Anmerkungen zu Klima und Horror am Beispiel von H. P. Lovecrafts Mountains of Madness

Als bedroht waren Arktis und Antarktis schon einmal in der Welt. Manche Aufnahmen von leidenden Eisbären, die heute in den Sozialen Netzwerken kursieren, wurden wohl schon in den 1980ern gezeigt, als die Medien mit sterbenden Pinguinen vertraut machten und Eisbergen beim Schmelzen zugesehen werden konnte.

Diese Wiederkehr der Abbildungen gibt den protestierenden Kindern und Jugendlichen gegenüber ihren Eltern ebenso Recht wie sie die Verlogenheit derer markiert, denen es damals egal war, was sie wissen konnten, und eben jene Kinder unverdrossen weiter zu Weltbesitzbürgern erzogen, wenn sie sich gegenwärtig als aufgeklärt und geläutert die Vorwürfe der Heiligen Jungfrau zueigen machen.

Der Mensch, der während der längsten Zeit seiner Existenz damit ausgelastet war, sich in der Natur zu behaupten und sie meist als das Andere, Fremde, Feindliche begriffen hat, macht sich seit ein paar Jahrzehnten daran, die Natur zu beschützen. Nicht die ganze Menschheit, sondern vor allem in Europa, wo das Hauptmodell für die gegenwärtige Zivilisation samt Klimakrise als Manchester-Kapitalismus seinen Anfang nahm.

Der Mensch scheint demnach die Natur so total beherrscht und unterdrückt zu haben, dass diese kurz vor dem Zurückschlagen steht. Die Hybris, in der sich das Humanum die Erde zum Untertan gemacht hat, besteht in seinem Glauben fort, den Planeten vor den eigenen Handlungen bewahren zu können.

Dieselben gut situierten Mitteleuropäer, die Aufrufe von Fridays for Future zur Rettung der Erde auf facebook teilen, unterstützen die Rettung von Flüchtlingen in Seenot. Hier wie dort stehen die Retter als Menschen allein sich selbst gegenüber.

Von Natur ist in Hinsicht auf die Seenotrettung allerdings so gut wie keine Rede. Es geht um politische Verhältnisse, um Irrfahrten auf dem Mittelmeer und verbotene Landungen. Bei den Fluchtursachen kommt vielleicht einmal die Natur zur Sprache. Im Übrigen scheint es, als müssten nur genug Schiffe auf dem Mittelmeer kreuzen, und alles wäre gut.

Die Natur tangieren diese Vorstellungen nicht. Sie ist weder gut noch böse, weder Raub- noch Kuscheltier. Und der Mensch wird bleiben, was er ist: ein Teil von ihr, der sich allerdings einbilden kann, ihr über- oder unterlegen zu sein.

Als Erlösung aufgefasst kann keine Rettung halten, was sich von ihr versprochen wird, weder beim Klima noch bei den Flüchtlingen. Sie kann vielmehr verfehlen, was sie erreichen will, weil sie ihre Beziehung zur Natur wahlweise ignoriert oder idealisiert.

Hier wie dort steht im Mittelpunkt die menschliche Natur. Die schmelzenden Eisberge oder Wogen im Mittelmeer sind nur das, was sich Menschen dazu einbilden.

Eisberge

In den Kreisen von FFF ist die Antarktis ein Symbol für die Klimakatastrophe. Ein höchst schützenswertes Gebiet, an das die Menschheit besser nicht nur rühren solle, sondern das zu erhalten eine dringliche Aufgabe ist. Die Pole, der Regenwald, die Tiefsee: die unerforschten Gegenden sind im 20. Jahrhundert drastisch geschrumpft. Dem Menschen scheint es gelungen, sich zumindest intellektuell die Erde Untertan gemacht zu haben.

Antarktis und Regenwald: die Territorien, die die Angst vor dem Untergang der Natur markieren, aus der sich FFF erklärtermaßen speist, sind lange etabliert zur Angstbeschwörung. In ungezählten Romanen und Filmen erscheinen sie als Schauplatz für Herausforderungen.

Die »älteste und stärkste Empfindung des Menschen« sei die Angst, notierte Howard Phillips Lovecraft in seiner Studie Supernatural Horror, und die »älteste und stärkste Art von Angst ist die Angst vor dem Unbekannten«.

