Die Nazis beendeten die Karriere des Hamburger Architekten

Leben und Werk von Karl Rudolph Schneider wurden vom Nationalsozialismus überschattet. In den 1920er Jahren gehörte er zur Avantgarde des Bauwesens in Deutschland, der heute so genannten „Modernen Architektur“, die damals in Abgrenzung zum Expressionismus in der Kunst als „Neue Sachlichkeit“ bezeichnet wurde. In Hamburg wird dieses „Neue Bauen“ vor allem durch die 17 von Schneider erhaltenen Gebäude repräsentiert. Ab 1933 wurde für Schneider die Luft immer dünner. In den USA, wohin er 1938 emigrierte, konnte er in seinem Beruf nicht wieder Fuß fassen.

Karl Schneider wurde am 15. Mai 1892 als Sohn eines Tischlers in Mainz geboren und schloss seine Ausbildung als Architekt an der dortigen Kunstgewerbeschule ab. Er arbeitete zunächst in Dresden, dann in Berlin in den Büros zweier Jahrhundert-Baumeister: beim „Bauhaus“-Begründer Walter Gropius und bei Peter Behrens, der für die AEG das „Corporate Design“ erfand, in dem das Erscheinungsbild einer Firma vom Gebäude bis zum Briefkopf aus einem Guss ist.

Nach seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg war Schneider erst wieder in Berlin tätig, kam aber schon 1920 nach Hamburg. Der 28-jährige frisch Verheiratete wurde Mitarbeiter von Fritz Höger, dem „Backsteinfürsten“. Bevor dieser jedoch mit seinem Hauptwerk, dem Chilehaus, begann, hatte Schneider ihn 1921 mit zwei Kollegen bereits verlassen und ein eigenes Büro eröffnet.

Mit der von 1922 bis 1924 entstandenen Villa Michaelsen am Grotiusweg in Blankenese etablierte sich Schneider. Der weiß getünchte Backsteinbau ist eines der frühesten Zeugnisse für kubische Formen in der deutschen Architektur und wurde als Vorbild in der Weimarer Bauhaus-Ausstellung von 1925 gezeigt. Der Verleger Axel Springer bewohnte die Villa, in der sich heute das Puppenmuseum Falkenstein befindet.

Eigenheime und Landhäuser waren vorerst Schneiders hauptsächliches Arbeitsgebiet. „Es war kein Zufall, dass die Mehrzahl dieser Bauten außerhalb der [damaligen] hamburgischen Landesgrenzen errichtet wurde“, schreibt ein herausragender Kenner von Schneiders Werk, der Kunsthistoriker Jörg Schilling. Das von Schneider bevorzugte Weiß der Fassade stand für den Aufbruch in ein neues Zeitalter und grenzte ab von dem in der Stadt vorherrschenden Klinkerrot.

Osterstraße Ecke Heußweg

Mit der Errichtung des zentralen Wohnblocks der Jarrestadt am Hanssensweg in Winterhude 1927/28 eröffnete sich für Schneider ein neuer Markt. Wohnungsbaugenossenschaften wurden seine Auftraggeber, so 1927/28 an der Habichtstraße in Barmbek. In denselben Jahren entstand der Wohnblock Heußweg Ecke Osterstraße in Eimsbüttel, der 2001 durch Büros und Geschäfte erweitert wurde, die den Namen „Karl Schneider Passagen“ tragen.

Blockbuden U-Bahn Hallerstraße

Von Schneiders Engagement bei der Hochbahn sind nach Umbauten für die Barrierefreiheit nurmehr Reste sichtbar: etwa die „Blockbuden“ auf dem Bahnsteig der U-Bahn-Station Hallerstraße, die für die vor 20 Jahren abgeschafften Haltestellenwärter vorgesehen waren. Die Station Klosterstern dürfte die einzige sein, bei der Türen geöffnet werden müssen, um sie zu betreten. Diese und der von Schneider gestaltete Eingang an der Rothenbaumchaussee stehen unter Denkmalschutz.

U-Bahn-Haltestelle Klosterstern

Der Architekt zeichnete verantwortlich für eine Turnhalle in Farmsen und eine Röntgenröhrenfabrik in Fuhlsbüttel. Hinter dem Kino „Cinemaxx“ in einem nach Gustav Mahler benannten Parkstreifen neben der Esplanade befindet sich ein „architektonisches Kleinod“, einer der „wenigen gut erhaltenen Verkehrsbauten des Neuen Bauens in Hamburg“, ein Strom-Umspannwerk, „Unterwerk Stephan“ benannt nach dem nahegelegenen Stephansplatz.

Unterwerk Stephan

Projekte von Schneider fielen der Weltwirtschaftskrise zum Opfer. Seine „achtlose Gleichgültigkeit gegen Geld“ tat ein Übriges, damit er 1930 die Leitung der Architekturklasse an der Landeskunstschule am Lerchenfeld übernahm, um über die Runden zu kommen. Seine einstimmige Wahl zum Direktor der Schule wurde vom Senat nicht bestätigt, und zum 1. September 1933 musste er auch seine Professur aufgeben. Das SPD-Mitglied war inzwischen als „Kulturbolschewist“ verschrien, und die Nationalsozialisten belegten ihn mit einem Bauverbot. 1935 musste er sogar sein eigenes Wohnhaus verkaufen. Gleichzeitig wurde seine Ehe geschieden.

Zwei Jahre später wurde seine Liaison mit der jüdischen Fotografin Ursula Wolff denunziert. Sie emigrierte in die USA, Schneider folgte ihr bald darauf. Er verdingte sich in Chicago als Designer, weil ihm die Zulassung als Architekt fehlte. Diese erhielt er erst wenige Monate vor seinem Tod. Karl Schneider erlag mit 53 Jahren am 11. Dezember 1945 einem Herzleiden.

(→ bei uns, Zeitschrift der Hamburger Lehrerbau-Genossenschaft, Herbst 2021)

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