Polizei und freie Presse bei der Arbeit
Redakteur ist ein Ausbildungsberuf. Da gibt es wirklich allerhand zu lernen. Und manche Lektion wird in aller Öffentlichkeit erteilt, wo sie sich als Lehrstück in politischer Korruption lesen lässt.
Tatort: das Stader Tageblatt. Produziert wird eine Meldung über einen „Telefon-Betrüger“.
Der Text ist mit einem Namenskürzel (hus) versehen, das auf der Website des Blatts nicht aufgelöst wird. In Frage kommt nur Sven H., ein Volontär.
Inhalt der Meldung: Jemand hat sich am Telefon als Polizeipressesprecher ausgegeben, um Auskünfte zu erhalten.
Die Lektion des Volontärs bestand darin, einen Text zu verfassen, der vorgibt, von einem Zeitungsredakteur zu sein – während er in Wahrheit vom Polizeipressesprecher stammt. Der Lehrling schreibt über Betrüger, indem er seine Leser betrügt.
Der Zeitungsartikel ist durch Ab- und Umschreiben einer Mitteilung auf dem → Presseportal der Polizei entstanden.
Der Schlüsselsatz, der die Täuschungsabsicht belegt, lautet: „Der Polizeisprecher betonte auf Nachfrage, keinerlei derartige Anrufe vorgenommen zu haben.“
Also hat der Volontär doch nicht bloß einen Text umgeschrieben, sondern das getan, von dem seine Leser glauben, dass sie ihn dafür bezahlen würden: Fragen gestellt.
Falsch. Der Satz stammt ebenfalls vom Polizeisprecher: „Der Stader Polizeisprecher Rainer Bohmbach betonte auf Nachfrage, keinerlei derartige Anrufe vorgenommen zu haben.“
Und damit ist der Sack zu, der Betrug bewiesen: „auf Nachfrage“ bei sich selber bestätigt der Polizeisprecher, dass der Sachverhalt korrekt wiedergegeben sei. Und er liefert dem so genannten Journalisten gleich den Satz mit, der den gemeinsamen Betrug bekräftigt.
So treiben es Pressestelle und Redaktion seit vielen Jahren, genau genommen seit der Zeitungsgründung im Kaiserreich. Wie gesagt: politische Korruption.
So oft ich Gelegenheit hatte, die Sachverhalte, die auf diese Weise von der Behörde über die vermeintliche freie Presse an das wahlberechtigte Publikum gelangen, zu überprüfen, fand ich sie fragwürdig. Eben deshalb wurde dieses Betrugssystem installiert: damit die Fragen gar nicht erst gestellt werden, auf die Polizei und Presse keine Antwort geben wollen.
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Weitere Erfahrungssätze zum Journalismus finden sich → hier; mehr zur Arbeitsweise des Stader Tageblatt im → Menüpunkt Medienkritik
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