Der Stadtrat will sich nicht mit der NS-Geschichte abgeben

Da hat die Alternative für Deutschland einmal einen Treffer gelandet. Was in den vier Jahren, die sie in Kommunalparlamenten des Landkreises Stade sitzt, von der Neonazi-Partei zu hören war, beschränkte sich auf Stänkereien und ihren Beitrag zu einigen der im Internet umlaufenden Verschwörungsmythen. Zur Wahl trat die AfD bekanntlich mit einer plumpen Lüge an. (→ Die Flyer-Leier)

Dass die Pointe ihres Antrags im Buxtehuder Stadtrat, die NS-Vergangenheit aufzuarbeiten, sie selbst betrifft, dürfte den intellektuell unterbelichteten Mandatsträgern nicht aufgegangen sein. Hätte die Stadt nicht beharrlich verweigert, sich der eigenen Geschichte zu stellen, wäre die AfD vielleicht nie in den Rat eingezogen.

Die Neonazi-Partei war über die Biografie von Johannes Güthling gestolpert, die 2013 vom Osnabrücker Universitätsprofessor Hans-Jürgen Döscher veröffentlicht worden war. Als Leiter der Halepaghenschule hatte der SPD-Ratsherr Güthling 1966 eine Schülermitbestimmung eingeführt. Das Buxtehuder Gymnasium galt seither als „links“. 1968 hielt „Studentenführer“ Rudi Dutschke einen Vortrag in der Aula.

Der 1979 verstorbene Güthling war NSDAP-Mitglied gewesen, Lehrer an einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt „Napola“, SS-Sturmbannführer im Sicherheitsdienst SD und ausgezeichneter Soldat der Wehrmacht. Bei der Entnazifizierung unterschlug er seine SS-Zugehörigkeit, wurde als „Mitläufer“ eingestuft und konnte seit 1950 wieder als Lehrer arbeiten.

Die AfD mutmaßt zu Recht, dass es in Rat und Verwaltung nach 1949 weitere solche Personen gegeben haben könnte und stellte dazu eine Anfrage, die im Kulturausschuss nicht beantwortet wurde. Also legte sie den Antrag vor, die angeblich nicht vorhandenen Erkenntnisse zu beschaffen.

Im Stader Tageblatt heißt es dazu: „Ein Hauptgrund für die mehrheitliche Ablehnung des Antrags: Grundlage dafür wäre die Aufarbeitung der Zeit von 1933 bis 1945. Die hat gerade erst begonnen: Ein neuer Mitarbeiter im Stadtarchiv erfasst das Material. Dafür wurde eine auf zwei Jahre befristete Stelle geschaffen.“

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ein Dreivierteljahrhundert nachher, nachdem man auch hier wie überall bei passender Gelegenheit Betroffenheitsrituale abgehalten hat, fängt man in Buxtehude an, zumindest förmlich Feststellungen zur Geschichte des Nationalsozialismus treffen zu wollen.

Dass besagter Mitarbeiter im Stadtarchiv sonderlich fündig werden wird, ist nicht anzunehmen. 1986 hatte der Rat einen Schülerwettbewerb über „politische Verfolgung, Hitler-Jugend, jüdische Mitbürger und Ratsarbeit“ ausgelobt, zu dem kein einziger Aufsatz eingereicht wurde. Die Schüler hatten, ausweislich eines Artikels im Tageblatt, den Eindruck, „das Archiv sei geschönt worden um belastendes Material für Alt-Nazis beiseite zu schaffen“.

Außerdem ist die Aussage, die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte beginne erst jetzt, nur die halbe Wahrheit. 2003 versuchte der Rat auf Anregung eines vormaligen SPD-Bürgermeisters eine Episode im Sinne eines in Neonazi-Kreisen hoch angesehenen Buxtehuder Geschichtsrevisionisten umzulügen. Die Übergabe der Stadt an die Briten im April 1945 sollte als Heldenlegende „für die Zukunft, für die Jugend“ überliefert werden. Namentlich sollte ein Admiral dafür geehrt werden, dass er keine Kampfhandlungen befahl und damit gegen Hitlers Anweisungen verstieß. Fünf Tage, nachdem der Admiral in Buxtehude kapituliert hatte, wurde in Wilhelmshaven ein Soldat erschossen, den er als Marinerichter zum Tode verurteilt hatte, weil er vom Glauben an den Endsieg abgefallen war. (→ Mission Friedensplatz)

Bereits vorher fand eine Auseinandersetzung um eine andere NS-Geschichte statt, auf die die AfD eingeht, um ihren Vorstoß zu erklären. „Warum beschäftigt sich die AfD in Buxtehude mit diesem Themenkomplex?“, fragt sie auf ihrer Homepage. „Ist doch alles lange her und eigentlich haben wir in der Stadt ganz andere Probleme? Oberflächlich gesehen ist das richtig. Nur haben wir es in Buxtehude und im Landkreis seit geraumer Zeit mit dem massiven Versuch zu tun, die Geschichte und auch die Geschichte der Stadt Buxtehude in eine stalinistische Version umzuschreiben.“

Auch damit hat sie einen Treffer gelandet. Die Aufarbeitung der NS-Geschichte findet allerdings seit vielen Jahren vor allem auf Betreiben eines Kommunisten statt, der dazu inzwischen auch die Linkspartei einspannt, dessen Gebaren sich als autoritär beschreiben ließe und der regelmäßig demokratische Spielregeln missachtet. Mit dem Beispiel, das die AfD dazu anführt, demonstriert die Partei jedoch, dass es ihr nur auf Hetze ankommt.

Erstmals hat sich die politische Klasse in Buxtehude zum Nationalsozialismus verhalten müssen, als vorgeschlagen wurde, den Widerstandskämpfer Rudolf Welskopf zu würdigen. (→ Wege des Widerstands) Die AfD nennt ihn einen „Stalinisten, der unter der Regierung Walter Ulbricht im DDR[-]Reichsbahnministerium gearbeitet hat“, und zeigt damit, dass es ihr gewiss nicht um einen wahrhaftigen Umgang mit historischen Tatsachen geht. Welskopf hätte weitaus gewichtigere Positionen im DDR-Regime einnehmen können, wenn er gewollt hätte. Er hielt sich vielmehr politisch bedeckt, um der Karriere seiner Ehefrau nicht zu schaden, der er die Flucht aus dem Konzentrationslager zu verdanken hatte. Liselotte Welskopf-Henrich schrieb Romane über Indianer, die auch im Westen Bestseller wurden.

75 Jahre nachher genügt es freilich nicht, dass irgendein vom gegenwärtigen Establishment bestallter Historiker feststellt, was sich bis 1945 zugetragen hat. Inzwischen gehört auch der Umgang mit den zwölf Jahren des Dritten Reichs zur Geschichte. Die AfD hat den Finger in eine offene Wunde gelegt. Aber in Buxtehude ist niemand bereit, damit redlich zu verfahren. Weder die Politik noch die Presse. Und Historiker, die unvoreingenommen forschen, gibt es in der Stadt sowieso nicht.

Die Wahrheit tritt gegen die politische genehme Legende an und wird tot gehetzt, bevor sie los laufen kann.