Er war ein halbes Jahrhundert lang der maßgebliche Baumeister in Hamburg

Er war wortwörtlich ein „Hans Dampf in allen Gassen“. Er baute Villen und Kontorhäuser, Fabriken und Speicher, Krankenhäuser und Hotels, Konzerthäuser und Theater, eine Turnhalle, eine Konditorei, Banken und Mausoleen: 528 Gebäude. Einige sind durch die Bombardements des Zweiten Weltkriegs vernichtet worden, manche wurden nachher abgerissen, aber Martin Hallers Arbeiten sind nach wie vor überall in Hamburg anzutreffen.

Der Vater des am 1. Dezember 1835 geborenen Martin Emil Ferdinand Haller war mehrfach Erster und Zweiter Bürgermeister. Nach ihm wurde die Hallerstraße in Rothenbaum benannt. Dass die Familie zum Christentum konvertiert war, war den Nationalsozialisten egal, für sie blieb Nicolaus Ferdinand Haller ein Jude: Von 1938 bis 1945 hießen Straße und U-Bahnstation Ostmarkstraße.

Beim Großen Brand im Mai 1842 war das Rathaus an der Trostbrücke gesprengt worden, um durch eine Schneise die Flammen aufzuhalten. Der Senat, dem Nicolaus Haller angehörte, tagte in einem Waisenhaus in der Admiralitätsstraße, die Bürgerschaft kam im Haus der Patriotischen Gesellschaft zusammen, das seit 1847 an der Stelle des vergeblich zerstörten Rathauses steht.

Das Provisorium dauerte sehr lange. Während der Wiederaufbau ansonsten zügig vonstatten ging, hakte es beim Neubau des Rathauses. Schon am ersten Architekten-Wettbewerb 1854 nahm der 19-jährige Martin Haller teil. Die endgültige Gestaltung beruhte auf einem Konzept, das ein „Rathausbaumeisterbund“ unter Hallers Regie 1880 vorlegte. 55 Jahre nach dem Flammeninferno und nach elf Jahren Bauzeit wurde das Rathaus am 26. Oktober 1897 eingeweiht.

Rathaus

Es besteht aus zwei Flügeln, die der Bürgerschaft (links vom Eingang) und dem Senat zugeordnet sind, und enthält 647 Räume. Die Fassade ist 111 Meter breit, der Turm 112 Meter hoch. Die Architektur des 19. Jahrhunderts orientierte sich an der Antike, zunächst als Historismus und Klassizismus, dann als Neorenaissance; jedenfalls war der griechische Tempel das Maß der Dinge. „Der reiche Figurenschmuck in Bronze und Kupfer, wie ihn in gleicher Ausdehnung wohl kaum ein anderes Gebäude der Welt aufzuweisen hat“, sagte Martin Haller über das Rathaus, „beseitigen den monotonen Eindruck, welchen eine so häufige Wiederholung des gleichen Fassaden-Systems hervorgerufen hätte.“

Rathaus

Nach dem Studium in Potsdam, Berlin und Paris machte Haller sich 1867 als Architekt selbständig. Ein Markstein seiner Karriere war 1885/86 das Kontorhaus „Dovenhof“ an der Brandstwiete. Für Heinrich Ohlendorff, der Guano aus Chile als Dünger importierte und Zeitungsverleger war, hatte Haller bereits ab 1872 in Hamm und ab 1879 in Volksdorf Landhäuser gebaut.

Stellahaus

Der „Dovenhof“ setzte Maßstäbe. Durch möglichst wenige tragende Innenwände war der Zuschnitt der Räume veränderbar. Hier wurde der 1876 in England erfundene „continuous elevator“, bekannt als Paternoster, erstmals auf dem europäischen Festland installiert. Modern war auch die Ausstattung mit Rohrpost-Anlage, Zentralheizung und elektrischem Licht. Der „Dovenhof“ machte 1967 Platz für das Hochhaus des „Spiegel“.

Afrikahaus

Das „Stellahaus“ am Rödingsmarkt von 1874/75 war ursprünglich fünf Etagen hoch. 1921 wurde es um fünf Geschosse aufgestockt und zu einem der ersten Hochhäuser der Stadt. Für die Transport-AG errichtete Haller 1894 ein Bürogebäude in der Straße Zippelhaus gegenüber der Speicherstadt. Im „Afrikahaus“ an der Großen Reichenstraße von 1900/01 führte die Reederei Woermann ihre Geschäfte. Hallers Kontorhaus für die Reederei Slomann am Baumwall wurde später ebenso umgestaltet wie der von ihm geschaffene Verwaltungssitz der Hapag am Ballindamm.

Hapag-Lloyd

Die Pläne für das Kontor der Reederei Laeisz, den „Laeiszhof“ an der Trostbrücke, erarbeitete Haller gemeinsam mit Wilhelm Emil Meerwein und Bernhard Hanssen. Mit Meerwein kooperierte Haller auch 1904–08 beim Konzerthaus „Laeiszhalle“ am Johannes-Brahms-Platz.

Laeizhof

Der Kolonialhändler Wilhelm Amsinck erwarb 1868 das Grundstück um den Liethberg in Lokstedt und ließ einen Landschaftsgarten anlegen. Die Haller-Villa im Zentrum ist seit 1956 im Besitz der Stadt, die sie vermietete. Von 2007 bis 2018 stand sie leer und beherbergt heute eine Kita.

Amsinck-Villa

An der Außenalster errichtete Haller 1882 und 1893 zwei Villen, die schließlich Wilhelm Anton Riedemann, dem Gründer der Deutsch-Amerikanischen Petroleum-Gesellschaft, später Esso, und dessen Schwiegersohn gehörten und mit einem Torbogen verbunden wurden. Ab 1934 war der Komplex Sitz der NS-Gauleitung, 1945 übernahmen ihn die britischen Besatzungsbehörden. Seit 1951 befindet sich auf dem am schärfsten bewachten Gelände der Stadt das „Weiße Haus“ des US-amerikanischen Generalkonsulats.

Das heute so genannte „Haller-Haus“ am Jungfernstieg wurde für die Dresdner Bank erstellt. Bei der Börse am Adolphsplatz und am Alten Wall stehen weitere Bankhäuser von Haller. Dazu kommt die Warburg-Bank an der Ecke Ferdinandstraße/Alstertor. Für die der Armen- und Krankenpflege gewidmeten Stiftung von Daniel Schutte baute Haller an der Tarpenbekstraße zwei Wohngebäude.

Von 1885 bis 1900 gehörte er der Bürgerschaft an. Beim Wiederaufbau der 1906 abgebrannten Hauptkirche St. Michaelis wurde er als Berater hinzugezogen. Martin Haller starb mit fast 90 Jahren am 25. Oktober 1925 und wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt. Auch in der Totenstadt ist er durch von ihm entworfene Mausoleen präsent.

Hallers Grabstätte auf dem Friedhof Ohlsdorf

(→ bei uns, Zeitschrift der Hamburger Lehrerbau-Genossenschaft, Herbst 2022)

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