Ein Stöckchen der „Alternative für Deutschland“, über das zu gern gesprungen wird
Als das Wünschen noch geholfen hat, hieß das Schlüsselwort einer zähen Debatte um den „Programmauftrag“ der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten „Ausgewogenheit“.
Verwundert reibe ich mir die Augen, wenn ich heute von einem Vertreter dieser Mediensparte, Georg Restle, lese: „Objektiv sollen sie [die Medien] sein, neutral und meinungslos: Es ist ein lupenreiner Dreiklang, der die Erwartungen an Medien in dieser Zeit kennzeichnet.“
Die Forderung nach „ausgewogener“ Berichterstattung eine Neuigkeit? Im Heiligtum der Halbgebildeten wikipedia heißt es zum Stichwort allen Ernstes: „ein Medium [dürfe] ‚nicht einseitig einer politischen Partei oder Gruppe, einer Interessengemeinschaft, einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung dienen.‘“
Zitiert wird aus den Sendegrundsätzen des WDR, einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt. Für die „Staatssender“, wie sie neuerdings mit alter Abfälligkeit (wie in linken Kreisen vor allem in den 1970ern und in rechten seit eh und je) von der Alternative für Deutschland gescholten werden, mögen Beschränkungen berechtigt sein, als Forderung an „die Medien“ ist sie barer Unsinn.
Georg Restles Titelfrage „Was dürfen Medien?“ ist rasch beantwortet: alles, was das Strafgesetzbuch nicht verbietet: Beleidigungen, üble Nachrede, Aufforderung zur Verübung von Rechtsbrüchen etc. „Ausgewogenheit“ war für die Rote Fahne kein Thema und ist es nicht für die Junge Freiheit.
So sitzt die Dauerdebatte um die Medien einer Verschwörungstheorie der AfD auf und lenkt von den Problemen ab, die sich durch die Neuen Medien stellen. Und die damit beginnen, worum genau es sich bei ihnen handelt und worin sie sich von öffentlich-rechtlichen Anstalten und herkömmlicher Presse unterscheiden, beziehungsweise worin diese sich jenen anverwandeln.
Die AfD hat natürlich keine Theorie, sondern drückt nur ihre Ängste aus. Dass ihre Hetzer die von ihnen offenbar hauptsächlich eingeschalteten öffentlich-rechtlichen Sender mit allen übrigen Medien in einen Topf werfen, deutet an, dass abseits jeder Sachfrage lediglich Stimmung gemacht wird.
Unlängst war ich Zeuge der Begegnung eines ehemaligen BILD-Redakteurs und heutigen AfD-Funktionärs mit seinen Parteifreunden. Die waren sehr neugierig auf seine Mitteilungen aus dem Innenleben der für sie wichtigsten (wenn nicht einzigen) Zeitung.
Ich musste mich sehr zusammenreißen, nicht laut aufzulachen, als Herr Dr. Nicolaus Fest von den parteipolitischen Präferenzen seiner Kollegen sprach und den Eindruck erweckte, die Redakteure würden mehr Politik machen als Schlagzeilen erzeugen.
Ich habe selbst ein paar Monate bei dem Blatt verbracht und kann bestätigen, dass es weder „objektiv“ noch „neutral“ und „meinungslos“ sein will. Aber seine Texte und Bilder sind nicht das Ergebnis parteipolitischer Überlegungen und schon gar nicht solcher Gedankengänge und Glaubenssätze, die der AfD entgegen stehen.
Die BILD hat schon zu meiner Zeit den Boden bereitet für Haltungen, die heuer vor allem (aber nicht ausschließlich) durch die AfD repräsentiert werden. Die Bemühung um eine möglichst krachende Story genügte.
Keine weitere Kalkulation vonnöten. Das läuft alles automatisch, man muss sich nur darauf einstellen. Eine Zeile knallt, indem sie die niedrigen Instinkte anspricht.
Neid kommt immer gut, auf „die da oben“ wie die „ganz unten“, die alle auf „unsere“ Kosten leben. Und weil der Bauch kein Gedächtnis hat, fällt den Lesern nicht auf, dass sich die Schlagzeilen von Tag zu Tag widersprechen können.
Auf der Titelseite blasen die Redakteure, ob mit CDU- oder SPD-Parteibuch oder keinem, zur Jagd auf Steuerhinterzieher, im Sport-Teil erfahren die Leser die neuesten Privatissima von ihrem Fußball-Kumpel Uli Honeß, der „den Staat“ um mehr Geld betrogen hat als die am nächsten an den Pranger gestellten Kohorten von Hartz-IV-Beziehern, die sich an „der Gemeinschaft“ vergangen haben sollen oder den Flüchtlingen, die das Land als Invasoren ausplündern.
