Aus einem Bericht über die Reise des Aufklärers nach Stade 1795
Im März 1795 wird der auf den Tod kranke Staatsbeamte Adolph Freiherr von Knigge von Bremen nach Stade beordert. (→ Mit doppelter Dosis Opium)
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Er musste nicht mehr tätig werden, sagten die Krankheit und seine Selbsterkenntnis, aber die Welt wollte es anders. Und ausgerechnet die eigene Legende, das Erzeugnis seiner intensivsten Tätigkeit, verfolgte ihn.
Er hatte einen Geheimbund geschaffen, der schon deshalb nie sehr geheim war, weil er selbst dafür so eifrig geworben und Gott und der Welt davon erzählt hatte, und der, weil er so öffentlich war, als Synonym für Verschwörung schlechthin galt, und seine Bundesbrüder als die Avantgarde der Revolution im Lande.
Und er, der freie Herr Knigge, wurde dafür verhaftet. Zur Verantwortung gezogen für etwas, das er selbst längst als Irrweg erkannt und sich mit Asche auf dem Haupt jedem, der es nicht hören wollte, dazu bekannt hatte. Niemandem konnte das peinlicher sein als ihm. Aber das gehörte zu einer wohl verstandenen Aufklärung dazu, den Irrtümern so viel Aufmerksamkeit zu widmen wie Erfolgen oder Zielen, der Ausstattung der Stube oder dem Tabaksteuerbescheid.
Seine Absage an die Geheimniskrämerei wurde ihm als abgefeimter Trick ausgelegt. In Wahrheit, glaubte man, bestand die letzte Finesse des Geheimbundes darin, wirklich geheim zu bleiben, sich selbst für aufgelöst zu erklären, indem die höchsten Adepten öffentliche Schuldbekenntnisse ablegten, um eben nicht verhaftet oder verbrannt zu werden.
Wer Knigge kannte, wusste, dass seine Freiheit eine Freimütigkeit umfasste, der solche Verstellungen fremd waren. Er hätte die Geheimbündelei nicht erfinden können und war auch keineswegs als Propagandist in eigener Sache unterwegs gewesen. Die Illuminaten hatte er nicht erdacht, und seine Rolle bei ihrer Erschaffung war eben die des Propagandisten, des Lautsprechers.
Ihm ging es so sehr nur um die in Frage stehenden Gedanken, dass er respektierte, mit dem Haupt des Bundes, für den er warb, dessen Herkunft, Lebensumstände, Motive er nicht kannte, unter Pseudonym zu kommunizieren. Jetzt also haftete Knigge mit seinem bürgerlichen Namen für Ideen, die er verworfen hatte; und die, die hinter ihm her waren, verwechselten sie beharrlich mit denen, für die er weiterhin einstand.
Erst kürzlich hatte er sich wieder einmal gezwungen gesehen, gegen eine unter seinem Geheimbundnamen verbreitete Erklärung vorzugehen, ebenso deshalb, weil er damit nichts zu tun hatte, wie er damit zu tun hatte, aber es nicht gebrauchen konnte, dass jemand anderer ihn ungefragt damit in Verbindung brachte.
Er musste nicht gerade Tatsachen leugnen, aber seinen Enthusiasmus für Veränderung hinter der Ablehnung der gewalttätigen Aspekte der Revolution verstecken, was keineswegs gelogen war, aber auch gerade diejenige seiner Ansichten, die von seinen Dienstherren erwartet wurde.
Sie erwarteten die formale Verpflichtung auf eine Position, die sie selbst jederzeit und umstandslos zu räumen bereit waren. Was wiederum die Position war, derentwegen seine Dienstherren weg geräumt gehörten. Nicht gerade mit der Guillotine, obwohl auch Knigge sich der Metapher bediente, die im Volk umging: dass noch so viele Laternenpfähle ungenutzt in den Straßen stünden.
Knigge konnte dem gemeinen Volk, wie es genannt wurde, sein Verständnis nicht versagen. So sehr seine Gattin auch jammerte und klagte, das seine tausend Taler jährlich nicht für ein Auskommen langten, meinte sie ein standesgemäßes. Gemessen an dem, womit die Bauern auskommen mussten, war es Knigge bewusst, dass er sich leisten konnte, keine Gewaltmittel in Betracht zu ziehen.
