübeleien angestellt hatte. 250 Likes waren verbucht und erfreute Kommentare abgegeben worden.
Mein zaghaft vorgetragener Einwand, dass der Scherz an der Realität vorbei gehe, wurde mir schroff als Humorlosigkeit verwiesen. Dass nicht jedes Bild, das eine Karikatur sein soll, gelungen ist; dass die Karikatur eines medialen Abziehbildes keine Karikatur der Wirklichkeit, sondern nur dumm ist … Stör uns nicht beim angeheiteren Widerstand gegen Fantasiegebilde!
Humor kann zwar eine Waffe sein – dazu aber muss man wissen, wo der Gegner verletzlich ist und ihn also besser kennen als in dieser facebook-Gruppe für nötig erachtet wird.
Überhaupt muss er da sein, um ihn zu treffen. Vermutlich wird kein Reichsbürger das Bildchen mit dem blöden Witz zu sehen kriegen – und würde sich nicht davon angesprochen fühlen.
Wirkliche Probleme
Während ich noch nachdachte, ob ich mich auf Debatten über die Sache mit Leuten einlassen sollte, denen gruppendynamische Prozesse wichtiger sind als diese Sache, der sie sich angeblich verschrieben haben, kreuzte ein Reichsbürger meinen Weg. In der Wirklichkeit, nicht auf dem Bildschirm.
Damit fangen die Schwierigkeiten, von denen die, Verzeihung, Schafe in der Widerstandsgruppe mehrheitlich keinen Schimmer haben.
Der Betreffende ist bundesweit bekannt, und rein rechtlich gesehen könnte ich seinen Namen hier posten und mehr über ihn mitteilen, als für Privatpersonen zulässig ist.
Ich könnte einen Scherz über ihn machen; und gewiss fände ich etwas, das ihn auf die Palme brächte. Aber so bekannt ist er wiederum nicht und soviel ist den Medienpublikationen über ihn nicht zu entnehmen, dass den Gag außer ihm und mir und vielleicht zwei oder drei weiteren Personen, die mir einfallen könnten, niemand zu würdigen wüsste.
Um Beifall zu erhalten, müsste ich einen Scherz über den Typus Reichsbürger machen, wie er sich aus den Medien ergibt; einen Witz, wie er sich gefahrlos vom Sofa aus reißen lässt.
Wenn die Likes für schlechte Scherze vergeben werden, darf ich mit den Wahrheiten, die mir zu den Reichsbürgern einfallen, nicht auf sonderliche Resonanz hoffen. Außer bei den Betreffenden, falls ich sie beim Namen nennen oder identifizierbar beschreiben würde.
Zu den Zweifeln, ob es ein gemeinsames Ziel der Gruppe gab und worin es bestand, kam die Frage, wie es mit dem Schutz bestellt war, den sie bieten könnte im „Kampf gegen rechts“.
Brandwitze
Von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt haben Staatsdiener, vor allem Polizisten, Gerichtsvollzieher und Finanzbeamte, reichlich bittere Erfahrungen mit Reichsbürgern machen müssen. In den Medien tauchen sie weiterhin nur am Rande auf, nicht zuletzt aus quasi technischen Gründen: Beamte dürfen nicht über dienstliche Angelegenheiten reden. Punktum. Man sieht auf YouTube den Reichsbürger aus meiner kleinen Stadt, wie er Beamte am Telefon terrorisiert – diese selbst kommen im ganzen Film nicht vor.
„… und dann kriegen wir wieder ‘ne revolutionäre Situation […] und dann gehts wieder zur Sache, dann wird wieder gestorben“, orakelte ein „Selbstverwalter“ im ZDF zwei Jahre, bevor ein erschossener Polizist die Witzbildchenproduzenten auf den Plan rief.
„Ich halte sie für brandgefährlich!“ erwiderte mir der/die Verfasser/in des Bildchens in meiner Widerstandsgruppe.
Wenn ihr/ihm „langweilig“ wäre, lautete das Post, riefe er/sie einen Reichsbürger an, um ihm dieses oder jenes vom Pferd erzählen (das ich vergessen und mir schon gar nicht notiert oder gespeichert habe), weil die ja alles glauben.
„Nicht vergessen, die eigene Rufnummer zu unterdrücken!“ war das erste, was mir dazu einfiel, aber das hätte ich den meisten der 250 Likern erklären müssen, für die Reichsbürger lediglich zweidimensionale Gestalten sind, von denen sie Bildchen und Stimmen kennen.
Ob ich über den gewissen Reichsbürger, der mir an dem Tag begegnete, als ich für meine Humorlosigkeit gescholten wurde, Scherze mache oder Beobachtungen mitteile – auf den Schutz irgendeiner facebook-Gruppe kann ich dabei nicht rechnen, virtuell nicht und nicht in der Realität.
So viel sei von dem Genannten verraten, dass er wie stets mit mindestens zwei ihn körperlich weit überragenden Männern unterwegs war. Und tatsächlich ist er es, der die Scherze macht und jedem, der es nicht wissen will, erzählt, ich sei ein Polizeispitzel. Darüber kann ich wirklich lachen.
Anstandsfragen
Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß – wüsste man in der Gruppe „gegen rechts“ mehr über mich, als ich preisgebe, hätten mich bereits einige der Beschimpfungen und Hassparolen getroffen, die dort als Kommentare hinterlassen werden.
