»Nordmänner« in Stade und was man über sie wissen darf
In der Nacht von Samstag auf Sonntag, den 27./28. Januar 2018 kam es zu einem Großeinsatz der Polizei in Stade. Aus Gründen, zu denen niemand sie befragt, verzeichnete die Polizei nichts davon auf ihrer Homepage, wo sie sonst gern jeden Auto-Blechschaden der öffentlichen Aufmerksamkeit empfiehlt. Gleichwohl blieb das Geschehen im Gewerbegebiet Süd auf dem Gelände der berüchtigten Diskothek Metropol den Autofahrern auf der Bundesstraße 73 nicht verborgen, und so oder ähnlich gelangte eine Meldung in die Spalten des Lokalanzeigers.
Demnach sei „die Polizei gegen kriminelle Rockerbanden vorgegangen“. Außer einheimischen Kräften waren „Dutzende Beamte der Bereitschaftspolizei aus Lüneburg, Braunschweig und Celle“ damit beschäftigt, „Besucher einer privaten Veranstaltung“ zu kontrollieren. „Konkrete Angaben zu festgestellten Straftaten machte [der Pressesprecher der Polizei] nicht.“
Wie „privat“ die Veranstaltung war und wieso die Polizei zwar dazu kommt, mit großem Geschirr Besucher nach was auch immer zu kontrollieren, statt die Veranstaltung zu untersagen – mit Fragen dieser Art wird die Leserschaft des Stader Tagenblatt in der seit dem Kaiserreich über die Zeit des Nationalsozialismus hinweg gepflegten Tradition der „Unabhängigkeit“ allein gelassen.
Ein Klick auf facebook klärt auf. Die Veranstaltung war organisiert und öffentlich angekündigt von Rockern aus dem Umfeld der Hells Angels (steht hinter allem, wo »81« drauf steht) und beworben auf der Site der Nordmänner aus Stade.
Unter Letzteren finden sich manche altgediente und wohl auch neue Neonazis. Dass Motorrad-Banden den Braunen als Tarnung dienen, sollte in Stade bestens bekannt sein – spätestens seit dem Versuch Tostedter Neonazis, sich unter dem Label MC Gremium in der Symphonie am Schwingedeich niederzulassen, einst Ausflugslokal und Asylbewerberunterkunft. Freilich blieb das Tattoo-Studio der Bande mitten in der Stadt den Lokalreportern gänzlich unbekannt. (→ Spukhaus am Stadtrand)
„Polizeischikane auf dem Weg zur Party der Nordmänner[n] und Key Area in Stade“ posten die Betroffenen auf facebook: „Nachdem wir dran waren [,] fragte ich [,] was das hier soll [,] und bekam die Antwort [,] das[s] das eine Kontrollstation ist. Weder eine Verkehrskontrolle, noch eine Fahrzeugkontrolle, noch eine Personenkontrolle. Keiner konnte einem sagen [,] was der Grund dieser ganzen Aktion sein soll. Es wurde kein Gefahrengebiet erklärt. Denn sie wissen nicht [,] was sie tun!“
Der gemeine Bürger und Zeitungsleser weiß es ebenso wenig und soll es offenbar auch nicht wissen. Rockerbanden, aha! Denn Neonazis gibt es schließlich nicht, hat es nie gegeben. Stattdessen haben wir die AfD, und die ist „bürgerliche Mitte“. Inzwischen gelöschte Kommentare auf der facebook-Site des Tageblatt sollen dem Vernehmen nach eindeutig gewesen sein.
Ein Hoch auf den Konsens der Demokraten bei Polizei und Presse, die den Wahlbürger vor unliebsamen Wahrheiten schützen!
(Grundsätzliches über die Kumpanei von Polizei und Presse: → Unter Betrügern.)
Wahrscheinlich muss man schon eine durch Realitätswahrnehmung verdorbene Fantasie haben wie ich, um sich zu fragen, ob das Datum der Veranstaltung Zufall ist, und ob sich einige der „Besucher“ der „Party“ im Saal, ohne Polizei-Observanz, verbal oder bei der Musikauswahl auf den Holocaust-Gedenktag bezogen haben.
Anmerkung zur Namenswahl
„Gott schütze uns vor den Nordmännern!“ hieß es einst entlang der Elbe. Die Überfälle der Wikinger waren von solcher Wucht, dass sie Geschichte schrieben. Stade verdankt das erste schriftliche Zeugnis seiner Existenz dem Angriff der Wikinger 994, bei dem der Zeuge, Thietmar, der spätere Bischof von Merseburg, für einen Geiseltausch vorgesehen war, der doch nicht stattfand. (→ Thietmars Ritt nach Rosenfeld)
Ein Jahrtausend weiter gibt es in der Gegend einige, die sich mit den ehedem gefürchteten und verhassten Eindringlingen identifizieren. Das erinnert an die seltsame Verklärung, mit der der „Schwedenzeit“ begegnet wird. Mit dem Dreißigjährigen Krieg kamen die Schweden als Eroberer und blieben nach 1648 als Besatzer und Plünderer. Vermutlich wäre diese Episode vergessen, würden nicht mit Zeughaus und Schwedenspeicher markante Gebäude daran erinnern.