Als Hort des Unbekannten weniger, sondern als Zufluchtsort erscheint die Eiswüste bereits in Mary W. Shelleys Frankenstein. Als weißen Fleck auf der Landkarte par excellence setzte Edgar Allan Poe die Antarktis in The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket ein. Seither ist sie in ungezählten Romanen und Filmen Schauplatz für Herausforderungen. Ein Plot wurde inzwischen drei Mal verfilmt.

screenshot The Thing 2011screenshot The Thing 2011

The Thing From Another World von 1951, The Thing von 1982 und 2011 stützen sich auf die Novelle Who Goes There? von John W. Campbell, erschienen 1938 in der Heftreihe Astounding Science Fiction. Unter dem Eis wird ein Raumschiff entdeckt. Ein Alien ist eingefroren; es taut auf und läuft Amok, indem es sich den Bewohnern einer Forschungsstation anverwandelt, um sie nacheinander aufzufressen.

Zwei Jahre vorher war in der Heftreihe Astounding Stories eine Geschichte gedruckt worden, die zum letzten Mal die Antarktis insgesamt als unbekannte Zone in Angriff nehmen konnte. In der Zeit zwischen Poes Pym von 1838 und H. P. Lovecrafts At the Mountains of Madness, geschrieben 1931, waren zaghafte Schritte ins Unbekannte unternommen worden, die als lange Märsche zuweilen tödlich endeten. Mit dem ersten Flug über den Südpol durch den US-Forscher und Konteradmiral Richard E. Byrd 1929 beschleunigte sich die Erschließung der Antarktis.

Campbell versteckt im Eis nurmehr noch ein Raumschiff. Bei Lovecraft war es noch eine ganze gewaltige Stadt auf einem Hochplateau höher als der Himalaya. Inzwischen ist allenfalls noch etwas unter der Eisdecke Verborgenes von geringen Ausmaßen denkbar, das glaubhaft überraschen könnte. Unlängst brannte der Regenwald und wird bald kaum noch unbetretene Flächen haben. Allein die Tiefsee könnte noch echte Neuigkeiten bieten.

Lovecraft hatte Byrds Expedition in der Presse verfolgt und seine fiktive Erkundung mit Flugzeugen ausgestattet. Aber der Schrecken liegt trotzdem in der Weite der Landschaft, in ihren übermenschlichen Dimensionen. Diese kommen in Campbells Story nur als Fundort und Vorwand für die Isolation in der Exposition in Betracht. Sie ist insoweit wie eine Gruselgeschichte des 19. Jahrhunderts und früher, in der sich die Insassen einer eingeschneiten Berghütte gegenseitig an die Gurgel gingen. Das Alien entspricht den Räubern in Wilhelm Hauffs Wirtshaus im Spessart. Allein bleibt beim Märchendichter 100 Jahre früher das Massaker aus.

Campbell übersetzt psychologische Gemeinplätze in Comic-Bilder, auf denen die Gurgeln sich gegenseitig verschlingen. Die Verfilmungen passen das Szenario den grafischen Gewohnheiten an. Campbells Worte werden zunächst in S/W-Filmstreifen übersetzt, dann mit Masken- und Videoeffekten dargestellt, schließlich in CGI animiert.

Es gibt außerdem mehrere Comic-Variationen und Video-Games des Plots. Das so ansprechende menschliche Drama ist in Lovecrafts Erzählung nur eine Episode. Seine Forscher finden zunächst Fossilien, dann eingefrorene Exemplare einer Alien-Spezies, die sie mit in ihr Zeltlager nehmen, sezieren und von den zwischenzeitlich Aufgetauten vernichtet werden. Indes wird dies nicht ausführlicher geschildert als durch Funksprüche, die abbrechen, und die Spuren im verwüsteten Lager am Fuß der Berge des Wahnsinns.

Helden einer Horrorgeschichte hätten nicht Einzelpersonen, sondern Naturerscheinungen zu sein, fand Lovecraft. Als Muster sah er The Willows von Algernon Blackwood. Er kam der Vorgabe in Mountains of Madness am nächsten.

Andere seiner Erzählungen haben immerhin noch eine Hauptfigur oder einen Ich-Erzähler, die mit Charakteren ausgestattet sind. Die Männer, die in das menschenfeindliche Eis ausziehen, erhalten gerade einmal Namen und eine Funktionsbezeichnung als Professor oder Student, und nur zwei Figuren sind mehr als Einträge in einem Inventar. Doch auch vom Ich-Erzähler noch seinem Begleiter beim ultimativen Flug auf das Gebirge wird mehr mitgeteilt als ihre Handlungen.

Sie sind irgendwelche Menschen, gesichtslos, wie die Insekten als die sie der überlegenen Alien-Rasse vorkommen. Nur auf einen Unterschied zwischen den beiden Figuren kommt es dem Autor an: einer hat das Necronomicon gelesen, das Hauptbuch von Lovecrafts kosmischer Mythologie, und glaubt zu wissen, womit sie es bei der Stadt im Eis zu tun haben; er ist darob schreckhafter und empfänglicher, das zu sehen, was der Ich-Erzähler nur hört und der Autor bis zum Schluss nicht sehen lässt, sondern nur skizziert.

