Absätze über den Dandyismus
»Zerbrochne Berge waren fern wie Steine.« (Georg Heym)
Wintergarten
Zum Dandy assoziieren sich zunächst Bilder aus dem 19. Jahrhundert. Bilder von rührender Fremdheit, von verlorenen Zeiten, Bilder ohne Wirklichkeit.
Das 19. Jahrhundert, die Kindheit der Gegenwart, zunehmend von einer klebrigen Schicht aus Mythen und anderen Sehnsüchten überzogen, ist mit einem Garten verglichen worden. Ein Garten ja, aber einer unter Glas, ein Wintergarten: sonnendurchflutet und doch abgeschirmt gegen Frost und Sturm.
Und darin: der Dandy. Ein künstliches Lebewesen, ein Treibhaus-Gezücht. Paradox wie die Palme, die im englischen Nieselregen unter dem Schutz einer Glaskuppel gedeiht.
Die Verschränkung des Innen mit dem Außen ist eine der strukturellen Figuren des 19. Jahrhunderts. Im Dandy verlebendigt sich diese Figur. Er ist der Mensch, der darin ist, wie er wirkt: als schöne, aber sinnlose Geste, als in den Raum gezogener Schnörkel. Durchblutetes Ornament.
Die das 19. Jahrhundert durchziehende Spannung zwischen Masse und Individuum, Straße und Wohnstube wird im Dandy zum Lebensprinzip. Alleinsein lähmt ihn, in Gesellschaft sucht er nach Einsamkeit. Er ist nie dort, wo er sein will; er ist nie er selbst.
Diese Abwesenheit aber, diese fortwährende Abweichung vom Gegebenen überspielt er mit höchster Kunstfertigkeit im Umgang. Niemand ist abwesend präsenter als er. Kultiviert bis in die leichteste Muskelzuckung, hat er alles unter Kontrolle.
Aber seine Kultur macht keinen Sinn. Sie ist nur das formale Muster der Naturbeherrschung im Subjekt, die nie wirklich gelingt.
Das Wirkungsfeld des Dandy, der seine Privatsphäre so perfekt hütet, dass nichts davon jemals öffentlich wird, ist der öffentliche Raum, der im 19. Jahrhundert sukzessive zusammengepresste Beziehungsraum diesseits des unüberschaubaren Gesellschaftsganzen und jenseits der kleinen Welten der Intimität; seine Strategie besteht darin, unbefragte Selbstverständlichkeiten zu torpedieren und Natürliches durch Künstlichkeiten zu ersetzen; sein Instrument ist die Geste.
Geschichtliche Signatur
Anfang des 19. Jahrhunderts erhält der Dandy in George »Beau« Brummell erste Gestalt. Dieser Enkel eines Zuckerbäckers wird von seinen Zeitgenossen mit Napoleon verglichen, Literaten wie Baudelaire und Barbey d‘Aurevilly huldigen ihm und verschaffen ihm eine Ahnengalerie, die bis in die Antike hinabreicht.
Gegen eine ahistorische Interpretation des Dandy, den Chateaubriand sogar bei den Indianern entdeckt haben will (Winnetou unter echten Apachen), argumentiert Walter Benjamin in seinen Baudelaire-Studien. Er betont die »geschichtliche Signatur« des Dandy und begrenzt dessen Erscheinen auf die Epoche Brummells, sieht in ihm also ein Phänomen am Ursprung der Moderne, das mit deren weiterem Verlauf verschwindet.

Benjamin schreibt: »Der Dandy ist eine Prägung der Engländer, die im Welthandel führend waren. In den Händen der londoner Börsenleute lag das Handelsnetz, das über den Erdball läuft; seine Maschen verspürten die mannigfachsten, häufigsten, unvermutbarsten Zuckungen. Der Kaufmann hatte auf diese zu reagieren, nicht aber seine Reaktionen zur Schau zu stellen. Den dadurch in ihm erzeugten Widerspruch übernahmen die Dandys in eigene Regie. Sie bildeten das sinnreiche Training aus, welches zu seiner Bewältigung nötig was. Sie verbanden die blitzschnelle Reaktion mit entspanntem, ja schlaffem Gebaren und Mienenspiel.«
Diese Erklärung greift zu kurz; sie verkennt, dass der Dandyismus eine Haltung markiert, die keineswegs restlos aufgeht, bzw. restlos verbraucht ist in den spezifischen Formen, die der Dandy Brummellscher Prägung entwickelt.
