Gedankengänge eines Funktionärs der „Alternative für Deutschland“
Als Journalist muss man sich allerhand anhören. So viele Gewährsleute, so viele Geschichten werden über die Sachverhalte erzählt, mit denen man sich befasst. Mindestens zwei unabhängige und belastbare Quellen sind vonnöten, um eine Tatsache behaupten zu können.
Dr. Nicolaus Fest könnte das wissen. Aber er war als stellvertretender Chefredakteur bei BILD vielleicht nie ein verantwortungsvoller Journalist, und als Funktionär der AfD genügt für seine politische Karriere die Bestätigung von Vorurteilen.
Nachdem ich mir einen persönlichen Eindruck von ihm verschafft habe (siehe → hier und → hier), erkenne ich ihn in seinem Blog wieder, den der Kreisverband Stade seiner Partei verlinkt.
Ich lese: „Freunde beobachten in Berlin den Streit zwischen einem jungen Paar mit Migrationshintergrund. Sie wirft ihm vor, er habe sie betrogen, er sagt ihr ähnlich freundliche Dinge. Großes Gebrülle, Tätlichkeiten sind nicht auszuschließen. Wie soll man reagieren? Zu schlichten versuchen? Das könnte die Wut des Paares auf die Schlichter lenken. Auch weiß man nicht, ob nicht einer bewaffnet ist, ein Messer ziehen könnte.“
Wer spricht hier? Die „Freunde“ oder der Autor? Wer vermutet, dass „einer bewaffnet ist“? Hat es überhaupt Sinn, gegen das zu argumentieren, was mit dieser Episode in die Welt gesetzt werden soll?
Um nicht davon zu reden, dass jemand, der nicht wie Herr Dr. Fest vorwiegend im Auto in Berlin oder sonstwo unterwegs ist, wie ich annehme, Ehezwistigkeiten auf offener Straße erleben kann, ohne daraus ein öffentliches Drama zu machen (Fests „Freunde“ alarmierten die Polizei), unterstellt die Schilderung der Episode den „Migranten“ Gewalttätigkeit.
Wie man die Wirklichkeit wahrnimmt, hängt von der Erfahrung ab, die man mit ihr hat. Dr. Fest berichtet, um daran zu erinnern, nicht von eigenen Erlebnissen, sondern zitiert eigentlich nur seine „Freunde“, deren Sicht er sich allerdings zu Eigen macht.
Ich habe einige Jahre lang fast jeden Montag im Amtsgericht verbracht, wenn Alltagsstraftaten verhandelt werden – wie der eskalierte Ehestreit. Ich habe nicht gezählt und keine Statistik geführt, aber dass migrantische Paare gewalttätiger wären, ist jedenfalls eine Legende.
Ein ordinärer Ehestreit, der die Passanten ängstigt, weil die ein Messer haben könnten, denn es sind „Migranten“, deutsche Staatsbürger vielleicht, jedenfalls keine Arier …
Dr. Fest wird als Generalsekretär seiner Partei ins Gespräch gebracht. Im digitalen Zeitalter sind die Demagogen und Hetzer keine Brüllaffen wie in den 1920ern. Es sind blasse Männchen aus gutem Hause, Erbsöhnchen wie Dr. Fest, der wahrscheinlich weiche Knie bekäme, wenn er in Berlin S-Bahn fahren müsste, weil er die nur aus Kriminalfilmen kennt.
Die Zerstörung der pluralistischen Zivilgesellschaft geht nicht von streitenden Ehepartnern aus, und wenn sie ein Messer hätten, sondern von Politiker-Darstellern wie Fest, die ihre und die Spießerängste ihrer Anhänger vorsätzlich mit der Wirklichkeit verwechseln.
2. November 2017
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