Drogen und ein Haus in Stade

Die Geschichte, die von der Polizei erzählt und wie üblich von der Lokalpresse nachgeplappert wird, ist nur das Fragment einer Story, die zu verbreiten sich die Polizei hütet und von der die Presse vermutlich nichts weiß.

In der Klassengesellschaft von Stade reden bis heute die »Betitelten« nicht mit den »Unbetitelten«, wie → Ernst Harthern 1913 für das Kaiserreich feststellte. Was die einen umtreibt, muss die anderen nichts angehen, und voneinander weiß man nur, was sich im Vorbeigehen wahrnehmen lässt.

Umso seltsamer, wenn etwas die sorgsam voneinander geschiedenen Kasten gleichermaßen bewegt. Meine Uhr lief bereits, als die Meldung erging, dass die Polizei am Mittwoch, 22. Mai 2019, in einem gewissen Gebäude in der Steilen Straße in Stade Drogen beschlagnahmt habe.

Leute aus Kreisen, die nicht miteinander verkehren, hatten mich als kriminell Kundigen auf das Haus hingewiesen, und ich habe mich mehrfach von dem Betrieb von der Tür überzeugen können.

Klingel, Spion, Einlass. Auf der anderen Straßenseite warten die nächsten Kunden. Ziemlich junge Kunden.

Was dort vermeintlich vorging, war seit langem ein offenes Geheimnis. Freilich hätte jeder, der damit zur Polizei gelaufen wäre, ein Achselzucken geerntet. »Haben Sie gesehen, dass und mit welchen illegalen Substanzen gehandelt wird?«

Wenige Tage her, dass ich das Haus passierte. Ein junger Mann ging gerade darauf zu. Klingel, Spion, Einlass. Ich kam in dem Moment vorbei, als die Tür geöffnet wurde, nur einen knappen Spalt. Der junge Mann huschte hinein, ich sah in Dunkelheit.

Natürlich hat die Polizei nicht auf eine Anzeige wegen öffentlichen Ärgernisses gewartet. Allerdings verwendet sie in jüngster Zeit viel Eigenlob auf das Ausheben von In-door-Plantagen mit Cannabis für den Nachbarschaftsbedarf (einer Droge, die als Medizin zugelassen ist und in Kanada nach der Legalisierung durch die Verdrängung des Schwarzmarktes für einen legalen Wirtschaftsschub sorgt), während die Kokain-Kartelle, die gehobeneren Bedarf befriedigen, wie gehabt ungestört bleiben.

Bei einer »Routinekontrolle« an jenem Mittwochnachmittag habe sie nun also, meldet die Polizei und wiederholt die Presse, bei einem 16-Jährigen Drogen gefunden. Autofahrer, die die Welt nur aus dem Vorbeiwischen kennen und täglich mit Verkehrskontrollen rechnen, stutzen nicht. Aber in der Steilen Straße oder sonstwo in der Stadt als Passant von der Polizei angehalten zu werden, ist alles andere als Routine.

Die Anwesenheit eines Jugendlichen in Drogenbesitz in der Steilen Straße ist kein Zufall. Die Polizeikontrolle soll aber einer gewesen sein? Und wenn es so wäre – was sagt das in Hinblick auf die Vorgeschichte?

Die ist übrigens noch länger; es wäre die Geschichte des Hauses. Eine Spukhausstory gewissermaßen, die man jedoch in keiner Zeitung lesen wird, weil sich in Stade Journalisten dadurch definieren, ausschließlich zu äußern, was ihnen souffliert wird. (→ Unter Betrügern)

Ausgestattet mit einem richterlichen Beschluss und zwei Drogenspürhunden wurde das Haus rund zwei Stunden lang durchsucht, wobei ein Kilo Marihuana und ein halbes Kilo Kokain gefunden wurden.

Ende der offiziellen Geschichte. Verhaftet wurde niemand. Soll man annehmen, dass im Haus in der Steilen Straße die Klingel abgestellt wird?

Steile Straße Stade (Fotos/Grafik: urian)
Die Steile Straße mit dem verrufenen Haus

Wie gehabt: Polizei und Presse lügen nicht, sie verfälschen durch Auslassen. Am 3. Juni 2019 wurden wie oben bei einer Kontrolle auf der Straße Drogen gefunden und das berüchtigte Haus, in der sich angeblich eine Bar befinden soll, durchsucht. Aufmerksamen Passanten war unterdessen nicht entgangen, wovon die Presse nichts weiß oder vorgibt, nichts zu wissen: dass neuerdings Streifenwagen der Polizei die Straße hinauf und wieder hinab fahren, offenbar um Kundschaft abzuschrecken.

