Der Große Brand von Stade 1659
Es ging rasend schnell. »In einem Hui« hatte die Feuersbrunst die ganze Stadt erfasst. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Die Einwohner waren überzeugt, einem übernatürlichen Ereignis beizuwohnen. Dieser Brand war eine Geißel Gottes.
Lange wurde der größten Katastrophe in der Geschichte Stades alljährlich in den Kirchen gedacht. Die Feuer-Rute Gottes damit er die uralte Stadt Stade unbarmherzig gestäupet, hieß die Predigt, die der Pastor von St. Wilhadi am ersten Jahrestag hielt.
70 Jahre dauerte es, bis die letzten Lücken in den Häuserblocks wieder gefüllt waren. Heute sind auch Gebäude, die auf ehemaligen Brandbrachen standen, längst abgerissen. Doch wenngleich die Wunden vernarbt sind, war der Donnerstag nach Pfingsten, der 26. Mai 1659, ein Schnitt in die Geschichte der Stadt und ein Trauma, von dem sie sich in zweierlei Hinsicht nicht mehr erholen konnte.

Zum Einen wurden zwei Drittel der Bausubstanz zerstört. Die mittelalterliche Anmutung der Inneren Stadt verdankt sich nicht den Gebäuden, sondern dass man sich bei den barocken Neubauten an die Struktur des alten »Holpergassengewirrs« hielt und bis heute hält. Zum Anderen war unter den 500 Häusern, die den Flammen zum Opfer fielen, auch das Rathaus mitsamt dem Archiv. Geschichten der Bürgerschaft aus sieben Jahrhunderten sind unwiederbringlich dahin.
Erhalten blieb ein winziger Rest, der zugleich das letzte sichtbare Zeugnis der Verwüstungen ist. Ein unscheinbares Überbleibsel, ein Fetzen bloß: ein Kanzleibogen mit einem Protokoll und ein Zettel mit einer Liste, eingerissen und an den Rändern von der Glut und der Zeit angesengt, der im Staatsarchiv aufbewahrt wird. Starker Südostwind, der den Brand verhängnisvoll anfachte, wehte die Blätter weit fort. 17 Kilometer Luftlinie entfernt, in Kollmar auf der holsteinischen Elbseite, gegenüber von Drochtersen, landeten sie.
Wie der Große Brand Schriftgut vernichtete, brachte er neues hervor, durch das sein Verlauf in Einzelheiten dokumentiert ist. Noch im Jahr der Katastrophe wurde Johann Ulrich Wallichs Vera relatio de incendio Stadano gedruckt, die »wahre Beschreibung des Brandes von Stade«.
Wallich war 33 Jahre alt, geboren in Weimar, und weitgereist: »Sein Geist ihn lange Zeit hat in die Welt getrieben, dass er unmüßig ist nicht an einem Ort geblieben«, dichtete ein Bekannter über ihn.
Wallich gehörte zum Stab des schwedischen Generalgouverneurs Von Königsmarck, der seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges von Stade aus das Elbe-Weser-Dreieck regierte. Zwei Jahre vor dem Brand hatte Wallich an einer Delegation teilgenommen, die für den schwedischen König Verhandlungen mit dem türkischen Sultan führte.
Wallich war einer der Leidtragenden des Tages. Er verlor seine Wohnung und vor allem seine Bibliothek, eine der umfangreichsten in der Stadt. Auch der studierte Weltmann befindet, dass der Brand »seinem Lauf und seiner Wirkung nach ein übernatürliches und von dem Herrn angezündetes Feuer gewesen« sei.

Ausführlich schildert Wallich die Warnungen, die an die Einwohner ergangen waren: Die Hunde hätten in den Tagen vorher gewinselt und geheult, als witterten sie Unheil; 14 Tage vor Weihnachten 1658 soll ein Besucher in Hohenwedel nachts über der Stadt Blitze gesehen und düstere Ahnungen gehabt haben.
Hauptmann Johann Christoph Berger, der in dem damals vor den Stadttoren gelegenen Dorf Campe wohnte, sah wenige Tage vor dem Brand »drei feurige Gesichter als Brustbilder in türkischer Tracht« grell am Himmel leuchten. Die Türken waren in jener Zeit ebenso wohl eine reale Bedrohung für Mitteleuropa wie das beliebteste Schreckgespenst.
Hauptmann Berger war zugleich Augenzeuge bei der Entstehung des Brandes. Am 26. Mai, einem heißen Sommertag in einer langen Dürreperiode, betrat er zwischen zehn und 11 Uhr das Haus des Marketenders in Campe, die Gastwirtschaft der Garnison, und traf dort einige Reiter-Offiziere, denen er beim Kauf eines Pferdes behilflich sein sollte.
»Ich habe noch nicht gegessen«, wehrte Berger ab, als er zum Trinken aufgefordert wurde. Dem lasse sich abhelfen, erwiderten die schwedischen Reiter und gaben der Tochter des Marketenders eine Bestellung auf. Die Frau war kaum zur Tür hinaus, als sie schreiend zurückkehrte: »Unter den Plaggen raucht es!«
Mit Plaggen, gepresstem Torf, der wie Zunder oder Reet brennt, waren die meisten Häuser im Dorf gedeckt. Als Hauptmann Berger das Dach besah, schlugen bereits die Flammen heraus. Gerade noch wurde das auf dem Boden schlafende Kind der Marketenderstochter gerettet, da war das Haus bereits von Lohen umtost.
Hauptmann Berger gab Selbstentzündung als Brandursache an. Andere sagten, einer der schwedischen Reiter habe, im Suff oder aus sonstigem Übermut, einen Schuss abgefeuert; die Flamme, die dabei aus seinem Vorderlader spritzte, habe die Plaggen entzündet. Jedenfalls breitete sich das Feuer in buchstäblicher Windeseile über Campe aus. Binnen einer halben Stunde lagen an die 30 Gebäude in Schutt und Asche.
»Als ich diesem Brand eine Zeitlang mit zugesehen«, erinnerte sich Berger, »hat sich aus dem Feuer ein schwarzes Brandstück erhoben und ist über Graben, Wall und Wasser in die Stadt geflogen«. Ob es ein Stück Plaggen oder Holz war, Stroh oder, wie andere sagten, eine Speckseite – das Etwas entzündete mehrere 100 Meter entfernt ein Eckhaus des Platzes Am Sande.