Wer Augen hatte, sah das materielle Elend allenthalben, und qua Amt und Stand sah Knigge auch den ihm gleichermaßen fernen Überfluss. Als verarmter Adliger, der als Bürger lebte, hatte er Einblick in beide Sphären und konnte abschätzen, wie das Missverhältnis nach Umwälzung und Umverteilung schrie.
In seiner Zeit als Illuminatenwerber hatte er Listen mit Höfen und Bürgersalons angelegt, wo er nach potenziellen Bundesbrüdern Ausschau halten konnte; er hatte sogar die ihm suspekten Lesegesellschaften ins Visier genommen, weil sie dort, wo kein aufgeklärter Adel vorhanden war oder reiche Bürger sich von Vernunft und Freiheit fernhielten, die hervorragendsten Treffpunkte darstellten, da sie nicht auf sonderliches Kapital angewiesen waren und allein Bücher und einen Raum beanspruchten, in dem die Leser sich austauschen konnten.
»Gibt es die Illuminaten noch oder nicht?«, wurde er in den Kreisen gefragt, in denen überhaupt Ideen statt nur Geld zur Sprache kamen.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Knigge kurz angebunden und in dem verzweifelten Ton, den er bei diesem Thema unwillkürlich annahm. Damit wollte man sich natürlich nicht begnügen und sah ihn wei-ter an, als warte er auf eine Fortsetzung. Die erfolgte: »Mit meinem Austritt habe ich das Kapitel vor vier Jahren abgeschlossen. Über das Schicksal des Ordens habe ich genau die Nachrichten, die Sie auch haben können.«
Jemand warf ein: »Diese Illuminaten waren doch Verschwörer, nicht wahr, die den König stürzen wollten?«
Knigge wand sich. Den Blicken der anderen entnahm er, dass sie die Naivität der Abkürzung nicht erkannten, sondern eine ernsthafte Erwiderung, ja, Verteidigung erwartet wurde. Sollte er es bereuen, nicht im Gasthof geblieben zu sein, wo der Wirt und die Bauern kaum seinen Namen kannten und vielleicht nie von den Illuminaten gehört hatten?
Doch, von den Illuminaten wohl schon, da die royalistische Propaganda den Geheimbund zum Inbegriff des Bösen stilisierte und ihm, wie einst den Jesuiten, als Macht im Hintergrund aller mystischen und weltlichen Übel beschrieben, die nicht nur dem Adel, sondern allen Ständen je zustoßen könnten. Einer hatte damit angefangen, sie als Bande von Giftmischern zu deklarieren, die nach und nach die wichtigsten Köpfe des Staates beseitigen wollten. Damit hatte er ein plumpes, verbrecherisch einfaches Bild gefunden für das Konzept des Einsickerns in die Schlüsselpositionen, um die Stellung der Vernunft zu stärken, wie es Knigge in der Tat entwickelt hatte.
Andere hatten den vermeintlichen Giftmord zu ärgeren Teufeleien ausgedehnt, bis schließlich jedes Ungeschick der Fürsten von diesen auf Ränke der Illuminaten zurückgeführt wurde, und Missgeschicken, die noch nicht passiert waren, durch die Eliminierung von Illuminaten vorgebeugt werden sollte.
Der Orden der Vernünftigen, für den Knigge die Trommel gerührt hatte, bis ihrer fünfhundert beisammen waren, Fürsten, Herzöge darunter, Professoren und Verleger, Goethe und Herder, war zum Schreckgespenst schlechthin geworden. In manchem Beamtenhaushalt, in dem das Kindermädchen ängstliche oder wütende Worte aus der Amtsstube aufgeschnappt hatte, wurde vom Illuminaten als Schwarzem Mann erzählt, der nachts den Kleinen die Augen ausrupft.
Knigge war routiniert, darauf zu erwidern und den schmalen Grat zu begehen zwischen der Distanzierung von der Organisation ohne deren Ziele zu verraten. Er hatte mit den Illuminaten, mit Geheimbünden überhaupt gebrochen, aber seine politischen Ansichten hatten sich nicht geändert. Eine freie, eine demokratische Gesellschaft mit Mitteln der Verschwörung zu schaffen, galt ihm inzwischen jedoch als Widerspruch in sich.
