Der Humor der Tageszeitung aus Stade

»Kein Scherz: Das Altländer TAGEBLATT wird am 1. April 2019 125 Jahre alt. Anlässlich des Jubiläums fragen wir: Wie viel Altländer steckt in Ihnen? Machen Sie den Einbürgerungstest!«

Kein Scherz, so steht es am 31. März im Stader Tageblatt. Der Regionalismus ist eine Steigerung des Nationalismus, die nicht erst seit gestern, seit die Alternative für Deutschland und den Landkreis Stade ihren Sitz in Grünendeich im Alten Land hat, an der Unterelbe mit eifernder Inbrunst propagiert wird. Die Altländer sind anders als die Stader und die Bewohner der Geest: so war das seit altersher, als geografische Unterschiede von weitaus größerer Bedeutung waren als heute. Wie die Redakteure der Zeitung sehr wohl wissen könnten, denn sie sind immer vorne weg, wenn die »Metropolregion Hamburg« beschworen wird und beschreiben sie täglich in ihrem Blatt, freilich so, als würde es für einen Einwohner Stades von mehr als marginalem Belang sein, was in irgendeinem Winkel von Hamburg passiert sein soll und scheinbar zufällig für die Berichterstattung ausgewählt wurde. (→ Spießers Denkbilder)

In sich stimmig ist das Weltbild nicht, das vom Lokalanzeiger gezeichnet wird, aber es hat eine klare Richtung: Aus- und Abgrenzung zwischen denen, die dazu gehören, und denen, die für nicht-dazugehörig erklärt werden.

Wie immer man ein Spiel um Eigenschaften der Altländer (im Unterschied zu Neuländer?) nennen könnte, hat man sich für »Einbürgerungstest« entschieden. Als genüge im Rathaus von Jork keine einfache Meldebescheinigung, sondern als müsse man sich auf andere Weise dadurch qualifizieren, seinen Wohnsitz im Alten Land nehmen zu dürfen. Und wo man nun schon einmal trotzdem da sei, obwohl kein Eingeborener, müsse man immerhin im Nachhinein seine Berechtigung dazu zu gehören unter Beweis stellen.

Das Altländer Tageblatt gibt es schon lange nicht mehr, die Redaktion wurde geschlossen. Der Lokalanzeiger selbst steht mithin für Einvernahme, Anverwandlung, Verschmelzung oder wie immer genannt werden kann, was nicht die Unterschiede verstärkt, wie das Blatt es scheinbar scherzend tut.

In der Tat: die Altländer sind eigenartig; das habe ich habe als Jugendlicher in den 1970ern und später wieder bei Recherchen ab den 1990ern erfahren. Jene Altländer, die sich als Eingeborene begreifen und Fremde noch nachhaltiger verbeißen, als es in Stade und auf der Geest üblich ist. Der schmale Streifen Obstmarschenland war einmal eines der am dichtesten besiedelten Gebiete Europas und vergleichsweise vermögend. Die Touristen, die für wenige Wochen einströmen, erinnern an eine Pracht, die nurmehr ihretwillen entfaltet wird. Die Illustration des Lokalanzeigers für ihr Spiel zeigt zum Einbürgerungstest die Abziehbilder der Fremdenverkehrswerbung: Äpfel, Blütenkönigin, Fachwerkhäuser.

»Wie viel Altländer steckt in Ihnen?« Wie bereit sind Sie, unser Spiel mitzumachen und sich wie Touristen in eine Welt von vor 125 Jahren zurück zu träumen, in der durch Ihr Dorf kein Zug fuhr wie heute, aber auch kein Auto; wo Sie im Schiff nach Hamburg gelangten. Wo Sie nicht mit dem Flugzeug sonstwo hin reisen konnten, wie die Fremden, deren Beherbergung neben dem Ostanbau Ihre Hauptbeschäftigung ist. Sofern Sie nicht einfach hier wohnen und woanders arbeiten und keine weitere Anbindung an die Ortschaften haben und der Fremdenverkehr für Sie nur eine Behinderung darstellt.

Kein Scherz: die Zeitung begeht ihr Jubiläum mit einem Spiel, das in einer Welt angesiedelt ist, die sie mit anderen teilt, die ihre eigenen Einbildungen für eine Beschreibung der Wirklichkeit halten.

Von einem, den es nach eigenen Worten 2008 »ins Alte Land gespült« hat und der das, was er und seinesgleichen Volk nennen, im Kreistag zu Stade vertritt, lese ich gleich nach dem Tageblatt einen facebook-Post, in dem die Ballung der fremdenfeindlichen Wut die eigenen Sätze sprengt.

facebook-Post Jan Hensen

Mein letzter Aufenthalt im Alten Land war keiner, sondern ein Durchfahren. Am Steuer einer von denen, die der AfD-Abgeordnete Jan Hensen (→ Die Flyer-Leier der AfD) zu meinen meint, obwohl er sie mutmaßlich nicht kennt, bzw. nur durch das, was besagte Zeitung ihn über sie wissen lässt. Er habe mal hier gewohnt, sagte der Autolenker, als wir eine Stelle passierten, ich kann nicht genau sagen, in welchem der Straßendörfer es war; sieht im Vorbeirauschen alles ziemlich ähnlich aus. Es hat ihm nicht gefallen dort; nicht nur, weil er als Schwarzkopf damals noch mehr auffiel als heute.

»Wie viel Altländer steckt in dir?«, brauche ich nicht zu fragen. Regionalismus, Heimattum hat für ihn ein anderes Gepräge als für Deutschtümler. Ihm reicht schon der Nationalismus und die allgegenwärtige Frage, wieviel Deutscher in ihm stecke, wo er zwar einen deutschen Pass, aber keine deutschen Wurzeln, keine deutsche Geschichte hat.

Von den »Deutschen« reden wir mitunter beide und meinen jene, die sich für besonders deutsch halten wollen und damit eine spezifische Engstirnigkeit meinen. Dem Alten Land stehen wir ähnlich weit fern. Dass er ein paar tausend Kilometer weiter weg geboren ist als ich macht für die echten Altländer keinen Unterschied. Nicht für die, die auf Jahrhunderte von Wurzelwerk zurückblicken können wie jene, die sich verwurzelt haben, indem sie sich als Altländer im Sinne des Obstblüten-Klischees begreifen.

125 Jahre Zeitung, und der Horizont ist noch so eng wie im Kaiserreich, als er erstens technische Gründe hatte: Nachrichten aus der Region blieben in der Region, die für den Zeitungsvertrieb erreichbar war, und zweitens die Zensur Schranken setzte. Inzwischen hat sich die Region ebenso aufgelöst wie die Zeitungsredaktion vor Ort nicht mehr existiert; sie wird als Abziehbild, dem nur eine partielle touristische Realität entspricht, am Leben erhalten. Technisch sind keine Grenzen mehr gesetzt, aber die Köpfe sind nicht weltläufiger geworden und bleiben auch ohne Zensur beschränkt.

Welche Konturen das reale Gebiet am Unterlauf der Elbe zwischen Stade und Hamburg inzwischen hat und worin es sich eventuell von anderen unterscheiden könnte, wird man der Zeitung allenfalls indirekt entnehmen können, indem man ihre Berichterstattung untersuchte und besonders auf das achtet, was sie auslässt oder mit ihrem Humor vertuscht.

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