Die »shoggoths« werden indirekt beschrieben, durch das, was sie für ihre Herren getan haben, »the older ones«, deren Mumien die Expedition versehentlich wieder belebt hat: Gestaltwandler mit erheblichen weiteren Einsatzbereichen als bei Campbell.

Campbells Alien ist brandgefährlich, lässt sich aber mit Feuer vernichten. Lovecrafts Grauen reicht weiter, nicht nur, indem er eine Stadt im Eis errichtet, die weitaus älter ist als die geschätzten 100.000 Jahre im Film von 2011, oder indem er die »shoggoths« los ließe. Die Bedrohung aus dem All ist bei ihm gar keine.

Aus der Perspektive der Entdeckung in der Antarktis, die aus der Entzifferung von Zeichen in einem Gängesystem unter dem Eis besteht, muss die Geschichte der Menschheit neu geschrieben werden. Die Aliens brauchten kein Kundschafter-Raumschiff auszusenden. Sie waren vor den Menschen da.

Ein heldenhafter Abwehrkampf ist von vornherein ausgeschlossen. Es gibt nur eine Rettung: nicht an die Antarktis rühren, die Ungeheuer schlafen lassen und hoffen, dass nichts sonst sie weckt.

Das Verständnis der Masse von der Welt hat sich in den vergangenen 88 Jahren drastisch verändert. Von der globalen Katastrophe können durchschnittliche Mitteleuropäer auf einer Urlaubsreise einen leibhaftigen Eindruck bekommen. Campbells Horror-Szenario ist ein trauliches, märchenhafter vielleicht als Hauffs Wirtshaus, dessen Räuber immerhin zeitgenössische Realität waren.

Lovecrafts Umwertung aller Werte findet nach wie vor in einem anderen Universum statt. Sein fürchterliches Unbekanntes hat sich mit der allmählichen Erkundung der Antarktis oder ihrer Schutzwürdigkeit nicht erledigt.

Es gibt keine sonderliche populäre Verfilmung von Lovecrafts Erzählungen. Motive, die Stephen King in Romanen aufgegriffen hat, die verfilmt wurden, sind bekannter als Lovecrafts eigene Worte. Um ein paar Szenen wurden Drehbücher und Romane gestrickt, die eben der Dramaturgie folgten, die Lovecraft konsequent ignorierte, und sie brachten seinen Cthulhu-Mythos als Versatzstücke in kulturellen Verkehr.

Guillermo del Toro hat schon vor vielen Jahren eine Verfilmung der Berge des Wahnsinns angekündigt. Was immer er sich vorstellt, muss expliziter sein als die Vorlage. Flüge und Gänge durch einen Eispalast, mehr gibt es bei textgetreuer Adaption nicht zu sehen wie in einem Animationsfilm auf YouTube. Das gleichnamige Video-Game kann schwerlich mit der Andeutung eines Monsters wie im Original auskommen.

H. P. Lovecrafts Cthulhu (Zeichnung: urian)

Das Grauen ist bei Lovecraft bevorzugt unsichtbar oder taucht erst im letzten Bild auf, noch dazu unscharf und indirekt wie die »shoggoths«. In den Campbell-Verfilmungen werden die Auftritte des Monsters von Version zu Version länger und eindringlicher. Zwischen diesen Polen gibt es nichts. Aus einer Lovecraft-Story kann kein massentauglicher Film-Plot werden.

Die Ruinen der nicht-euklidischen Stadt im Eis in 3-D wären eine Herausforderung für CGI und ein Leckerbissen für Lovecraft-Liebhaber. Um aber aus dem Stoff einen Blockbuster zu machen, müsste die Geschichte mit geeignetem Personal neu erfunden werden.

Kann einem Horror-Film mit Schauplatz Antarktis in Hinblick auf die aktuelle Rolle des Gebiets im kollektiven Bewusstsein ein Kassenerfolg beschieden sein? Ginge der Film sogar darauf ein, welches Image der Schauplatz inzwischen hat, würde er in politische Bereiche eindringen.

Aktuelle Politik hatte Lovecraft im Sinn, als er seine Rassentheorien über die Menschheit und die Alten Wesen entwickelte. Damit beträte man sehr, sehr dünnes Eis.

Tekeli-li (Zeichnung: urian)

Siehe auch

Fantastische Reisen der Schrift. Antarktis-Erzählungen von Poe, Verne und Lovecraft
Schöner Schrecken. H. P. Lovecrafts kosmischer Rassismus