In bürgerlichen Kreisen war es nicht schwer, diese Position zu erläutern, da er auf eine gewisse Sympathie mit den Inhalten rechnen konnte. Gegenüber Adligen brachte er vornehmlich seine Einwände gegen die Geheimbündelei vor, ohne zu erwähnen, dass er sie gleichwohl für ein notwendiges Zwischenstadium auf dem Weg zu einer freien Gesellschaft erachtete.
Allein, es war ihm lästig. Und in einem gelangweilten Ton, der Nachfragen abschrecken sollte, erzählte er von der ursprünglichen Vision des Ordensgründers Adam Weishaupt und sprach allgemein von Menschenrechten, ohne die Verfassung der Illuminaten selbst zu streifen.
Was er den Leuten nicht sagen konnte und wollte, war die Selbsterkenntnis, zu der ihm die Illuminaten-Episode verholfen hatte. Er hatte sich dem Geheimbund nicht zuletzt deshalb verschrieben, um in wirksamer Tätigkeit zu sein. Er hatte die ihm von Weishaupt anvertrauten Aufgaben erfüllt, weil er dazu fähig war.
Sich wirksam zu erleben und das Wachstum des Ordens zu befördern, waren die eigentlich befriedigenden Erfahrungen gewesen, die ihn angezogen und umgetrieben hatten. Es war ein Machtrausch, der ihn erfasst hatte, und oft alle Sorgfalt vergessen ließ, indem er auch Leute als Mitglied aufnahm, die er als ungeeignet hätte erkennen können.
Nach und nach war der Orden selbst, die Dynamik seiner Ausbreitung, bedeutender gewesen als die Beförderung der Ziele, denen er diente. Dass der Bund zerfiel, sobald Knigge sich zurückzog, bewies schlagend, niederschlagend, wie hohl seine rastlose Tätigkeit gewesen war.
Die Rolle, die die Illuminaten durch ihn im öffentlichen Bewusstsein spielten, hatte der Sache schließlich eher geschadet als genützt. Die Ideen der Aufklärung waren nicht tiefer in das Volk eingedrungen, sondern wurden mit diesem einen, dem prominentesten der Geheimbünde identifiziert und als Verschwörung diskreditiert.
Die Nachfragen der Tischgesellschaft fielen moderat aus, als Knigge in gewohnter Manier den Irrweg skizzierte. Was am peinlichsten war, hatte ihn zugleich geläutert. Die Leute ging sein Verhältnis zu Weishaupt nichts an, aber hätten sie davon erfahren, wäre es doch, wie oft angedroht, Gegenstand öffentlicher Erörterung geworden, hätte man die Propheten der Freiheit in der Falle von Despotismus und Gehorsam gesehen.
Die beiden Eitelkeiten des Meisters und seines Sekretarius, die nicht nebeneinander bestehen können, offenbarten das Dilemma des Konzepts selbst. Die geheime Abstufung der Ordensgrade, das ganze System der Rätsel und Versprechungen, gegliedert durch Unterwerfung, waren einer auf Freiheit und Freimut gegründeten demokratischen Verfassung anathema und spiegelten nicht nur das feudale System, das der Bund abzulösen anstrebte, sondern übersteigerten es noch.
Knigge wollte Weishaupt nicht nur nicht als einen Ludwig XIV., den jüngsten Inbegriff des Willkürherrschers, anerkennen, er betrug sich selbst ganz so und kam daher dem Professor aus Ingolstadt unweigerlich ins Gehege. Herrscher oder Knecht, Meister oder Lehrling, Oben oder Unten, das war die falsche Wahl. Wie schwierig die Gleichheit auch zu verwirklichen war, man würde sie kaum im Ganzen der wirklichen Welt erreichen, wenn sie schon nicht im Modell des Bundes verwirklicht wäre.
So viel Zeit er an die Entwicklung von Graden und der Umschreibung von Geheimnissen verschwendet hatte, damit, die Adepten durch die Aussicht auf Erhöhung zu ködern, mit Ungleichheit zu locken, um sie auf bedingungslosen Gehorsam einzuschwören, so blieb davon nur die Klarheit, mit der er in Gesellschaft seinen Irrtum vormalen konnte. Er war diesen Irrweg bis ans bittere Ende gegangen, und der Erfolg war sein Fluch.