Die eine oder andere „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ teilen auch jene, die „gegen rechts“ antreten. Nicht gegen Juden oder Homosexuelle, sondern gegen die ersten, die nach den Kommunisten als politischem Gegner, von den Nationalsozialisten massenweise in Lager gesperrt wurden. Eine Gruppe, die keine ist, sondern nur ein diffuser Sammelbegriff, ohne Nachfahren und Lobby, weshalb sie von den Historikern komplett ignoriert wurde.
Eine Ungruppe, die von den anderen Gefangenengruppen aus denselben Gründen geächtet wurde, die ihre Einweisung bei der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ verursachten: die Asozialen. Zigeuner waren schon dabei und auch Juden, aber nicht als solche, sondern als Bettler und Hausierer. Meine Gruppe.
„Zwangsarbeit für Hartz-IV-Bezieher“ geht in der facebook-Widerstandsgruppe ebenso in Ordnung wie alle, die „gegen rechts“ sind, zu „Linken“ zu erklären. Irgendwie weiß jeder, was gemeint ist.
Außer mir. Oder vielmehr weiß ich es nur zu genau. Alles „anständige“ Bürger. So steht es auf einem Bildchen: „wer anständig ist, kann kein Nazi sein“.
„Anständig“ war Himmlers Lieblingswort, und er benutzte es wie der/die Bildchen-Poster/in: wer nicht versteht, was mit „anständig“ gemeint ist, gehört nicht dazu. Wer „anständig“ so benutzt, ist auf dem besten Weg zu einer Haltung, die er mit Himmler teilt – zurückhaltend formuliert. (→ Unwort Anstand)
Aussteiger gegen rechts
Den Rest gegeben hat mir der binnen kurzem dritte Ex-Neonazi, der in die Gruppe nicht nur aufgenommen wurde, sondern mit seiner Läuterung protzte.
Der Kult um Aussteiger hat mich immer angewidert, die sozialarbeiterische Sonderfürsorge ebenso wie die medialen Foren, die den Konvertiten geboten wurden. Als Informationsquelle weiß ich die Betreffenden zu schätzen, aber ich vermag nicht einzusehen, warum ich jemand dafür hoch schätzen soll, dass er kein Menschenfeind mehr ist.
Statt sich für ihre vergangenen Verfehlungen still zu schämen, drängten die Aussteiger, die man kennen lernen konnte, in die Öffentlichkeit. Angeblich, um aufzuklären. Wie glaubhaft ist das Motiv bei jemand, der gestern noch ebenso engagiert einen massenmörderischen Obskurantismus gepredigt hat?
Und was bewegt jemand, der eben noch Neonazi war, sich dem „Widerstand gegen rechts“ anzuschließen? Ist es der alte Kampfgeist, der sich in ein neues Gewand hüllt? Dieselbe Sehnsucht nach Gruppenzugehörigkeit, die ihn vordem antrieb?
Verräter sind politisch nützlich, aber nicht vertrauenswürdig. Und wenn sie sich auch noch damit mausig machen, die Seiten gewechselt zu haben, schrillen bei mir die Alarmglocken.
Mit einem Neonazi, der sich für bekehrt erklärt, gemeinsame Sache „gegen rechts“ zu machen, kommt mir so abwegig vor das Verhalten eines „Antifaschisten“, der möglichst „breite Bündnisse“ schmiedet und sich nicht scheut, einen CDU-Bürgermeister als Redner gegen eine NPD-Kundgebung auftreten zu lassen, der seine Haltung kenntlich gemacht hatte, indem er einem der halben Million Mitwirkenden an der Shoah einen Ehrenbrief des Bundeskanzlers überreichte.
Einer der Reichsbürger, die in einer TV-Dokumentation vorgestellt wurden, war mal NPD-Funktionär und Brandstifter einer Asylbewerberunterkunft. Jetzt ist er kein Neonazi mehr, sondern läuft er mit einer weißen Rose herum und erklärt, die BRD sei die Fortsetzung des Dritten Reichs.
Gesinnungen lassen sich wandeln, Überzeugungen ändern. Aber es geschieht eher selten und ist meist nur der Wechsel der Maskerade.
Unanständig allein
Unterdessen beschäftigt die Moderatoren der Widerstandsgruppe vor allem der rabiate Umgang miteinander, obwohl es doch nicht gegeneinander, sondern „gegen rechts“ gehen sollte. Gruppe eben: mehr Eigendynamik als sonstwas. Da müsste nur ein/e Führer/in um die Ecke kommen und ihnen zeigen, wo es lang geht. Vielleicht der Job für einen der Ex-Neonazis? Die kennen sich mit Gruppenstrukturen aus und hatten schon mal einer Glaubensgemeinschaft ihr Leben verschrieben.
Ich bin also raus, ein unanständiger Mensch, kein Mitstreiter „gegen rechts“ und nach wie vor auf mich allein gestellt, wenn es zur Sache geht.
9. Januar 2017 at 8:38
Deshalb bin ich nicht bei Facebook. Dies ist verschwendete Kraft. Direktes Engagement, ohne Rangkämpfe mit digital Profilierungssüchtigen bringt einfach mehr. Ist meine Meinung. Danke für dieses kluge Statement. Ich mag deinen Blog.
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