Wie die »Alternative für Deutschland« in Stade sich um sich selbst dreht
Die AfD kann es nicht. Ihr Unvermögen teilt sie mit den anderen Parteien. Weil sie sich aber als »Alternative« zu diesen ausgibt, ist ihr Versagen umso erbärmlicher. Die AfD sagt nicht, was Sache ist, sondern eiert herum oder lügt.
Der Kreisverband Stade ist im kollektiven Gedächtnis und bei google wie in der aktuellen Presse nur mit einer Sache präsent: der »Flyer-Affäre« und ihren Nachwehen. Das könnte schon alles besagen: herausragendes Merkmal der politischen Erneuerer, ach was: Revolutionäre ist ein plumper Betrug bei der Kommunalwahlpropaganda im Sommer 2016.
Sonst war von ihnen nichts Nennenswertes mehr zu hören. Nun haben sie Mandate und damit die Hauptsache erreicht. Soweit halten sie es wie die anderen Parteien und verwalten die Pfründe. Oder streiten darum.
Die »Flyer-Affäre« hat ihnen der Polizist Lars Seemann aus Apensen eingebrockt, als er ein Foto aus Griechenland, das dem Copyright unterlag, so manipulierte, dass der Eindruck entstand, seine Berufskollegen seien in der »Heimat« Angriffen der Antifa schutzlos ausgeliefert. Einen Strafbefehl akzeptierte er nicht, prozessierte und verlor, ging in Berufung – auf Parteikosten.
Vor einem Jahr schloss die Fraktion der AfD im Kreistag den Abgeordneten Seemann aus und im März in seinem Gefolge Jan Hensen. Auf facebook präsentieren die beiden sich gemeinsam.
Das klingt klarer, als es ist. Die Geschichte der AfD muss man sich zusammenstückeln aus den Verschleierungen des Lokalanzeigers, über den die Partei sich indirekt äußert. Auf ihrer Homepage und bei facebook schweigt sie sich aus.
Bis jetzt. Offenbar ist es so schlimm geworden, dass die vornehme Zurückhaltung aufgegeben wird. Auslöser sind Artikel des Stader Tageblatt, die thematisieren, was → an dieser Stelle bereits vor einem Jahr notiert wurde: dass der KV Stade mit Reichsbürgern durchsetzt ist.
Zunächst kündigte der Parteivorstand auf der Homepage rechtliche Schritte an. Jetzt veröffentlicht Jens Dammann, stellvertretender Kreisvorsitzender und Vorsitzender der Kreistagsfraktion, auf facebook ein Schreiben an das Tageblatt.
»In der Regel geht [!] der AfD-Kreisvorstand und auch ich nicht auf Fakes in der Presse ein«, lässt er wissen. »Die permanente Wiederholung von Lügen und Verleumdungen gegen den Kreisvorstand und meine Person in der Presse veranlassen mich nun zu einem Leserbrief.«
In der Regel macht die heimische AfD von sich selbst und um die eigene Arbeit vor Ort ein Geheimnis und verlinkt lediglich fleißig, was andere anderswo ausposaunt haben. Umso merkwürdiger, dass sie ihr Schweigen bricht, wo es bloß um Presselügen geht. (Für die eigene Flyer-Lüge hat man sich natürlich nie entschuldigt; auf die Wahrheit sollen nur alle anderen einen Eid schwören.)
»Zu meiner Person«, fährt Dammann fort, »ich bin weder Reichsbürger noch habe ich mich mit deren Inhalten beschäftigt. Hierzu habe ich vor der Justiz zu meiner persönlichen Absicherung eine eidesstattliche Erklärung abgegeben.«
Sehr seltsam. »Fakes«, die eigentlich nicht der Rede wert sind, ausnahmsweise doch aufgreifen und dann gleich mit einer eidesstattlichen Versicherung erwidern? Dass der Fraktionsvorsitzende sich mit den »Inhalten« der Reichsbürgerschaft nicht »beschäftigt« hat … soll wohl heißen, er hört nie hin, wenn seine Kreisverbandsvorsitzende redet.