Stärke im Halstuch; das Befeuchten des Handschuhs, damit er sich der Hand besser anpasse; eine Sonnenblume im Knopfloch – Benjamin verengt die Figur des Dandy darauf, anhand solcher Kleinigkeiten aus dem Bereich der Kultur des Umgangs den Übergang vom Adel zum Bürgertum zu gestalten; mit dem Untergang des Adels als gesellschaftlicher Macht in Belangen der kulturellen Orientierung ist der Dandy (der bei Benjamin kaum zu unterscheiden ist vom Gentleman) jedoch nicht erledigt, mögen sich auch seine ersten Ausdrucksmittel erschöpft haben.
Erledigt ist der Dandy deshalb nicht, weil der ihn erzeugende Widerspruch fortbesteht; weil weiterhin Techniken entwickelt werden, die tatsächlich herrschende Zweckorientiertheit des Handelns zu verschleiern, die Rigorosität der bürgerlichen Ordnung ästhetisch zu erweichen und automatisches Verhalten als natürliches darzustellen.
Auch in Benjamins Beispiel greift der Dandy dort ein, wo der Bürger zwar einem bestimmten, beschleunigten Reaktionsmuster folgt, das ihn zum bloßen Vollzugsinstrument des »Welthandels« macht, dieses aber hinter gemächlichen, dem Adel abgeschauten Gesten verbirgt, mit denen er sich als ein Individuum ausstellt, das er im übrigen schon nicht mehr ist.
Zwar verschwindet irgendwann der Adel, nicht aber die Mechanik, die so die Realität mit Illusionen überhebt. Der Dandy ist diese Überhebung, ist in ihr: ist gelebter ideologischer Widerspruch, die existentielle Inszenierung der Absurditäten moderner Wirklichkeit.
Elegantes Leben
Nicht von ungefähr ist die Mode das erste Aktionsfeld des Dandy. Der Kapitalismus, dessen Lücken der Dandy mit seiner Existenz büßt, beginnt in der Textilbranche; er reizt anfangs damit, aus Luxusgütern Massenartikel zu machen. Der Dandy ist der Designer im Frühkapitalismus.
Die Gestaltungsprinzipien dieser Epoche zehren vom ästhetischen Erbe des Feudalismus, von den Formen handwerklicher Tradition zumal, die den maschinell angefertigten Gegenständen beziehungslos übergestülpt werden.
(Erst im 20. Jahrhundert findet die Warenästhetik den Anschluss an die veränderten Produktionsverhältnisse. Ist sie ihnen bis dahin nachgelaufen, eilt sie ihnen nun, als Neue Sachlichkeit, in ideologischer Übertreibung voraus. Peter Behrens‘ Corporate Identity für die AEG leitet in diesem Sinne hin zum Nationalsozialismus.)
Soziologisch gesehen ist dies die Funktion des klassischen Dandy: Kleidung zu gestalten, bevor ein Berufsbild des Designers sich bildet. Der Dandy vermittelt dabei bürgerlich-zweckmäßige Schlichtheit mit adligem Überschwang.
Sein Einfluss macht sich nicht di¬rekt geltend, sondern wird übertragen durch die Sphäre des Rest-Adels und der Neureichen, die Gesellschaft im engeren Sinn, in der er tonangebend ist. Was dort angesagt ist, wird von der Industrie aufgegriffen und, zunächst noch, in diese Kreise zurückgeführt.
»Das elegante Leben«, vermerkt Balzac, »ist das befruchtende Prinzip der Industrie.« Seine Aufgabe als Designer verliert der Dandy, sobald Mode zum Massenphänomen wird. Oder eigentlich: Er zieht sich aus dieser Rolle zurück. Das bringt ihn nicht um; es ist ein Missverständnis, wenn der Dandyismus für eine ausschließlich auf Kleidung, Aufmachung bezogene Attitüde gehalten wird.
Dem Dandy entspricht es eher, sich im selben Moment, da etwas, das er selbst in die Welt gesetzt hat, nichts Außergewöhnliches mehr ist – wie hier die Mode –, sich davon zurückzuziehen, um gerade nicht damit identifiziert zu werden.

Sozial ist der Dandy im Exil; er gehört keiner Klasse wirklich an. Bürgerlicher Herkunft zumeist wirkt auf Bürgertum und Adel gleichermaßen. Anders als der Künstler aber, der ebenso im Abseits steht, vermeidet er Gruppenbildungen; er ist ein fanatischer Einzelgänger.
