Zum Geschwätz über »Clan-Kriminalität«

»Schreib mal was über Clan-Kriminalität«, werde ich aufgefordert und verstumme. Seit einigen Monaten wird diese Sau durchs Mediendorf getrieben, voran vom Flaggschiff der »Lügenpresse«, der BILD, aber ich kann darin nichts anderes erkennen als eine Camouflage der »Ausländerkriminalität«, mit der Neonazis seit mindestens 20 Jahren erfolgreich Stimmung gemacht haben. Erfolgreich insofern die AfD ihre Hassfratzen im Bundestag und allen Landesparlamenten zeigen darf.

Unlängst war vor meiner Haustür von »Clan-Kriminalität« die Rede. Im Lokalanzeiger wurde über das Altländer Viertel behauptet: »Das Viertel gerät im Zusammenhang mit Drogen- und Clan-Kriminalität immer wieder in die Schlagzeilen«. (Mordfall Marinowa in Stade) Der Satz steht für das, worum es geht: eine Chimäre.

Es gab nie eine Schlagzeile über Clan-Kriminalität, keinen Bericht oder gar ein Strafverfahren dazu. Ein perfekter Verblendungszusammenhang, indem »Journalisten« sich auf etwas beziehen, das sie nie laut gesagt, aber so nachhaltig suggeriert haben, dass sie schließlich selbst daran glauben.

Aus der BILD erfährt die Leserschaft des Lokalanzeigers, die nie einen Fuß in das verrufene Quartier gesetzt hat (Saniertes Ghetto), etwas über Clan-Kriminalität in Berlin und überträgt es in ihrer Fantasie auf die eigene Kleinstadt. Der oben zitierte Satz des ahnungs- und verantwortungslosen Angestellten eines Zeitungsverlages (den »Journalist« zu nennen eine Irreführung wäre) genügt, um sie in ihren Einbildungen zu bestätigen.

Der nächste Schritt ist die Stimmabgabe für die AfD, für eine nach Angela Merkels Rückzug nach rechts rückende CDU oder die SPD, die auf alles anspringt, das ihr Überleben sichern könnte.

Das Dieselabgasbetrugskartell der Autoindustrie hat zweifellos mehr gesellschaftlichen Schaden verursacht und ist strafrechtlich unangetastet geblieben. Der gemeinen Bürgerschaft aber wird mit ominösen Clans Angst gemacht, über den sie gerade nur genau so viel erfährt, um es mit keiner Wirklichkeit vergleichen zu können.

Familie, Sippe und Clan sind offenkundig verschiedene Begriffe, die von den Schwaflern in den Medien und ihren dankbaren Abnehmern wahllos vermischt und mit den althergebrachten Ausländer-Klischees verrührt werden. Auf deutschem Boden operieren freilich ausländische Banden. Die sind mit den Clans nicht gemeint, ebenso wenig wie etwa die russlanddeutsche Bande, die unlängst eines Millionenbetrugs an den Krankenkassen überführt wurde.

Russlanddeutsche haben nach gängiger Anschauung nicht den »Migrationshintergrund«, der auch all denen vorgehalten wird, die nicht nur die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, sondern hier geboren sind. Dass ihre Eltern oder Großeltern eingewandert sind, wird ihnen, anders als den Russlanddeutschen, vorgehalten, weil man es an der Hautfarbe erkennen kann (oder erkennen zu können meint).

(Auf die Deutsch-Russen komme ich, weil sich der Lokalanzeiger einige Jahre lang ausgiebig allein unter dem Aspekt der Kriminalität mit dieser Bevölkerungsgruppe beschäftigt hat. Dass dies inzwischen unterbleibt, könnte einen höheren Grad an »Einbürgerung« im Bewusstsein der Herrschaften anzeigen, das sich in den Spalten der Zeitung spiegelt.)

Mit »Clan« und »Familien-Clan« wird selbstverständlich nicht die Familie Meier bezeichnet, der mehrere Vorbestrafte angehören, sondern die Familie mit dem arabisch klingenden Namen, der auch türkisch oder sonstwas sein könnte. Den Unterschied macht allein das rassische Vorurteil. Es wird gegenwärtig massiv bedient, indem nicht von Bandenkriminalität oder von Organisierter Kriminalität überhaupt die Rede ist oder deren Beziehungen zu Familienstrukturen nachgegangen wird, sondern sich ein Bruchstück heraus gegriffen und skandalisiert wird, ohne es genauer bestimmt zu haben oder gegenüber anderen Erscheinungsformen von Delinquenz abzugrenzen.

Ist das Vorgehen der Automobilindustrie weniger verderblich als das Agieren ominöser »Familien-Clans«? Oder warum wird das Eine vertuscht und das Andere skandalisiert?

Die fiktiven Schlagzeilen über »Clans« im Altländer Viertel, auf die der Lokalanzeiger sich beruft, haben nur den Sinn, die Träger bestimmter Namen bei der Leserschaft in Verdacht zu bringen.

Hetze zeigt nicht nur eine Hassfratze, die so abstoßend ist, dass die Dümmsten wissen, was gemeint ist. Sie ist vielmehr umso wirksamer, wenn sie sich als Nachricht verkleidet. Mit dieser Sorte »Journalisten« arbeiten die gesamte politische Klasse und die Behörden in Stade seit Jahrzehnten vertrauensvoll zusammen.