Ein Sprengsatz auf der Veddel erinnert an die „Türkenmorde“ von Hamburg 1985
„Die NPD zahlt meine Stromrechnung“, scherzte ich einmal und war prompt missverstanden worden. Als die Stromrechnung fällig wurde, befand sich in meiner Post eine Honorar-Abrechnung mit einem Betrag in etwa gleicher Höhe für einen Zeitungsartikel über Aktivitäten der Neonazis. Ich habe mehr geschrieben und veröffentlicht, als ich zählen könnte und wollte. Und dennoch gibt es Lücken.
Als ich meine Kenntnisse zur Vorgeschichte einer Explosion in der S-Bahn-Station Veddel in Hamburg im Dezember 2017 aufzeichnete (→ Die Braunen Banditen von Buxtehude) musste ich auf Erinnerungen zurückgreifen, statt mich bereits anderweitig Beschriebenen zu bedienen – weiter zurück als die 18 Jahre, seit ich die Beobachtung der Szene zu meiner Aufgabe gemacht habe.
Der geständige Täter von der Veddel, der als Totschläger vorbestrafte Stephan K., steht in Verbindung mit dem Tod von Ramazan Avci. Der Türke starb durch den Angriff von vier Skinheads, wie Neonazis damals vorwiegend genannt wurden, am S-Bahnhof Landwehr in Hamburg.
Gestützt auf „Aufzeichnungen“ […], die damals von AntifaschistInnen während des Prozesses gemacht wurden“ wird verbreitet: „Schon damals rechnete sich K. selbst den Kreisen um die Mörder Ramazan Avcis zu, er ‚kenne alle Skins in Hamburg‘, und trug laut Beobachtung mit dem Tattoo ‚Gewalttäter‘ im Nacken ein eindeutiges Bekenntnis zu seiner Gewaltbereitschaft.“
Ich habe dem Prozess 1986 ebenfalls beigewohnt und reichlich Aufzeichnungen gemacht – die mir seither abhanden gekommen oder mit anderen vernichtet worden sind. Bis auf die Seiten 132 und 133 im Ausdruck eines 1988 abgeschlossenen unveröffentlichten Romanessays.
Dieser literarische Extrakt meiner Prozessbeobachtungen taugt nicht als Quelle für Informationen. Er ist vielmehr das Dokument eines historischen Wahrnehmungsbildes. Über den übrigen Text muss man nichts wissen, sollte aber des Hintergrunds, der Stimmungslage der Epoche, eingedenk sein. Fremdenhass war so epidemisch wie ab 1991, um 2000 und später immer wieder, bis zum jüngsten anhaltenden Ausbruch mit PEgIdA und AfD.

August 1980: Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim in Hamburg mit zwei Toten. Gleich darauf das Attentat auf das Oktoberfest in München. 1982 wurde in Norderstedt ein Mann getötet, weil er Türke war. Allltägliche Bedrängnisse und Verfolgungen von „Ausländern“ durch Bürger, Politik und Medien. Im November 1983 beschloss der Bundestag eine „Rückkehrprämie“ für Ausländer.

(Siehe auch → Das Nest in der Nordheide)
Im Mai 1985 ehrten Kanzler Kohl und US-Präsident Reagan in Bitburg Wehrmacht und SS. Am 24. Juli 1985 wurde in Hamburg-Langenhorn ein Türke auf offener Straße von Neonazis erschlagen. Und die Medien schwiegen. Im September überrollte ein Wasserwerfer der Polizei einen Anti-NPD-Demonstranten in Frankfurt/Main. Erst der Tod von Ramazan Avci im Dezember machte Schlagzeilen und löste den überfälligen Widerstand gegen Hassredner und Gewalttäter aus.
