Der Architekt gestaltete Hamburg während der Kaiserzeit

Gezwirbelte Schnurrbärte unter Pickelhauben, Uniformen als Fetisch und militärisches Gehabe kennzeichnen im Rückblick das im Ersten Weltkrieg untergegangene wilhelminische Kaiserreich. Den damaligen Untertanengeist karikierte der vorbestrafte Schuster Friedrich Wilhelm Vogt, indem er sich als Hauptmann verkleidete und am 16. Oktober 1906 an die Spitze eines Trupps von Soldaten setzte, um in das Rathaus von Köpenick einzudringen, den Bürgermeister zu verhaften und die Stadtkasse zu rauben.

Carl Zuckmayers Theaterstück über den Kriminalfall wurde 1956 von Helmut Käutner mit Heinz Rühmann in der Titelrolle verfilmt – aber nicht in Berlin und Köpenick, sondern in Hamburg. Das Altonaer Rathaus mit dem Standbild von Wilhelm I. stellte einen Bahnhof vor. Als Kulisse für das Köpenicker Rathaus diente ein Bauwerk von 1904/05 an der Straße Beim Schlump, in dem sich bis 2004 das Finanzamt befand. Entworfen hatte es Carl Johann Christian genannt Hans Zimmermann, der das Gesicht der Hansestadt in der Kaiserzeit prägte.

Altes Finanzamt Beim Schlump/Monetastraße

Bis zur Reichsgründung 1871 war Deutschland ein Flickenteppich aus Königreichen, Großherzog- und Fürstentümern. Keine Residenzstadt konnte zu klein sein, um auf Prachtbauten zu verzichten. Anders in den Freien Städten Lübeck, Bremen, Frankfurt/Main und Hamburg. In der Elbmetropole waren das Rathaus und die Börse die einzigen repräsentativen Gebäude. Das änderte sich mit dem Beitritt zum Reich. Die Räume für staatliche Aufgaben – Post, Bahn, Bildung, Finanzverwaltung, Zoll, Polizei, Justiz und Strafvollzug – wurden nicht allein nach praktischen Aspekten konzipiert, sondern sie sollten die Großartigkeit der Monarchie demonstrieren.

Zunächst wurde 1872 das seit 1845 vakante Amt eines Baudirektors wieder besetzt. Die Wahl fiel auf Hans Zimmermann. Er kam am 8. November 1831 in Elbing im Regierungsbezirk Danzig der Provinz Westpreußen zur Welt. Seine Geburtsstadt wurde 1920 Ostpreußen zugeschlagen, heißt heute Elblag und liegt in Polen. Zimmermann war der Sohn eines Bürgermeisters und Baurats. Er studierte Kunstgeschichte in Königsberg und Architektur in Berlin. Nachdem er in der Bauverwaltung der Reichshauptstadt gearbeitet hatte, wurde er 1864 Baurat in Breslau. Trotzdem er über 36 Jahre lang als „Stadtbaumeister“ wirkte und bis in die Gegenwart markante Spuren hinterließ, ist er in Hamburg fast vergessen. Die umfangreichste Präsentation seines Schaffens widmete ihm 2005 das Architekturmuseum in Wrocław.

Der von Zimmermann vertretene Stil der Neorenaissance ist quasi die Kopie der Kopie. Wie die Renaissance im Italien des 15. Jahrhunderts die von den Römern nachgeahmten Formen der griechischen Antike wieder entdeckte, wurde im Europa des 19. Jahrhunderts die Renaissance zum Vorbild. Wesentlich sind Symmetrie und geometrisch ausgewogene Proportionen. Die Fassaden werden mit tragenden Säulen gegliedert oder mit Pilastern und Lisenen, die wie Säulen aussehen, aber nur Zierde sind. Weitere Merkmale des Designs sind Bögen, Kuppeln und Nischen. Hinzu kommen schmückende Embleme und Figuren.

Museum für Kunst und Gewerbe

Zimmermanns erstes Werk in Hamburg war ein 1874 eröffneter Mehrzweckbau in einer Grünanlage am Steintor. In vier Flügeln mit zwei Innenhöfen waren diverse Bildungsstätten untergebracht, darunter eine Realschule mit Turnhalle, eine Gewerbeschule, Schulen für Maschinen- und Schiffbau, für Elektrotechnik und Bauzeichnen – sowie jene Institution, die nach wie vor existiert: das Museum für Kunst und Gewerbe. Die parkähnliche Umgebung verschwand bis 1906, als in der Nähe der Hauptbahnhof eröffnet wurde.

