Wie im Kreistag in Stade mit der AfD verfahren wird

Als Untertan muss ich das natürlich nicht verstehen. Auf der Homepage des Kreistages zu Stade steht: »Auch wenn es in der Öffentlichkeit manchmal anders wirkt, der Kreistag ist kein Parlament, sondern ein Selbstverwaltungsgremium. Das heißt: Es werden Verwaltungsentscheidungen getroffen. Heftige Wortgefechte zwischen politischen Gegnern sind eher selten. Schließlich geht es bei allen Entscheidungen um das Wohl der Bürgerinnen und Bürger – da sind sich alle einig.«

Kein Parlament also. Trotzdem gibt es Debatten, die von der Öffentlichkeit als politischer Streit missverstanden werden. Als Untertan muss ich das nicht begreifen.

Ich habe aufgepasst: seit der Wahl 2016 war von der Anwesenheit der Alternative für Deutschland im Kreistag nichts zu vernehmen – außer ihrem eigenen Gezänk in den Nachwehen der Flyer-Affäre. Nun hat sie erstmals inhaltlich auf sich aufmerksam gemacht.

Dass sie bisher von der Staats- und Lügenpresse unterdrückt worden wäre, kann sie nicht behaupten. Immer wieder habe ich vergeblich auf ihrer Homepage nachgeschaut und nichts gefunden, womit die AfD überhaupt und schon gar nicht als »Alternative« in Erscheinung getreten wäre. Falls sie etwas getan hat, verschweigt sie es selbst.

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Ausbauflächen für Windkraftanlagen standen auf der Tagesordnung des Ausschusses für Umweltfragen und Regionalplanung, und die Partei hatte einen Antrag eingereicht (den sie selbst nicht dokumentiert, sondern auf die Website eines Radiosenders aus der Eifel verlinkt, der sie das Material dazu entnommen hat [im Verlinken ist das AfD-Personal ganz groß; offenbar weil ihnen eigene Worte fehlen]). Bündnis 90/Die Grünen beantragten wiederum, sich nicht mit dem AfD-Antrag zu befassen, und erhielten dafür eine Mehrheit.

»Wir sollten unsere Zeit nicht mit kruden Verschwörungstheorien vertun«, wird die »Co-Fraktionssprecherin« der Kreistagsfraktion der Grünen im Stader Tageblatt zitiert. Ihre eigene und drei SPD-Stimmen reichten, weil CDU, Freie Wählergemeinschaft und FDP sich enthielten.

»Wenn man keine Argumente mehr hat, hilft nur noch denunzieren und totschweigen«, frohlockt die AfD. Und die Vorsitzende des betreffenden Ausschusses, die CDU-Abgeordnete Arnhild Biesenbach, scheint diesen Triumph geahnt zu haben, denn sie hatte für eine Debatte (die es gar nicht geben darf) um den AfD-Antrag votiert, weil sie, wie sie dem Lokalanzeiger erklärte,  »die AfD bei dem Thema lieber inhaltlich gestellt hätte«.

Die Grünen könnten sich erinnern, dass die gegenwärtige Eintracht, mit der Windparks installiert werden, nicht vom Himmel gefallen ist, und dass es auch in ihren eigenen Reihen Bedenkenträger gab. Aber natürlich täusche ich mich, wenn ich mich an Debatten um Windenergie erinnere, die im Kreistag nie stattgefunden haben können. Wahrscheinlich lässt mich einfach mein Gedächtnis im Stich, und ich bilde mir die Gespräche ein, die ich seit Mitte der 1990er Jahre mit Landwirten, Rotorenherstellern, Windparkplanern und Politikern geführt habe. Von der Eiapopeia-Energiewende habe ich nie etwas gehört – außer in jüngeren Publikationen einer Presse, die sich nicht durch den Verkauf von Zeitungen, also durch ihre Leserschaft, finanziert, sondern aus Quellen, über die die Öffentlichkeit nichts erfährt. So dass sich darüber nur Verschwörungstheorien basteln lassen …

Dass nicht alles, das dem entgegen steht, was die AfD das »ideologische Weltbild« der Grünen nennt, einer Verschwörungstheorie entsprungen ist – daraus ergäbe sich ein Anlass, über das Demokrativerständnis der gegenwärtigen Grünen im Kreistag ein paar Gedanken anszustellen.

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Mich erinnert das aktuelle Vorgehen an eine andere Debatte, die nie stattgefunden haben darf, ginge es nach der Selbstbeschreibung des Kreistages. Am 19. September 2012 stand die nächtliche Abschiebung eines Ehepaars mit zwei kleinen Kindern aus Fredenbeck auf der Tagesordnung. Die Eltern, 29 und 24 Jahre alt, waren als Kinder mit ihren Eltern vor dem Bürgerkrieg aus dem Kosovo geflohen.