Hätte er die Illuminaten nicht so bekannt gemacht, wären sie nicht so berüchtigt geworden. Letzthin hatte Knigge Weishaupt ausgestochen. In der Öffentlichkeit galten die Illuminaten als sein Werk, weil er sich unabhängig davon und noch nachdem er den Irrweg verlassen hatte, einen Namen gemacht hatte.
Ein Jahrzehnt war vergangen, seit er dem Orden und nach und nach den Geheimbünden selbst den Abschied gegeben hatte. Einmal war er rückfällig geworden, noch in Hannover, aber bevor er sich ernsthafter auf etwas einlassen konnte, brachte ihm sein Liebäugeln schon Verdruss und handfesten Ärger ein. Er hatte naschen wollen und gleich eins auf die Finger bekommen. Das heilte ihn zwar endgültig, erwies sich aber nur als Vorspiel zur Illuminatenriecherei.
Die Zeit der Geheimbünde war endgültig vorbei, und tatsächlich blieb seine letzte Mitgliedschaft nicht lange geheim. Alles drängte zur Öffentlichkeit, wer im Hinterzimmer operierte, konnte nur lichtscheues Gesindel sein, wie auch die Obrigkeit annahm. Mit den Zensurgesetzen begünstigten die Herrscher zugleich diejenigen, die allerdings Straftaten planten, sich in den Untergrund zu begeben. Die Pamphletisten in ihrem Sold erfanden, mangels echter Erkenntnisse über wirkliche Verschwörungen, die Illuminaten neu, die nach Knigges Rückzug rasch zerfallen waren.
Die Freimaurer überhaupt, die Rosenkreuzer wurden zwar ebenso verdächtig, aber die Illuminaten boten sich als derjenige Geheimbund an, der dem Publikum am frischesten im Gedächtnis war und sich durch seine explosionsartige Ausbreitung am markantesten dargestellt hatte. Die Geheimdienstler der Majestäten mussten nur Halbwahrheiten und Lügen, Legenden und Fehlinformationen, die noch kursierten, aufgreifen und ausschmücken, auf geeignete Weise kombinieren und mit aktuellen Verfehlungen angereichert selbst ausstreuen, um zweierlei Furcht zu säen: vor den Illuminaten, die den Umsturz anstrebten, und vor den Herrschern, die jeden, der mit den Verschwörern sympathisierte, mit diesen gemeinsam in den Kerker werfen oder hängen würde.
Knigge war einen Moment versucht, der adligen Abendgesellschaft von Schubart zu erzählen, dem Märtyrer der Meinungsfreiheit, der vor zwei Jahren gestorben war. Christian Friedrich Daniel Schubart, dessen Name allen deutschen Zeitungsschreibern ewig in den Ohren klingen muss, hatte das Selbstverständlichste getan und die Machenschaften der Räuber an der Macht als solche angesprochen und ihrem Eigennutz die Maske des Gemeinwohls abgerissen. Er hatte keine Verlautbarungen abgeschrieben, sondern die Verhältnisse beschrieben, wie sie sich dem Volk darstellten.
Weil ein Herzog ihn nicht nach Recht und Gesetz belangen konnte, ließ er Schubart entführen und ohne Prozess für mehr als ein Jahrzehnt einkerkern. Doch der hielt nicht den Mund. Selbst ohne Papier und Stift diktierte Schubart seine Lebensgeschichte dem Gefangenen in der Nachbarzelle.
Unterdessen hatten die Gedichte, derentwegen der Publizist gefangen gehalten wurde, europäischen Marktwert erlangt. Das Buch, das eigentlich verboten und verbrannt sein sollte, ließ der Herzog folglich selbst drucken, um davon zu profitieren, und den Autor weiter schmachten.
Ein schönes Gleichnis auf den Literaturbetrieb war darin enthalten, fand Knigge; er war so organisiert, dass alle, die mit der Veröffentlichung der Schrift befasst waren, mehr einnahmen als der Verfasser, der noch dazu genötigt war, denen, die ihre Arbeit an sein Werk andockten, zum Gaudium zu dienen und in Gesellschaft Männchen zu machen, wollte er von den Verlegern nicht noch kärglicher entlohnt oder gar verstoßen werden.