Aber wo kämen wir in einer Pseudo-Demokratie auch hin, wenn die Presse ihre Freiheit nutzen würde, statt sich Behörden und sonstigen Machthabern sowie denen, die sich dafür halten, anzudienen und die mündige Bürgerschaft zu betrügen. Ginge es nach den Redakteur*innen des Stader Tageblatts könnte § 5 des Grundgesetzes gestrichen werden; sie schreiben ohnehin nur, was ihnen zugestanden wird, und würden eine Zensur gar nicht bemerken.

Und noch einmal dieselbe Leier: nachdem ein 65-Jähriger »ein Gebäude in der Steilen Straße«, wie es diesmal in der Pressemitteilung der Polizei unbestimmt heißt, verlassen hat, geriet er am 10. September 2019 gegen 17 Uhr in eine »Routinekontrolle«, wie sie in dieser Form nur an dieser Stelle der Stadt stattfindet, bei der »eine geringe Menge Drogen« in seinem Besitz gefunden wurden.

Das wurde wie gehabt zum Anlass zur Durchsuchung des »Objekts« genommen, wobei »Drogen, Bargeld und eine große Menge Alkohol« sichergestellt wurden. Es handelte sich um »eine nicht geringe Menge Marihuana, diverse Konsumeinheiten Kokain, Bargeld und ca. 250 versteckte Flaschen Alkohol«.

Wieso Alkoholbesitz ein Fall für die Polizei ist oder warum und wie diese Droge, die nicht so genannt werden soll, »versteckt« war, erklären weder die Pressestelle der Polizei noch der Lokalanzeiger, der wie üblich nachbetet und keine der sich aufdrängenden Fragen stellt. Muss sich nun jeder Besitzer eines Weinkellers, der leicht 250 Flaschen umfassen kann, Sorgen um sein Alkoholversteck machen?

Das Wochenblatt spritzt den Zuckerguss über die als Journalismus getarnte Legendenbildung und titelt: »Polizei hat in Stade den richtigen Riecher«.

Wenn es darum geht, die Öffentlichkeit über Kriminalität zu täuschen, muss sich die AfD hinten anstellen. Erst sind die Polizei und ihre Lieblingspresse dran, bevor die Hetzer deren Vorlagen aufgreifen.

Steile Straße Stade (Foto: urian)

Ein erneutes Fragment der Geschichte, die weder Polizei noch Presse erzählen wollen: Am 17. September 2019 zwischen 18 und 21 wurde »ein Objekt« durchsucht und Marihuana beschlagnahmt. Eine Bar, ein Gebäude, ein Objekt: der Gegenstand der Geschichte wird, während man berichtend davon schweigt, immer nebulöser.

Unter dem Suchwort »Stade Steile Straße« wird sich die Meldung der Polizei vom 26. Oktober 2019 nicht finden lassen, aber die illustrierenden Fotos stellen die Verbindung her.

Im »Rahmen eines […] langwierigen und umfangreichen Ermittlungsverfahrens« sind am Abend bis 21 Uhr neun »Objekte« (Gewerbebetriebe, Lager und Wohnungen) in Stade, Hamburg und Lübeck durchsucht worden.

Unter anderem wurden 300 Gramm Marihuana und fast 30.000 Euro sichergestellt und sechs Personen zwischen 23 und 50 Jahren vorläufig festgenommen.

Der Rest ist zum Rästseln. Eine vorbildliche demokratische und äußerst transparente Pressearbeit.

screenshot Hamburger Morgenpost

Der Lokalanzeiger am 10. Juni 2020 zum Beginn des Prozesses um das verrufene Haus: „Wenn Polizei und Staatsanwaltschaft richtig ermittelt haben, war eine Bar im Herzen der Stader Altstadt jahrelang ein florierender Drogenumschlagplatz. Prüfen müssen das jetzt die Richter der zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts Stade. Eine Mammutaufgabe.“

Hoffentlich stellen die Richter*innen auch die Frage, warum Polizei und Staatsanwaltschaft jahrelang ignoriert haben, was die Spatzen von den Dächern pfiffen. Die Vierte Gewalt wird gewiss keine Selbstkritik üben und ihr eigenes Versagen eingestehen.