Zur Inflation eines Etiketts
Ich bekenne mich schuldig: ich habe dem Antifa-Unfug Vorschub geleistet. Zumindest teilweise. Wer einen meiner Texte über Neonazismus aufruft (→ Braune Bande), liest dort „die Antifa“ und könnte einen „schwarzen Block“ assoziieren. An anderen Stellen schildere ich Aktionen, die ich „der Antifa“ zuordne – im Unterschied zu anderen gesellschaftlichen Organisationen, die freilich transparenter sind als es „die Antifa“ je war und sein könnte.
Ich habe sehr wahrscheinlich besser als die meisten, die sich gegenwärtig das Maul zerreißen, die Gründe dafür im Blick, warum die, die sich selbst als Antifa verstanden, dies weitmöglichst geheim hielten, fand aber immer, dass sie eine Art von Öffentlichkeitsarbeit betreiben sollten, statt ihr Image der Polizei und deren Nachplapper*innen der Medien zu überlassen.
Die Geschichte dieser Antifa, der Leute, denen ich den 1980ern in Hamburg und seit Mitte der 1990er Jahre in der Elbe-Weser-Region bei zahllosen Gelegenheiten begegnet bin, ist ungeschrieben. So viel ich auch über Ereignisse und Vorgänge publiziert habe, galt stets Geheimhaltung zu allem, was Neonazis wie Sicherheitsbehörden auf die Spur bringen könnte, aus welchem Grund auch immer. Auch wer nie an einer illegalen Aktion teilgenommen hatte, wurde von der Polizei und vor Gericht als mindestens so kriminell, wenn nicht als gefährlicher als die Neonazis angesehen, die seit jeher ihre eigene „Anti-Antifa“-Arbeit betrieben. (→ Braune Biografien)
Der Generalverdacht gegen die Antifa war so irrig wie einer gegen Polizei und Justiz ist, die durchaus imstande sein können, unabhängige Urteile zu fällen. Doch selbst wenn die Vertreter der Sicherheitsbehörden wussten, mit wem sie es zu tun hatten, und keinen besonderen Verfolgungsdruck aufbauten, hielten die Medien am überlieferten Bild der Antifa als jugendlicher Gewalttäter*innen fest, das wie bei ihrer Darstellung von Neonazis fast ausnahmslos aus selbst gebastelten Klischees und extrem selten auf irgendeiner Art eigener Anschauung beruhten. Worüber sich wiederum die Konsumenten der Medien erregen, kennen sie nur durch das, was diese ihnen vorlegen.
In der Wissenschaft, in Soziologie und Politologie, weiß man ebenso wenig. Die einzige Quelle eines raren Bändchens über „Linksextremismus“ für „die Antifa“ sind Pressemeldungen, die zu 90 Prozent auf Polizeimitteilungen beruhen. Keiner der Professor*innen hat selbst je mit einer oder einem von „der Antifa“ geredet, und wer immer unter den Studierenden etwas hätte erzählen können, wird tunlichst geschwiegen haben, um keinen Terrorismus-Verdacht auf sich zu ziehen.
So war die Lage bis etwa 2018. Seither habe ich mich auf diesem Blog mehrfach zur → Antifa-Verschwörung (→ Saaten des Bösen) ausgelassen, weil die Alternative für Deutschland zur Verteidigung des eigenen Neonazismus wie ehedem die CDU/CSU das Gespenst des Linksextremismus unter der Marke „Antifa“ beschwor und sich nicht entblödete, ihrem Wahlvolk weis zu machen, vor der eigenen Haustür gehe es zu wie sehr gelegentlich im Hamburger Schanzenviertel. In Buxtehude saß ich in einem Saal und hörte sie hetzen und hätte aufspringen müssen, um ihnen ins Gesicht zu schreien, dass sie lügen. (→ Angstmache in Buxtehude) Was aber, wenn sie mich zu einem Rechtsstreit über meine Behauptungen zwängen?
Um meine Aussagen über „die Antifa“ zu beglaubigen, müsste ich Zeugen benennen können. Ich kann nicht wissen, wie die Betreffenden inzwischen mit dem umgehen, was sie als junge Männer und Frauen angestellt haben. Bei Neonazis wurde bewusst verkannt, dass es sich nicht nur um junge Leute handelt; bei „der Antifa“ stimmte das die längste Zeit. Es gab keine älteren Drahtzieher im Hintergrund. Wer immer für „die Antifa“ Führung oder nur eine Art Nachwuchsförderung betrieben zu haben beansprucht, kann nur ein Aufschneider sein.