Aus l w z – eine junggesellenmaschine, Kapitel 9, Lauter Zeugen:
Der Nomade erschien einige tage lang mit erzwungener pünktlichkeit im verhandlungssaal des strafjustizgebäudes und nahm links neben dem erhöhten richtertisch, zur linken des staatsanwalts und auge in auge mit der verteidigung auf einer schwarzen pressebank platz. Die zeugen und angeklagten sah er nur von der seite. Aber wenn die staatsanwaltschaft fragen stellte, nutzte er die chance, dass sie sich in seine richtung drehten, zu blickkontakten. Während sich die staatsanwaltschaft mit detektivischer rührigkeit darum bemühte, zu klären, welcher der angeklagten den tödlichen schlag mit dem axtstiel ausgeführt hatte, legten die nebenkläger den akzent darauf, dass die angeklagten kahlköpfe bei der verfolgung und erschlagung des fremden eine weltanschaulich motivierte tötungsabsicht gehabt hätten und somit in dem zur verhandlung stehenden fall auf mord erkannt werden müsse.
– Wir haben nichts besonderes gegen ausländer – bekannten die angeklagten. – Als wir damals bock hatten, den frust unseres jungen und hoffnungslosen lebens durch sinnlosen kampf abzubauen und aus der kneipe hinter dem erstbesten herstürmten, der uns als opfer geeignet schien, war es uns völlig egal, ob es sich um einen türken oder griechen handelte. Hauptsache, etwas an ihm war anders. Wir sind gut, er böse. Echt, das lief alles so ab wie im film. Der typ fing an, völlig panisch zu werden. Als hätte er, seit er in dieser stadt lebt, nur auf diesen moment gewartet, in dem wir hinter ihm her sprinten mit gaspistole, gummiknüppel und gymnastikkeule. So ein blöder hund. Dass der so mit schiss in den hosen abhaut, hat uns erst richtig heiß gemacht. Wenn der einfach ganz cool geblieben wäre, wär‘ ihm vielleicht nicht so viel passiert. Aber so war der wie irgendein tier, das man jagt. Du weißt, dass du dem vierbeiner überlegen bist, technologisch und so. Du kannst ganz sicher sein, ihn zu erwischen, weil er die kontrolle verloren hat. Wir haben waffen – er war allein. Na, und dann das ding mit dem autofahrer, das war fast wie in »French Connection« oder »Leben und Sterben in L. A.« Voll filmreif, die szene. Läuft doch der kümmeltürke in seinem horror in ein fahrendes auto ‘rein. Na gut, das machte nur klatsch, und dann lag er auf dem pflaster. Wär‘ natürlich noch viel geiler gewesen, wenn’s ihn ‘n bisschen herumgeschleudert hätte. Aber das überleben die jungs in den filmen ja auch meist nicht, und dann wäre ja auch die show vorbeigewesen. Und das blöde gesicht von dem autofahrer. War vermutlich gerade auf dem weg nach hause. Hätte sich gern mit pantoffeln vor den fernseher gelegt und seiner alten im haar ‘rumgekrault. Und nu‘ war plötzlich action angesagt. Ja, und dann, herr richter, bin ich zu dem geschädigten hingegangen, wie der da so am boden ‘rumlag.
– Und was haben sie dann gemacht? Haben sie sich um den verletzten gekümmert?
– Nee, herr richter, ich meine, ich weiß auch nicht, wie das kam, jedenfalls, der türke war ja noch recht fit, wie er da am boden lag. Hatte den gar nicht so schwer erwischt. Guckte mich so total verängstigt an. Wir stellen uns da nur so hin, dicht vor ihm, dass er so richtig zu uns hochgucken musste. Mit den nerven war der völlig fertig. Aber irgendetwas muss den typ dann doch geritten haben.
– Wie meinen sie das?
– „Faschisten“, brüllte der plötzlich. Lag‘ da zitternd und mit zwei pfund schiss in der hose und meint, dass er noch was zu sagen hat.
– Und was haben sie dann getan?
© Uwe Ruprecht
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Siehe auch BRAUNE BANDE. Neonazis in Niederdeutschland 1965 – 2013
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