Wie ein Parteilinker aus Buxtehude und eine Zeitung mit den »Feindes- und Todeslisten« von Neonazis Angst machen
Wenn das keine Pointe ist!
Damals, mehr als zehn Jahre her, als ich meinen ersten Blog betrieb und zugleich regelmäßig aus erster Hand über die Aktivitäten von Neonazis berichtete, verlangte ein gewisser Herr K. vom Blog-Betreiber, ich müsse ein Impressum an- und meine persönlichen Daten offenlegen, weil ich mich vermeintlicher Rechtsbrüche schuldig gemacht hätte. Der Betreiber fand nichts Anstößiges in meinen Publikationen, aber dennoch, dass ich meine Adresse angeben müsse.
Ich erhielt Wahlkampfgeschenke der NPD im Briefkasten, aber die anderen Bewohner des Hauses wurden nicht dadurch beeinträchtigt, dass mich Neonazis bedroht hätten, oder bedrohten mich, weil meine Anwesenheit ihnen Schaden bereiten würde. Herr K. erreichte mithin nicht, was er wollte.
Er nahm mich ins Visier und wollte mich abschießen, weil ich die Machenschaften in seiner Partei, die längst öffentlich geworden waren und die ich in Zeitungsartikeln lediglich skizzieren konnte, auf meinem Blog eingehend dokumentiert hatte. Dafür seien das Internet und die Meinungsfreiheit nach Ansicht von Herrn K. nicht da.
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Am 3. August 2019 brachte das Wochenblatt eine Titelgeschichte, die es Herrn K. verdankt, und in der es um die vermeintliche Bedrohung durch Neonazis geht. Über eine spezielle Kompetenz von K. in diesem Bereich wird die Leserschaft nicht informiert, und da gäbe es auch nichts mitzuteilen.
Herr K. wird als »Blogger« bezeichnet, was streng genommen falsch ist. Er unterhält eine Website für sein IT-Gewerbe und postet zwischendurch auch anderes. Ein Impressum hat er, doch dieses verrät so wenig wie die Zeitung, was er sonst noch ist: Ratsherr der Linkspartei in Buxtehude.
Was von Listen wie »Nürnberg 2.0« zu halten ist, die K. sich auf seiner Site vornimmt, habe ich an anderer Stelle bereits ausgeführt (→ Wieder einmal Rechtsterrorismus) und unterstreiche es hinsichtlich der Liste, die das Wochenblatt vorstellt: Panikmache.
»Ziel ist es, Angst zu schüren und Verunsicherung zu verbreiten«, zitiert das Wochenblatt eine Sprecherin des Landeskriminalamtes Niedersachsen. Terror eben. »Wir wissen, dass es diese und andere Listen gibt«, heißt es von der Polizei in Stade. »Aktuell gebe es keine Ermittlungen«, lässt sie die Zeitung wissen. Versteht sich bei einer vier Jahren alten Liste, über die u. a. bereits Der Spiegel berichtete. Und zumal es sich um die gehackte Kundenliste eines Internet-Versandes handelt und nicht um eine Aufstellung, die von organisierten Neonazis mit Motiv und Mühe angefertigt wurde.

Was bewegt die Zeitung, heute Alarm zu schlagen und zu titeln: »Opfer auch aus der Region«? Sie und Herr K. schwimmen auf der Welle einer Einschüchterung, die den Neonazis bis dato selbst nicht gelang.
Vor vier Jahren wurden die »Opfer« nicht informiert; die Polizei machte kein Aufhebens. Ein Fehler? Weil inzwischen Walter Lübcke erschossen wurde? Oder weil plötzlich Leute, die von Neonazis bis dahin nichts wissen wollten und verharmlosten, was das Zeug hielt, Polizisten und Juristen eingeschlossen, zur Zeit pro forma so tun, als seien sie aufgewacht? Weil es gerade Zeitgeist ist, sich als »Antifa« darzustellen?