Während hier gerade Leitern, Haken, Spritzen und Ledereimer zur Bekämpfung eingesetzt wurden, raste der Feuersturm schon die Ritterstraße hinab, auf St. Wilhadi zu. »Gerade wie einstmals an einem Orte in Burgund Raben glühende Kohlen in den Schnäbeln getragen und fallen gelassen und so ganze Dörfer angezündet, so sei auch dieser Brand gleichsam mit den Händen über die Stadt gestreut worden«, notierte Wallich.
Statt einzelne Gebäude zu retten, beschränkte man sich darauf, das Übergreifen auf unversehrte Stadtteile zu verhindern. Doch immerzu drehte an diesem Tag der Wind, und das Feuer sprang hin und her. »Gott war mit im Werke. Er war Feuer im Feuer, mischte Zorn und Racheflammen in Feuersflammen; er war im Schlund des Feuers«, glaubte der Pastor von St. Nicolai, der einzigen der fünf Kirchen, die den Brand einigermaßen überstand und lediglich den Glockenturm verlor.

Dass in allen ausgebrannten Gotteshäusern Tauf- und Altarsteine unversehrt blieben schien ein weiteres Zeichen für das Mitwirken höherer Mächte. Die Deckel auf den Zündlöchern der Kanonen auf den Wällen wurden angezündet und abgesprengt; Pfähle mitten im Wasser brannten; die Kirchenglocken schmolzen »wie Wachs«.
Sengende Hitze ringsum, die ummauerte Stadt war ein Hexenkessel. Zu allem Überdruss hatte der Kommandant die Tore schließen lassen, weil er einen Angriff fürchtete, so dass Hilfe von außen nicht herein und niemand hinaus konnte.
Dann, als der Brand eine Ruhepause einzulegen schien, hat »von Osten her ein schöner anmutiger Regenbogen als Gottes unfehlbares Gnadenzeichen an dem Firmament sich präsentiert«, berichtet Wallich. Ein Regenbogen mitten in der Dürre und über der lodernden Stadt? Ganz ohne Wasserdämpfe wie sie vielleicht bei heutigen Löscharbeiten mit riesigen Spritzen entstehen könnten? Der aufgeklärte Mensch des 21. Jahrhunderts lächelt: Religiöse Einfalt.
Aber Wallich und andere haben sich den Regenbogen nicht bloß eingebildet. Sie sahen ihn. Religiöse Überzeugung bildet Regenbögen auch ohne Wasser. Den hilflosen Stadern erschien es ganz natürlich, die Verwüstung als Gottes Werk zu deuten.
Warum es gerade ihre Stadt traf? Den Pastoren fiel es leicht, allerhand Zeichen für Verworfenheit zu entdecken, und sei es die Kleidung der Frauen. Eine spezielle Sünde brauchte es nicht: Jedermann und jede Stadt schien den frommen Zeitgenossen wert, vom Herrn bestraft zu werden.
Die Nacht durch wütete der Brand weiter. Erst am nächsten Tag erlosch die Glut. Man zählte 36 Tote. Nicht zu reden von den Soldaten, die auf Plünderung ausgegangen waren, und deren Knochen gelegentlich der Aufräumarbeiten gefunden wurden. 17 Tage später noch entdeckte man einen Schwelbrand, der das mit Pulver, Pech und Schwefel prall gefüllte Zeughaus bedroht hatte.
Die folgenden 50 Jahre der Schwedenherrschaft waren vom Wiederaufbau geprägt. Dem Großen Brand folgte die Großbaustelle, aus der mit Spenden der Nachbarn und Hilfe der Krone die Stadt neu erstand.

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Literatur ▪ W. Gossel: Johann Ulrich Wallich, Stader Archiv 28/1938 | J. Hackmann: Denckmahl wie Gott in seinem Zorn …, Stade 1661 | M. G. Ram: Stada exusta …, Stade 1660 | U. R. in Hamburger Abendblatt 7.2.1998 | J. U. Wallich: Vera relatio de incendio Stadano …, Stade 1659
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