Noch einmal Balzac; in seiner Physiologie des eleganten Lebens, einem 1830 geschriebenen ironischen Manifest des Dandyismus, unterscheidet er drei »Gruppen von Wesen, die das moderne Leben geschaffen hat«: erstens den Menschen, der arbeitet; zweitens den, der denkt; und schließlich den, der nichts tut und elegant lebt.
Der Müßiggang des Dandy ist indes ein anderer als der des Adligen: keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Anstrengung, die aus der Abwendung von der eigenen bürgerlichen Herkunft entsteht und womit er gegen den Zwang zur Arbeit protestiert, gegen geordnete Beschäftigung, gegen Leistungsdenken und Gewinnstreben.
Dadurch, dass er kreativ ist, steht der Dandy denen, die denken, den Künstlern und Wissenschaftlern, näher als den Bürgern. Seine Kreativität äußert sich jedoch nicht materiell, in Gebilden, denn das hieße Arbeit leisten, sondern in Gesten.
Dekadenz
Die Geste ist das Überflüssige, Dysfunktionale. An der Handlung unterscheidet Roland Barthes zwischen der »Botschaft, die eine Information erzeugen will« (der Dandy hat nichts zu sagen, er sucht gerade die Basis eines möglichen Inhalts, nämlich sich selbst); dem »Zeichen, das eine Einsicht hervorbringen will« (der Dandy ist durch und durch Ästhet, ihm liegt alles Pädagogische fern; da er nichts erzeugen will, mag er erst recht nicht überzeugen); und schließlich der »Gebärde, die den ganzen Rest (die ›Zugabe‹) produziert, ohne eigentlich etwas produzieren zu wollen«.
Dies »Produkt« ist eine Atmosphäre, eine Aura – keine Form im strengen Sinn, die nicht vom Inhalt zu trennen wäre, über den der Dandy nicht verfügt, sondern die Gestalt eines Zeichens, wofern diese nicht mit seinem Gebrauch übereinstimmt. Ein Schnörkel, ein Schwung, eine Abweichung: Dekadenz.
So ist der Dandy ja auch in der Mode nicht dadurch kreativ, dass er Formen erfindet, sondern indem er Formen verändert. Nicht durch das, was er trägt, äußert er sich, sondern darin, wie er etwas trägt.
Die Gesten des Dandy sind Selbstverfremdung, Begleitung ungewollten, erzwungenen Handelns. Überflüssige, den Zwang ihrerseits verfremdende Bewegungen gehören zur Charakteristik der entfremdeten Arbeit mit Maschinen.
Zu beobachten etwa bei der »Röhrenschweißerin, die nach etwa 30 Schweißungen jeweils eine ausholende flügelartige Bewegung mit ihren Armen macht, um in die funktionelle Arbeit an weiteren etwa 30 Röhrenteilen einzutreten. Für sie als Person wirklich (also Lebenslauf) ist die ausholende Bewegung, das Übrige ist unwirklich. Für den am Resultat orientierten Prozess der Wertbildung verhält es sich umgekehrt.«
Entlastungs-Bewegungen dieser Art kultiviert der Dandy; seine Lässigkeit ist Anstrengung. So allerdings werden zweckbestimmte wie zwecklose Bewegung für ihn gleich unwirklich. Wirklich ist für ihn allein deren Differenz, in der er sich ausbreitet. Er inszeniert dieses Aussetzen, den Augenblick zwischen zwei Bewegungsabläufen; er verfeinert die Unterbrechung; das Dazwischen wird für ihn zur Quelle ständig wechselnder Posen.
Die Pose stellt den Körper aus, aber nicht schier, sondern indem sie ihn als Kunstprodukt erscheinen lässt und ihn, wie unter Glas, in einer Vitrine lagert. Der Dandy ist exhibitionistisch und ist es nicht; er exponiert seinen Körper, indem er ihn zugleich mit den Ornamenten der Gestik verhüllt.
Diese Zweideutigkeit, die ein Schwanken zwischen Natürlichem und Künstlichkeit ist, korrespondiert der erotischen Verführung. Erotisch ist die Unterbrechung: die Stelle etwa, an der die Kleidung ein Stück Haut aufblitzen lässt; die Grenzlinie zwischen Natur und Kunst, der Riss oder eigentlich: das Reißen. Der Dandy macht sich insgesamt zum erotischen Objekt.