Knigge schien die Illuminaten erschöpfend oder zufriedenstellend dargestellt zu haben. Jedenfalls äußerte niemand am Tisch Zweifel an seiner Verdammung der Geheimbünde. Er hatte schon arge Sophistereien über diesen Punkt zu bestehen gehabt, denn selbstverständlich würde ein echter Geheimbündler beim gegenwärtigen Stand der Dinge sich als deren entschiedenster Gegner ausgeben. Vielleicht hatte man stillschweigend Rücksicht auf seine Gesundheit genommen, denn er hatte lange geredet und war freilich dabei immer mehr in seinem Stuhl zusammen gesunken, weil das Rückgrat wie ein Speer in seine Innereien stach.
»Gestehen Sie«, war ihm oft vorgehalten worden, »Sie haben mehr als einmal erwogen, es wie andere zu machen und eine Gründungslegende in Buchform in die Welt zu setzen. Geschickt platziert entwickelt sie ein Eigenleben und ist nicht mehr aus den Köpfen zu kriegen, selbst wenn mit Brief und Siegel bewiesen wäre, dass sie erfunden ist. Nehmen Sie nur den ganzen Judenhass, der beruht auf lauter solchen gelungenen Erfindungen, bis hin zum Mord am angeblichen Messias.«
Wie arg die Verfolgung seiner vermeintlichen Geheimnisse auch ausgefallen war, hatte er dafür keinen Moment im Kerker verbringen müssen. So geheimnisvoll war es auch wieder nicht, was Weishaupt und er ausheckten.
Echte Geheimnisse fühlten sich anders an. Echte Geheimnisse waren mit Tod und Verrat verbunden. Da brannten die Fackeln nicht nur symbolisch, da kräuselte sich die Haut unter ihrer Hitze, wenn einer, in der Absicht, dich wirklich zu blenden statt es nur vorzutäuschen, mit der Flamme vor deinem Gesicht hin und her streicht.
Knigge hielt sich dort auf, wo sich alle aufhalten und gefahrlos aufhalten können und hatte sich aus allem herausgehalten, was ihn mit tödlichen Geheimnissen hätte in Verbindung bringen können. Er war ein Mann der Öffentlichkeit, und die einzige Gefahr, in die er sich, durchaus nicht vorsätzlich gebracht hatte, war um seiner Öffentlichkeit wegen mit Verhaftung bedroht zu werden. Er bewahrte keine Geheimnisse, die mehr als sein Leben wert wären.
Konnte er vernünftigerweise zweifeln, dass er beseitigt werden sollte? Wie viele, von denen man hörte, sie seien krank geworden und gestorben, waren in Wirklichkeit von der Geheimpolizei ermordet worden? Um solche Dinge hatte Knigge sich kaum je Gedanken gemacht. Schubart, schön, aber da wusste jedermann, was vorgefallen war. Weishaupt war vertrieben worden, auch das kam häufiger vor.
Gleichwohl waren nur solche vermeintlichen Illuminaten in die Kerker gelangt, die Jahre nach seinem Austritt mit seinen Ideen Schindluder getrieben hatten. War es eine neue Qualität der Verfolgung am Vorabend des drohenden Grenzübertritts und Imports der Revolution, solche wie Knigge, die sich als prominente Täter wie als leichte Opfer anboten, ganz aus dem Weg zu schaffen?
Wie absurd es war, gerade ihn und ihn im Besonderen meinen zu können, der seine eigene Harmlosigkeit kannte, hatte er in Reichweite der Regierung den weitreichendsten Namen als vermeintlicher Revolutionär. Wie wenig das in Wahrheit besagte, wollten seine Oberen vielleicht gar nicht einsehen. Sein Symbolwert mochte ausreichen, ihn aufs Korn zu nehmen.
Nachher, wenn es angezeigt wäre, mit den Köpfen von Revolutionären die Stadtmauern zu spicken, wollte man in Stade nicht hinten anstehen. Und auch wenn sie ein Karnickel gefangen hatten, würden sie dafür sorgen, dass es aussah, als hätten sie einen Tiger erlegt.
