Zum Beispiel Carl Peters und Friedrich Huth
Im britischen Bristol wurde dieser Tage die Statue eines historischen Sklavenhändlers vom Sockel und in einen Fluss gestürzt. Indem die Black-Lives-Matter-Bewegung den Rassismus skandalisiert, lenkt sie den Blick auch auf dessen Kapitalisierung als Kolonialismus.
In Anbetracht des Nationalsozialismus kann sich in Deutschland niemand etwas darauf einbilden, dass die nationale Kolonialgeschichte kein sehr weites Feld ist. Freilich haben der Kaiser und seine Getreuen darunter gelitten, dass ihnen vor allem in Afrika die Beute entging, und sie waren womöglich deshalb so scharf darauf, mit dem Ersten Weltkrieg die Claims in Europa selbst neu abzustecken.
Das ist salopp formuliert, aber ich beabsichtige auch keine historische Abhandlung, sondern gehe nur Assoziationen nach, die sich mir aufdrängen.
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Ich bin in der Heide, in Soltau, in einer Straße mit Katzenkopfpflaster am Stadtrand, die an den Saum eines Waldes führt. Sie heißt Zum Ahlftener Flatt, aber fragen Sie mich nicht, was das bedeutet. Der Name soll vor allem verdecken, dass die Sackgasse seit 1937 einem berüchtigten Rassisten gewidmet war.
In den Kreisen seiner Opfer hieß er „Mann mit blutigen Händen“, deutsche Kritiker des kolonialen Kurses von Kaiser Wilhelm II. nannten ihn „Hänge-Peters“. Die SPD-Zeitung Vorwärts beschrieb ihn als „grimmigen Arier, der alle Juden vertilgen will und in Ermangelung von Juden drüben in Afrika Neger totschießt wie Spatzen und zum Vergnügen Negermädchen aufhängt, nachdem sie seinen Lüsten gedient“ haben.
Der Sohn eines Pastors und Doktor der Philosophie Carl Peters (1856 – 1918) widerlegt einmal mehr das Vorurteil, Bildung sei ein Bollwerk gegen Bosheit. (→ wikipedia)
In London lernte er ab 1881 die britische Haltung zum Kolonialismus kennen, die er dann als Publizist seinen Landsleuten als Vorbild empfahl. Im Namen der von ihm in Berlin mitbegründeten „Gesellschaft für Deutsche Kolonialisation“ begann Peters ab 1884 in Afrika umzusetzen, worüber er in seinem zwei Jahre zuvor erschienenen, an Arthur Schopenhauer angelehnten Buch Willenswelt und Weltwille theoretisiert hatte.
Kanzler Otto von Bismarck scherte sich wenig um Kolonien und überließ das Geschäft Privatleuten wie Peters. Nachdem die Übernahme von Gebieten durch dessen „Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft“ 1888/89 am Widerstand der Bevölkerung gescheitert war, sprang die wilhelminische Regierung allerdings ein, und Peters wurde zum Reichskommissar für die Region des Kilimandscharo ernannt.
Wie der Philosoph unter den Einheimischen wütete, erregte jedoch in Berlin Anstoß, und er wurde 1892 von seinem Posten abgezogen. Vor einem Disziplinarverfahren gegen ihn floh Peters 1896 aus Deutschland. Von London aus unternahm er weitere „Expeditionen“ nach Afrika, unter anderem auf der Suche nach sagenhaften Goldschätzen.
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Die Nationalsozialisten nahmen Carl Peters als Vorreiter des Herrenmenschentums in ihre Ahnenreihe auf. Neben einem Propagandafilm, in dem Hans Albers den Killer vom Kilimandscharo darstellte, drückten die braunen Massenmörder ihre Verehrung dadurch aus, dass sie ihm in mindestens zwei Dutzend Städten Straßen verehrten.
1986 wurde die Berliner Petersallee nicht umbenannt, sondern lediglich umgewidmet und soll nun an den NS-Widerstandskämpfer Hans Peters erinnern. Ein Trick, der Schule machte und dadurch erleichtert wurde, dass auf manchen Schildern „Karl“ statt „Carl“ steht. So soll die Karl-Peters-Straße in Bremen-Walle seit 2009 nicht mehr des Kolonialherren sondern eines Strafrechtsreformers gedenken.
In Albstadt-Ebingen, Bad Hersfeld, Bielefeld, Bietigheim-Bissingen, Bonn, Delmenhorst, Hannover, Hildesheim, Kaiserslautern, Karlsruhe, Kiel, Köln-Nippes, Lüneburg, Ludwigsburg, Mannheim, Mülheim an der Ruhr, München, Münchingen, Neuhaus, Neustadt an der Weinstraße, Ravensburg und Siegburg hat man sich in den letzten drei Jahrzehnten mit dem mörderischen kolonialen Erbe, das Carl Peters verkörpert, beschäftigen müssen und sich längst nicht immer deutlich dazu verhalten.