In der Lokalpresse wurde eine künstliche Empörung erzeugt, die in einer Demonstration vor dem Kreishaus gegen die Abschiebung gipfelte. Es erschienen ein paar mehr als die angemeldeten 20 Personen, vornehmlich Funktionsträger von SPD, Grünen und Linkspartei, die sowieso zur anschließenden Sitzung gehen würden. Im Bericht des Lokalanzeigers wurden daraus 42 Personen im Text und 70 in der Bildunterschrift. Die Empörung über die Abschiebung beschränkte sich auf die politische Klasse, die letzthin dafür verantwortlich war.

In der Sitzung zitierte eine SPD-Abgeordnete Hannah Arendt: »Keiner hat das Recht zu gehorchen«. Gemeint waren sowohl die Mitarbeiter der Ausländerbehörde wie die Polizisten, die die Abschiebung durchführten. Doch schon im nächsten Satz wurde das Verhalten der Beamten jeder Kritik enthoben und ihnen bescheinigt, sie hätten nach Recht und Gesetz gehandelt, als sie ihre Befehle befolgten.

Der Wortführer der CDU erregte sich darüber, dass eine SPD-Vertreterin von »deportieren« gesprochen habe; den Ausdruck wolle er »aus dem Wortschatz gestrichen« haben. Sein Kollege wollte es »Inobhutnahme« genannt wissen. SPD, Grüne und der Linke beschworen eine nicht näher definierte »Menschlichkeit«; für die CDU war alles nur »Theater«.

»Ich hätte mir gewünscht, dass nicht nur die Familie aus Fredenbeck abgeschoben werden würde, sondern alle im Landkreis geduldeten Ausländer«, begann der NPD-Vertreter seinen Beitrag. Das Weitere ging in »Pfui«-Rufen unter; das Publikum und einige Abgeordnete verließen den Saal. Bevor die Unruhe sich gelegt hatte und Adolf Dammanns Sätze wieder verständlich geworden wären, ermahnte der Vorsitzende ihn und entzog ihm schließlich daWort, weil seine Aussage »der Volksverhetzung nahe kommt«.

Er habe gedacht, es handele sich um eine politische Debatte, erwiderte Dammann. »Ich bin nicht hergekommen, um ein einheitliches Lied zu trällern«; er glaube, er habe das Recht, »einen anderen Tenor« anzuschlagen. »Das war kein anderer Tenor«, entgegnete der Vorsitzende und drohte ihm den Rauswurf aus dem Saal an. (Er sagte nicht: im Kreistag wird gar nicht debattiert. Stand der oben zitierte Satz damals noch nicht auf der Homepage?)

SPD, Grüne und Linkspartei verabschiedeten einen symbolischen Antrag zur Rückholung der Abgeschobenen. Die CDU stimmte für gar nichts. Erst in der nächsten Sitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit nahm sie einen Antrag an, der verhinderte, dass das Thema vor der Vollversammlung des Kreistags verhandelt wurde. Ihre Begründung: damit die NPD kein Podium erhalte. Ohne zu Wort zu kommen, bestimmte Dammann, wo es lang ging.

»Weil er dies [weitere Abschiebungen] mit fragwürdigen Argumenten untermauerte, verließen zahlreiche Abgeordnete und die Zuhörer den Saal«, vermerkte der Lokalanzeiger über seinen Auftritt. Tatsächlich sprangen sie beim ersten Satz auf und hörten keine »Argumente« mehr. Wenig später konnten sie diese nachlesen, als Selbstdarstellung des Landtagskandidaten in derselben Zeitung. Was Dammann forderte, wovon die CDU nicht reden wollte und alle Ausländer wissen: so viele Abschiebungen wie irgend möglich ist das Hauptanliegen der praktischen Ausländerpolitik.

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Offenbar meint der Kreistag, mit der AfD auf ähnliche Weise verfahren zu müssen wie ehedem mit den Nationaldemokraten. Dabei ist der Erfolg der AfD auch ein Produkt der Strategie der Ausgrenzung und Nichtbefassung mit dem Neonazismus: dass man NPD und andere nie inhaltlich stellte und es bei Diffamierungen beließ. (Man war geradezu stolz auf sich, von »braunem Gesocks« gesprochen haben.)

Vor wenigen Tagen wurde erneut eine nächtliche Abschiebung mit Kindern, diesmal in Grünendeich, gemeldet. Und nichts weiter. Keine Empörung der Verfechter von Menschlichkeit diesmal.

Abschiebung war gestern, heute ist Klimawandel angesagt. Eine gewisse Greta weilt im nahen Hamburg, und die Grünen können von dieser Aufbruchsstimmung gar nicht genug kriegen. Die SPD hinterdrein.

CDU, FDP und Freie Wähler enthielten sich der Stimme. Weil sie noch nicht ganz für die Demokratie verloren sind? Oder weil sie es nur nicht für opportun halten, ihre Zweifel am politisch-korrekten Konsens laut zu äußern wie die AfD? Oder liegt es daran, dass ihnen Debatten, die sie nicht führen sollen, so ungewohnt sind, dass sie eine mit der AfD scheuen?

Ich Untertan werde das nicht erfahren und muss es ja auch nicht verstehen.

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