Als Quelle des Tageblatt für die Reichsbürger-»Vorwürfe« benennt Dammann die »Verleumdungen« seiner Parteifreunde Seemann und Hensen. »Herr Seemann ist sowohl vor dem Amtsgericht als auch später vor dem Landgericht verurteilt worden. Mit der TAZ ist er in einem weiteren Verfahren. Der Kreisvorstand bereitet mehrere juristische Schritte gegen Seemann vor, um diese dauerhafte Parteischädigung endlich zu beenden. Auch zivil- bzw. strafrechtlich sind Maßnahmen in Vorbereitung.«
Streitet sie sich nicht im stillen Kämmerlein, sorgt die Partei also für Arbeit in der Justiz. Und hat weiter nichts zu sagen oder gar zu erklären. Außer dass mit schweren Geschützen aufeinander geschossen wird – wie Parteiboss Gauland formulieren würde. Wozu genau noch mal wollen die eine »Alternative« sein?
Fortsetzung 25. 8. 2018
Sie können es nicht. Eine zum außerordentlichen Kreisparteitag vom 22. August verfasste »Pressemitteilung« verdichtet den Nebel.
Man steht bei diesem Zank daneben, ahnt kaum, worum es geht und begreift schon gar nicht, woher die Erregung kommt und weshalb die Streithähne die Arena nicht verlassen und getrennte Wege gehen.
Und wenn sie sich schon vor Publikum angiften müssen, sollten sie sich diesem immerhin verständlich machen. Aber – das kommt einem Gesetz gleich – wer am lautesten seine Deutschtümelei heraus brüllt, hat eine große Schwäche: sein Sprachvermögen ist unterdurchschnittlich.
Wie bei Helmut Wiegers, dem Pressesprecher des Kreisverbandes. Er teilt mit, dass »durch ein konstruktives Misstrauensvotum mit einer Mehrheit von 25 zu 3 Stimmen das Vorstandsmitglied Jan Hensen abgewählt« wurde. Schön. Aber warum überhaupt der Zinnober? Wird nicht mitgeteilt.
Der Rest der Verlautbarung widmet sich Richtigstellungen eines Artikels im Stader Tageblatt mit dem Titel »Der AfD-Vorstand will Rebell Jan Hensen loswerden«. Wer das Angefochtene nicht kennt, darf rätseln, was Sache ist; was etwa den Ausdruck »Rebell« rechtfertigt.
»Es wurde zwar berichtet, dass der Polizeibeamte Lars Seemann auch vor dem Oberlandesgericht in der Strafsache ›Flyeraffäre‹ gescheitert ist. Nicht berichtet wurde, dass gegen kein weiteres Mitglied des Vorstandes in dieser Sache jemals ermittelt wurde und für die Verurteilung von Seemann noch nicht einmal eine Zeugenaussage früherer Vorstandsmitglieder erforderlich war. Damit wird seine Aussage, er ›sieht aber auch den Kreisvorstand als Schuldigen mit im Boot‹ ad absurdum geführt.«
Wer herumeiert, muss damit rechnen, missverstanden zu werden. Vor allem, was seine Motive für eine Wortmeldung anbelangt.
Des Pudels Kern scheint demnach zu sein, dass der Vorstand den Flyer mit dem Fake-Foto zwar abgesegnet hat – nachdem dieser sich aber als »Lügenpresse pur plus« erwiesen hat, will man den Seemann damit allein im Regen stehen lassen. Was der sich wiederum nicht bieten lässt.
Der Fälscher und seine Komplizen sind über Kreuz, nachdem ihr Coup misslungen ist. Schön. Bleibt dieselbe Bande. Ausschluss aus der Fraktion und dem Vorstand, aber Parteifreunde sind sie noch.
Die Wähler, die diesen Eiertänzern folgen, können sich ihre Entschuldigung vor der Geschichte schon mal zurecht legen. Muss man annehmen, dass sie noch dümmer sind als die Parteichargen und nicht merken, wie sie von diesen für dumm verkauft werden?
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