Zum gesteigerten Unwillen seiner Gattin war Knigge, statt sich um eine einträgliche Stellung zu bemühen, durch die Lande gereist, um Eingeweihten das Geheimnis zu entlocken. Keiner der Betrüger und Spinner, denen er begegnet war, und die zu entlarven er einen Eifer an den Tag legte, der ihn schließlich unter ihresgleichen berüchtigt machte, kein Scharlatan und kein Höfling, der seine blanke Tumbheit mit großmeisterlicher Weihe bedeckte, hatten ihn von der Überzeugung abbringen können, dass es das Geheimnis gab.
Er hatte es in alten Büchern gesucht, hatte sich allein dafür Sprachkenntnisse angeeignet, die seither brach lagen, hatte alle Formen von Rätselsprüchen auf jenseitige Sphären bezogen und auf ihre Plausibilität geprüft, hatte Rituale ausprobiert und zwischenzeitlich für die Illuminaten eigene erfunden, von denen er glauben wollte, sie würde über das Wort eine Verbindung zu etwas stiften, dass zwischen den Dingen oder an ihrem Grunde existierte.
Dämonen hatte er gesucht und Wahnsinnige gefunden. Er war rechtzeitig aus dem Irrsinn erwacht und die Suche aufgegeben. Unterwegs hatte er alle Arten von Gläubigkeit kennengelernt, auch Opfer der eigenen Suche, die, um nicht an ihrer Aussichtslosigkeit zu verzweifeln, sich auf irgendetwas, dasjenige, das sich gerade anbot, stürzten und ihren ganzen Glauben daran hingen. Die Grade der Illuminaten, die er selbst erfunden hatte, waren das letzte, das ihn zum Wahnsinn hätte bringen können, hätte er nicht bereits während der Erschaffung den Glauben daran verloren.
Er hatte ein fertiges System gehabt, obschon es nicht in allen Details bereits ausformuliert war, aber die Grundzüge standen, das Gerüst und die ersten tragenden Mauern. Der Zierrat würde nach und nach angebracht werden. So hatte er es sich ausgemalt, aber Weishaupt hatte gleich mit dem Umbau angefangen, Wesentliches umgestellt, es aber Knigge überlassen, die Gerüste zu verschieben, neue Mauern hochzuziehen und alte zu versetzen. Mit den Kleinigkeiten gab Weishaupt sich gar nicht ab, nur dass er am Zierrat, sobald er fertig war, etwas auszusetzen hatte.
Knigge strengte sich an, das Modell zu vergegenwärtigen, auf das es am Schluss hinausgelaufen war. Sie waren nicht ganz zu Ende gekommen, als er die Brocken hinwarf. Danach hatte er sich gut bemüht, den Irrweg zu vergessen.
Drei Klassen umfasste der Bau, die »Pflanzschule«, die »Maurerklasse« und die »Mysterienklasse«. Zwölf Grade, drei in der ersten, fünf in der zweiten und vier in der dritten Klasse: Novize, Minerval, Illuminatus minor, Lehrling, Geselle, Meister, Illuminatus major, Illuminatus dirigens, Priester, Regent, Philosoph, Dozent. Eine Universität könnte man damit errichten. Aber es waren nur Quasselbuden daraus geworden.
Mochten Beziehungen, die von den Illuminaten gestiftet wurden, zu etwas taugen, dann hatte es den Illuminaten nichts genützt und Knigge schon gar nicht. Am Ende bringen die Geheimbünde nichts Neues zum Vorschein, sondern modeln nur das Alte um. Wieviele aufgeklärte Fürsten haben mit diesem oder jenem Bund sympathisiert, um dort auf Reaktionäre zu treffen, mit denen sie sich prächtig darauf verstanden, die Aufklärung zu knebeln? Das Bündnis der Rechtschaffenen war unterwegs verloren gegangen, nachdem die Herrschaften sich der Strukturen bemächtigt hatten.
Knigge hatte sich überzeugt, dass angestrengtes Suchen das Geheimnis nicht lüftete, es womöglich nur geschenkt wurde; und endlich hatte er bezweifelt, dass es sich in derart kompakter Form offenbarte, dass es in einem Buch oder im Gedächtnis eines Menschen enthalten wäre. Den Glauben selbst hatte er nicht abgelegt, aber aufgehört, sich den Kopf darüber zu zerbrechen.
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Siehe auch → Aus Abyssinien
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