Vorbild war das Kunsthistorische Museum an der Wiener Ringstraße, dem Musterbeispiel für Neorenaissance. Wie dort gab es auch in Hamburg als Pendant ein Naturhistorisches Museum. Es stand seit 1891 am Anfang der späteren Mönckebergstraße. Am Entwurf beteiligt war der in Hamburg geborene und für seine Oper in Dresden berühmte Gottfried Semper. Beide Häuser wurden 1943 durch Bomben zerstört. Das Museum für Kunst und Gewerbe wurde jedoch bis 1959 wieder aufgebaut und zwischen 1996 und 2012 grundlegend saniert.

Ehemalige Schule Borgesch am Hansaplatz

Als Zimmermanns Hauptleistung gelten die zahlreichen von ihm geplanten und zum Teil selbst entworfenen Schulbauten. Zwischen 1871 und 1889 wurden 70 neue Gebäude errichtet oder angekaufte Häuser zu Schulen umgebaut. Etliche sind erhalten, und in vielen gehen nach wie vor Schüler ein und aus. Freilich hat die über den Eingängen verewigte Trennung zwischen „Knaben“ und „Mädchen“ keine Gültigkeit mehr – wie bei der Grundschule an der Bismarckstraße von 1900–02, der heutigen Schule an der Isebek.

Schule in der Bismarckstraße

1879 wurde die Rechtsprechung im Reich vereinheitlicht und auf die seither gültige Weise organisiert, etwa durch die Gliederung in die Instanzen Amts-, Land-, Oberlandes- und Reichsgericht (heute Bundesgerichtshof). Die damit verbundenen Bauaufgaben löste Hans Zimmermann mit dem Justizforum: Drei palastartige Gebäude umstehen den Platz, der nach dem ersten Präsidenten des Oberlandesgerichts Ernst Friedrich Sieveking benannt ist.

Ziviljustizgebäude

Zuerst entstand bis 1882 das Strafjustizgebäude, das schon bald zu klein für die wachsenden Amtsgeschäfte und zwei Mal erweitert wurde, 1895/96 und 1911–14. Ebenfalls auf Zimmermanns Zeichnungen geht das gegenüberliegende, von 1898 bis 1903 erbaute Ziviljustizgebäude zurück. Für das Hanseatische Oberlandesgericht, die höchste Instanz für Lübeck, Bremen und Hamburg, waren 1907–12 die Architekten Werner Lundt und Georg Kallmorgen verantwortlich.

Torhaus Gefängnis Fuhlsbüttel

Von Zimmermann stammt das 1879 fertiggestellte und für 800 Häftlinge ausgelegte Haus I des „Centralgefängnisses“ in Fuhlsbüttel. Bis 1906 kamen drei weitere Häuser hinzu. Der Spitzname „Santa Fu“ leitet sich ab von der behördeninternen Abkürzung „St. Fu“ für „Strafanstalt Fuhlsbüttel“, die nach spektakulären Fluchten in den 1970er Jahren von der Presse aufgegriffen wurde: „Santa Fu und raus bist du“. Im Torhaus wird dem Konzentrationslager „Kolafu“ gedacht, in dem die Nationalsozialisten von 1933 bis 1945 ihre Gegner einsperrten, folterten und ermordeten. Haus I steht mittlerweile leer, und aktuell wird die Umwandlung in Wohnungen erörtert.

Zimmermann erweiterte die Kunsthalle und das Stadthaus, in dem die Polizei von 1814 bis 1943 ihr Hauptquartier hatte. 1884–89 schuf er 55 Pavillons für das Allgemeine Krankenhaus, das den Ursprung des Universitätsklinikums Eppendorf bildet. Zehn Jahre nach Hamburgs Beitritt zum Reich wurde ein Abkommen getroffen für die Aufnahme in den Deutschen Zollverein. In einem Freihafen genannten Areal sollten Waren gelagert und verarbeitet werden, ohne dass bereits Zollabgaben fällig würden. 1883 begann unter Zimmermanns Regie die Errichtung der Speicherstadt, deren erster Abschnitt 1888 feierlich durch Kaiser Wilhelm II. eingeweiht wurde. Im selben Jahr wurde der Grundstein gelegt für die Generalzolldirektion an der Ringstraße, die seit 1933 Gorch-Fock-Wall heißt.

Generalzolldirektion

Mit 77 Jahren trat Hans Zimmermann 1908 in den Ruhestand. Er starb am 18. März 1911 in seinem Haus in der Vorstadt Wandsbek.

(→ bei uns, Zeitschrift der Hamburger Lehrerbau-Genossenschaft, Frühling 2023)

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