Vor bald 400 Jahren litt man unter den Schweden und hätte heutige Feierlichkeiten kaum verstanden. Dass diese einer so genannten „Völkerverständigung“ dienen, mag sein. Fragt sich aber, wie weit solches Verständnis reicht, wenn aus dem Blut der Wirklichkeit im Gedächtnis Zuckerguss wird.
Mit den Wikingern ist es ähnlich, aber anders. Die Bewunderung der Seekrieger ist mit keiner aktuellen Völkerverständigung verbunden; Dänen kommen dabei nicht vor. Nordmänner nennt sich eine Gang, der Neonazis angehören. Die Kombination ist nicht neu. Unter der legalen Schwarzen Sonne der Schutzstaffel prangt bei einem, der inzwischen auf die 40 zugeht, ein Keltenkreuz mit dem Schriftzug „Wikinger“ als Tattoo auf dem Arm. Nicht dass er mit beiden mehr verbindet als Bruchstücke von Klischees.

In Hinblick auf die Rolle, die die Gangster gesellschaftlich spielen, ist das Selbstbild passend gewählt: die neuen Nordmänner sind Räuber und Nachfahren der Plünderer und Vergewaltiger von anno 994.
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Am Vormittag des 27. August 2019 wurden mehrere Wohnungen von Nordmännern in Kutenholz, Kranenburg, Harsefeld und Lamstedt durchsucht. Betäubungsmittel, Waffen und Computer sollen als Beweismittel beschlagnahmt worden sein. Nähere Auskünfte verweigert die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen. Warum sie dennoch den Polizeireporter des Stader Tageblatt und nur diesen eingeweiht hat, muss sie nicht erklären. Das versteht sich von selbst.
Ein Screenshot beweist natürlich gar nichts, aber ich wurde bei dieser Präsentation des Polizeieinsatzes nicht darauf hingewiesen, dass es sich um ein heuer so genanntes „Symbolfoto“ handelt, mit dem man Geschichten bebildert, zu denen einem die Bilder fehlen. Dieses zeigt den tätsächlich stattgehabten Einsatz ebenso wenig wie ein zweites, das der Lokalanzeiger in Umlauf gebracht hat, aber es suggeriert allerhand.
Das Symbol zeigt keine Wirklichkeit, sondern eine, die sich vorgestellt wird. Damit befasste sich ehedem das Feuilleton, nicht der Polizeireporter. Inzwischen ist es Usus, scheinbar aktuelle Berichte mit Bildern zu versehen, die nur entfernt passend müssen.
Länger im Gebrauch verfaulen sie schließlich. Das Abziehbild von Neonazis als Glatzköpfe in Springerstiefeln wurde en vogue, als die Szene längst davon abgekommen war, sich selbst so zu markieren. Mit mehr als einem Jahrzehnt alten Fotos wurden frische Berichte illustriert.
By the way, wie alt ist diese Aufnahme eines Polizeieinsatzes? Ist sie authentisch oder gestellt? Aus dem Bestand der Polizei selbst? Ein Gruppenselfie?

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Seit er durch Straftaten Aufmerksamkeit erregte, wird der YouTuber MontanaBlack vom Lokalanzeiger als „Internetstar“ hofiert, weil Stars in der Provinzpresse erstens selten persönlich auftauchen und zweitens selbstverständlich nur bewundert werden können. Ein → Antifa-Blog dokumentiert unterdessen anhand von Fotos die Beziehungen des Mannes, der sich vormals MontanaBlack88 nannte und anscheinend mit einem Sportwagen verheiratet ist, zu den Nordmännern.
Das Foto, mit dem das Tageblatt einen erneuten Bericht illustriert, ist freilich nicht aktuell und wurde schon einmal verwendet. So nah steht man dem Star wohl doch nicht.
Der Artikel „Warum MontanaBlack vor Gericht musste“ erschien am 7. Oktober. Himmlers Geburtstag. Hat nichts miteinander zu tun? „Stiefel, Leder, Ketten, Eiserne Kreuze auf glänzenden Torsos und Hakenkreuze sind zusammen mit Fleischerhaken und schweren Motorrädern die geheimen und lukrativsten erotischen Utensilien geworden.“ Susan Sontag 1974 in ihrem Essay Faszinierender Faschismus. Mehr im Abschnitt „Schwarze Schönheit“ in → Weltanschauungen.
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ÜBERSICHT → Braune Bande. Neonazis in Niederdeutschland
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