Obwohl die BILD zu den Wahlhelfern der Partei gehört, galt sie den Mitgliedern und Anhängern, die Dr. Fest lauschten, als Feind und der Referent als Konvertit. Die Einordnung als „Lügenpresse“ hindert sie freilich nicht, reichlich BILD-Artikel auf ihrer facebook-Site zu verlinken, wenn diese die Tatsachen in der von ihnen selbst bevorzugten Weise „zuspitzen“.
So genau die zahlreichen Polizisten und Juristen in der Partei wissen könnten, dass ihre Parolen über Kriminalität hysterische Projektionen sind (im Kreisverband Stade nahmen sie trotz vermeintlicher Sachkenntnis bei der Darstellung „linker Gewalt“ zu einer bundesweit bekannt gewordenen plumpen und gerichtlich geahndeten Fälschung Zuflucht), so genau wissen die Journalisten in den Reihen der AfD, was sie ihren Wählern vormachen.
Dr. Fest täuschte die eigenen Leute mit seinem Erfahrungsbericht aus der BILD. Er untermauerte die Verschwörungstheorie der von den „etablierten Parteien“ gesteuerten Medien, obwohl ihm kaum entgehen konnte, dass er seine Zuhörer vor aller Kritik zunächst in Medienkunde hätte einweisen müssen und ihnen den Unterschied zwischen einer Boulevardzeitung und einem öffentlich-rechtlichen Sender hätte erklären sollen. Vielmehr tat er, als herrsche in der BILD-Redaktion ein ähnlicher Parteienproporz wie in den Rundfunkräten.
So viel ich gegen die Praktiken der Medien einzuwenden hätte hinsichtlich gründlicher und unabhängiger Recherche (mehr hier), ist die „Kritik“ der AfD unlauter. Fest, Gauland oder Hampel wissen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender so „ausgewogen“ wie möglich sind. Sie wissen auch, dass sie einen Teil ihres politischen Erfolgs ihrer überproportionalen Präsenz in Talkshows und Magazinen zu verdanken haben. Ihrem Fußvolk und Wählern machen sie das Gegenteil vor.
Eine Gehirnwäsche: indem „die Medien“ unter Generalverdacht gestellt werden, wird die Bahn frei für die tatsachenfreien Behauptungen und die Hetze, die bis dato alles ist, was von der Partei zu vernehmen war.
Sie operiert wie der Lokalchef der BILD in Berlin anno 1991. West-Taxifahrer kennen sich im Osten nicht aus und umgekehrt, stellte er sich vor und schickte mich auf Recherche. Ich fuhr einen halben Tag hin und her und stellte fest, dass Taxi-Fahrer ihr Gewerbe verstehen. Am nächsten Tag erschien trotzdem seine Geschichte, mit erfundenen Sätzen zu den Fotos der ortskundigen Fahrer, die ich gemacht hatte.
Das wäre etwas gewesen, dass seine Zuhörer Dr. Fest gern abgenommen hätten. Stattdessen salbaderte er von Parteipolitik in der Redaktion. Sonst hätte sich einer vielleicht fragen können, wie vertrauenswürdig ein Politiker ist, der als Produzent eines solchen Medienprodukts Karriere gemacht hat.
Dass man sich von ihm getrennt hat, weil er sich kritisch zum Islam geäußert hat, ist die Legende, auf die er sich mit dem Verlag verständigt hat. Wenn BILD lügt, wie spätestens seit Günter Wallraff Hans Esser war bekannt ist, braucht es eine gehörige Disposition zur Leichtgläubigkeit, Dr. Fest oder seinem Verlag in diesem Punkt zu vertrauen.
Es braucht die Veranlagung von Verschwörungstheoretikern, die vor lauter Begeisterung über die von ihnen erstmals entdeckten geheimnisvollen Zusammenhänge die Rattenfänger vergessen, nach deren Pfeife sie tanzen.
Wer sich auf die Aussagen der AfD über Medien einlässt, spielt nach ihren Regeln. Die „Lügenpresse“, den sie als Feind bezeichnet, ist ihr Verbündeter. Sich in dieses Double-bind zu verwickeln ist so hilfreich wie wikipedia zur „Ausgewogenheit“. Wenn ein Medium „nicht einseitig einer politischen Partei oder Gruppe, einer Interessengemeinschaft, einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung dienen“ dürfe – macht der Begriff keinen Sinn. Oder war Der Stürmer kein Medium?
25. Oktober 2017
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