In Soltau dauerte das Gezerre von 2004 bis 2010, und es brauchte ein Urteil des Lüneburger Verwaltungsgerichts über die Klage von Anwohnern, damit der Rat der Stadt die Umbenennung vornehmen konnte. (Ahlftener Flatt bedeutet so viel wie „Heideweiher an der Aue“.)
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Eine Zeitungsmeldung vom Dezember 2019 aus Harsefeld: „Kinder ab acht Jahren haben die Möglichkeit, die Geschichte um den Geist von Friedrich Huth zu erzählen […] im Rahmen einer neuen Veranstaltung der Friedrich-Huth-Bücherei […] können die Kinder […] ihrer Kreativität freien Lauf lassen.“
Dieser Huth ist kein trauliches Gespenst, das die nach ihm benannte Bibliothek heimsucht, sondern eine Gestalt aus der Geschichte. Von dem Mann, über den zu fantasieren Kinder aufgefordert werden, wissen die Erwachsenen in Harsefeld kaum Bescheid. So geht Geschichte in dem niederdeutschen Marktflecken überhaupt: sie wird ignoriert oder schlicht erfunden.
Solange meine Mutter lebte, musste ich aufpassen, was ich über meinen Geburtsort publizierte. Ein ums andere Mal war sie stellvertretend für ihren Sohn, den Nestbeschmutzer, gerügt worden. Dass ihr Schulkamerad, der Bürgermeister, Skandal machte, ließ sich nicht verschweigen (→ Die Weide des Bürgermeisters), aber ich verzichtete darauf, meiner Sammlung von → Geschichten aus der Geschichte die von Friedrich Huth hinzuzufügen, nachdem ich vor einem Vierteljahrhundert erste Nachforschungen angestellt hatte.
Huth wird in Harsefeld wie ein Heiliger behandelt. Zwei Ortschroniken erwähnen ihn; es gibt zwei, drei Aufsätze, die ihn als Philantrophen würdigen; der letzte Stand der deutschsprachigen biografischen Forschung ist eine Broschüre von 1972. Abgesehen von seiner Geburt in Stade 1777, der Kindheit in Harsefeld und seiner Lehrzeit in Hamburg gehört Huth ab seinem 20. Lebensjahr bis zum Tod 1864 in die Geschichte des Vereinigten Königreichs. (→ wikipedia)
Der Soldatensohn erhielt in der hanseatischen Niederlassung eines spanischen Handelshauses seine kaufmännische Ausbildung. Mit 20 Jahren kam er nach Spanien und gründete 1805 eine eigene Firma für Im- und Export. In London wurde daraus ein Bankhaus. Seit 1819 war Friedrich Huth Brite und nannte sich Frederick. Der Global Player, der im ganzen Kolonialreich Geschäfte machte, wurde zum „Napoleon der City“ von London und mit Rothschild verglichen.
Er war Ende 60, hatte sich aber noch nicht aus dem Geschäftsleben zurück gezogen, 1845 meldete sich Frederick Huth als Mäzen in Harsefeld. Er kehrte nicht als Triumphator heim, sondern machte allem Anschein nach nur einen Abstecher von Hamburg. Ich habe nichts von dem Material zur Hand, das ich einst durchsah; aber es war dürftig oder fragwürdig. Jedenfalls hatte Huth keine Anwandlung von Heimweh.
Was immer ihn bewegt haben mag, könnte auf das hinaus laufen sollen, was geschah. Der Superreiche spendete Goldtaler für eine Volksbücherei, für eine Fortbildungsschule, für die Armenhilfe und den Aufbau einer Sparkasse; er finanzierte den neuen Turm der Kirche in Harsefeld und beteiligte sich am Bau einer Kirche im benachbarten Ahlerstedt. Er setzte sich Denkmäler als Namensgeber der heutigen öffentlich-rechtlichen Bibliothek und der Hauptstraße.
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Die beste Quelle, die ich ehedem für Huth fand, war eine englischsprachige Biografie. Nachdem ich an einer Stelle von Sklavenhandel gelesen hatte, klappte ich den Band bald wieder zu. Das konnte ich meiner Mutter nicht antun.
Was aus heutiger Sicht an den Profiten von Friederick Huths Bank bedenklich ist, wurde in dem Buch nicht sonderlich thematisiert. Sklaven werden unter den Handelsgütern wie Kaffee oder Zucker aufgezählt. Im Web finde ich Huth auf einer Site verzeichnet, die sich mit der „kolonialen Sklaverei“ befasst, die „das moderne Großbritannien geprägt“ habe, und die Geschichte der Sklavenbesitzer in den Focus zu rücken versucht.
Der Friedrich Huth, von dem die Einbildungskraft der Kinder angeregt werden soll, ist ein Gespenst aus der Geschichte, das genauer unter die Lupe zu nehmen überfällig wäre. Sonderlich, wenn nicht nur der Name allgegenwärtig ist, sondern mit dem Mann Kindern vor der Nase herum gewedelt wird. Bei einer solchen in Harsefeld gängigen Geschichtsauffassung ist die Zukunft schon abgelaufen. (→ Harsefelder Braunschnitt)
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Siehe auch → Geschichten aus Stades Geschichte
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