Was Politologen wie Soziologen entgangen ist und „die Antifa“ zu einem besonderen Forschungsgegenstand machen sollte, ist die Struktur dessen, was bis heute unter diesem Namen auftritt oder so verstanden wird. „Antifa“ ist ein Graswurzelwerk. Als solches stellt es die Geschichtsschreibung vor spezielle Herausforderungen.
Es gibt Antifa-Archive, aber diese enthalten Informationen über Neonazis, nicht über die eigenen Strukturen. Öffentliche Unternehmungen „der Antifa“ und den Umgang der Gesellschaft mit diesen kann man den Dokumentationen über das Fortleben des Nationalsozialismus zwar auch entnehmen, aber nur indirekt. Die noch ungeschriebene Geschichte der Antifa wird sich vielleicht nie mehr umfassend verfassen lassen.
Ich habe vor rund 35 Jahren erstmals mit der Bewegung zu tun gehabt, im Umfeld der Hamburger Hafenstraße, dann im Berlin nach dem Mauerfall und schließlich während eines Vierteljahrhunderts in der Elbe-Weser-Region, und ich bin mit dem, was andere „die Antifa“ genannt haben, in enge Berührung gekommen.
Dabei war ich nie „Antifa“, sondern Beobachter. Dass mich Neonazis gleichwohl als „Antifa-Drahtzieher“ ansahen (→ Braune Eminenz), hat mit dem Missverständnis zu tun, das allzu viele andere die längste Zeit geteilt haben: Antifa ist keine Organisation. Und dass ich älter war als die, die Neonazis als Angehörige der Antifa wahrnahmen, bedeutete nicht dasselbe wie bei ihnen und anderen, wo immer die Älteren führen.
Was neuerdings in den Sozialen Netzwerken als Antifa daher kommt, hat mit dem, was ich unter diesem Namen kennen gelernt habe, nichts zu tun. Weder soziologisch noch psychologisch oder personell. Auf eine dieser Virtualitäten, die → „Omas gegen Rechts“, bin ich näher eingegangen, weil sie die Selbst- und Fremdtäuschungen auf die Spitze treiben.
Ich habe Einwände gegen den Begriff Antifaschismus, aber Begriffe wandeln sich. Wenn die Begriffe jedoch nur Etiketten sind, taugen sie nichts. „Ich bin Antifa“ auf einem facebook-Meme ist einerseits ein Fortschritt. Nicht lange her, dass dies genügt hätte, um die Polizei auf den Plan zu rufen. Dass das nicht mehr zwangsläufig geschieht, ist indes keinem Wandel der Anschauungen in der Gesellschaft, inklusive Polizei, zu danken, sondern zeigt nur an, wie wertlos das Bekenntnis ist, wenn es sich im Selfie erschöpft.
Konfrontationen der Antifa mit Neonazis und/oder der Polizei auf der Straße sind derzeit selten. Aber eine Probe aufs Exempel darf schon noch sein, wenn ich glauben soll, dass jemand sich nicht nur für einen guten Menschen hält, sondern etwas Einschlägiges tut, dass ihm oder ihr erlaubt, sich in eine Reihe mit den Leuten zu stellen, die mir dazu einfallen, die sich für Antifa gehalten haben.
Wer denkt, ich würde damit Anschläge meinen, hat sich bereits ebenso für eine sachgerechte Erörterung disqualifiziert, wie jene, die eine ehrenamtliche Arbeit leisten, auf die sich der Hass von Neonazis richtet, und die daher glauben, sie seien automatisch „Antifa“. Oder weil sie Politiker sind und per se Zielobjekt brauner Anfeindungen.
Nähere Ausführungen würden auf eine Geschichte der Antifa hinauslaufen, für die mich niemand bestellt hat oder bezahlt. Festhalten will ich an dieser Stelle den Bruch: in der Verwendung des Begriffs wie bei denen, die ihn als Selbstbezeichnung einsetzen.
Insofern sind die aktuellen Debatten sinnlos, weil von allen Seiten fabuliert und aneinander vorbei geredet wird. Bis auf wenige Stimmen wie die von Andreas Speit, der kürzlich im → rechten rand zusammengefasst hat, wogegen Antifa ebenso wie gegen leibhaftige Neonazis antritt: die Abwehr der NS-Geschichte bis hin zu einem »Antifaschismus 2.0«.
Es ist wie anderweitig auch: wo Antifa drauf steht, muss kein Antifaschismus drin sein.
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Eine gewisse Wandlung lässt sich daran erkennen, dass es erstmals in der Region eine → Antifa-Website gibt.
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