Die »Drohgebärden im Netz«, wie das Wochenblatt selbst sie nennt, werden durch die eigene Sensationsaufmachung verstärkt. »Sorgen werde sie sich aber nicht machen«, erklärte eine »Betroffene«, die aus heiterem Himmel vom Redakteur mit ihrem Opferstatus bekannt gemacht wurde.
Ist es verantwortungsvoller Journalismus, jemanden von der Liste anzurufen und aufzuschrecken? Ginge es um Aufklärung, hätte man immerhin den Namen des Versandhandels nennen können, so dass jene, die dort bestellt haben und die man nicht angerufen hat, wissen könnten, was aus ihren Daten geworden ist. Und man hätte den Artikel online gestellt, um größtmögliche Verbreitung zu erreichen. Aber dann hätte jeder, der googelt, → https://www.mimikama.at/allgemein/die-25-000-mitglieder/ angezeigt erhalten und lesen können, was das Wochenblatt verschweigt.
Für die Zeitung verbietet sich der Vorwurfston an die Polizei, sie habe die »Opfer« im Unklaren gelassen. Sie und ihre Reaktion auf den Bericht sind der Redaktion egal. Den »Opfern« hülfe der Wirbel nichts, falls sie welche wären. Außer Verunsicherung ist nichts zu gewinnen. Gegen eine abstrakte Gefahr gibt es keine konkrete Abwehr, und eine konkrete Gefahr wird auch von der Zeitung nicht bezeichnet.
Wer im faktischen Focus von Attentätern steht, braucht kein Wochenblatt und keinen Herrn K., um es zu wissen und lebt seit vielen Jahren damit. Seit damals, als »Antifa« im Wochenblatt mit Krawallmachern und Rowdytum assoziiert wurde; als demonstrierende Neonazis wie Opfer »gewaltbereiter Chaoten« erscheinen konnten; wenn die Polizei zum Schutz der Neonazis vor der Antifa mit Großaufgeboten anrückte. Zuletzt in der Region vor drei Jahren, nach Bekanntwerden der beschworenen »Feindesliste« – und es war kein Anlass für die Zeitung, »Antifa« und »Opfer« zu verbinden.
Grund zur Sorge gibt es freilich reichlich: vor CDU- und CSU-Politikern, die der AfD mit deren Themen und in ihrem Jargon Wähler abjagen wollen; vor dem Nationalsozialismus, der allen Erhebungen nach in den Köpfen eines Viertels der Bevölkerung fest verankert ist. Aber manifeste Angst vor militanten Neonazis und deren Anschlägen? Um als »Opfer« in Betracht zu kommen, reicht es nicht, online einen Sticker bestellt oder einen Button auf facebook gedrückt zu haben.
Während ich in der Holzstraße von Stade sitze und diese Gedanken entwickle, läuft eine Familie an mir vorbei, Vater, Mutter, Kind. Der Mann trägt ein Antifa-Logo breit auf der Brust. Ist der wahnsinnig, lebensmüde, verantwortungslos? Bringt mit seinem Bekenntnis nicht bloß sich, sondern auch Frau und Kind in Gefahr! Ist es der eigentliche Zweck des Zeitungsartikels, solche Überlegungen anzuregen?
Eine Berichterstattung, die ihre parteipolitische Anregung und die eigene Inaktualität verschweigt, kann jedenfalls nicht seriös genannt werden. Nur ein kleiner Schritt noch, und es wäre Fake-News. In puncto Realismus wie im Tonfall ist derartiges Gerede über Neonazis so abwegig wie das, was diese über Ausländer in die Welt setzen.
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Zufällig hereingegoogelte Leser seien nochmals darauf hingewiesen, dass ich, anders als Herr K. und die Redaktion des Wochenblatt Neonazis nicht nur vom Hörensagen kenne und unverdächtig sein sollte, die Gefahr durch sie zu verharmlosen. Siehe z. B. auf diesem Blog: → BRAUNE BANDE. Neonazis in Niederdeutschland.

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