Dabei bedient er sich weiblicher Posen, die selbst schon den Körper präsentieren, anbieten und verstecken, zurückziehen. Indem der Dandy als Mann auf weibliche Posen rekurriert, erhöht er noch den Grad der Schwankung zwischen Verführung und Enttäuschung, Angebot und Abweisung, Nähe und Distanz. Seine Arithmetik der Unnahbarkeit führt dahin, dass er sich so total der Anziehung widmet, dass er sich dadurch völlig entzieht.
Identifikation
Im Vergleich mit dem Flaneur, wie er von Benjamin beschrieben worden ist, lässt sich erkennen, was der Dandy verkörpert, welchen Konflikt er in sich austrägt: Wie nämlich Individualität herzustellen und zu bewahren ist in einer Gesellschaft, die die Auslöschung alles Individuellen betreibt. Darin sind Flaneur und Dandy verwandt.
Ist der Flaneur sich jedoch eines ihm allein eigenen Inneren gewiss, formuliert und erlebt dessen Kontrast zu seiner Umgebung, stößt der Dandy bei sich immer ins Leere. Für Benjamin ist die Flanerie eine Betätigung, die dem spleen abhilft: Der spleen »ist das Gefühl, das der Katastrophe in Permanenz entspricht.«
Der Dandyismus ist die dementsprechende Lebensweise. Zwar glaubt der Dandy an einen der Vergleichbarkeit und Erklärung, der Beobachtung und Kontrolle entzogenen Bereich, von dem die Flanerie sich nährt, an die Möglichkeit einer Seele also – aber er hat diese nicht als etwas, worauf er sich wie der Flaneur umstandslos beziehen könnte.
Der Dandy sucht sich noch; und er glaubt, sich nur dort zu finden, wo niemand sonst ist, abseits jeder Identifikation mit Ideen, Gruppen, einzelnen Menschen. Sein ganz Eigenes ist immer das noch zu Entdeckende und das, wodurch er allein sich unterscheidet.
Damit wird eine Maschinerie der Differenzierungen und Nuancierungen in Gang gesetzt, die nichts Gleiches zulässt und den Dandy zu allem und jedem in Abstand bringt. Die fortwährende Differenzierung führt in die Differenz, die Indifferenz hinein, zu grenzenlosen Dissoziationen.
Weil der Dandy sich aber nicht hat, ist er angewiesen auf die Anderen, ihm ungleichen aber sich gleichen, die (insofern sie sich nach von ihm durchschauten Mustern verhalten, automatisch im Rahmen psychologischer, soziologischer Erklärungen agieren) ein Sprungbrett bieten, von dem er sich in jedem Moment abhebt, um sich in der Distanz von ihnen zu finden – und, weil er dabei gleichwohl nie zu sich kommt, wieder auf die Anderen zurückfällt, um sich erneut von ihnen abzustoßen.
Die Gleichen sind die graue Mauer für seine flüchtigen Graffiti, in denen seine ganze Lust und sein ganzer Hass verschwendet sind.
Der Dandy akzeptiert keine Norm, keine Ordnung; nicht einmal selbstgesetzte, weil er gezwungen ist, sein eigenes Verhalten ständig zu modifizieren, immer neue Ausweichmanöver vorzunehmen, um seinerseits nicht identifiziert zu werden.
Das klingt kriminologisch: Tatsächlich ist der Dandy einer, dem nicht auf die Spur zu kommen ist. Wer sich gestisch artikuliert, hinterlässt allenfalls Erinnerungsspuren. Selbst seinen eigenen Erinnerungsspuren gegenüber verhält der Dandy sich ausweichend.
Der Dandy ist entschieden gegen das Streben nach Vollendung; alles Abgeschlossene, Stillgestellte quält ihn: Er ist bestrebt, jeder Versteinerung zu entgehen; er sieht sich nie um. Lebt auf Abruf. Jeder Morgen ist der Morgen eines potentiellen Todestages. Eine von diesen, verkündet jede Uhr. Seine unruhige Hand wärmt sich an einem Revolverknauf.
Er handelt nicht; aber er denkt unter Einsatz seines ganzen Lebens. Jedoch bildet er sich nichts ein auf seine Erkenntnisse, die ihm großartig erscheinen, noch teilt er sie mit. Wem denn auch? Und wie? Verlor er nicht die Sprache unter dem Druck der Antworten, die er auf seine Fragen erhielt, und die nur einen Ausdruck zulassen würden; den Druck auf den Abzugshahn des Revolvers?
Das hypersensible Gleichgewicht, in dem sich der Dandy zwischen dem Angewiesensein auf andere und dem Abscheu vor allem, was nicht er ist, befindet, ist durch Kleinigkeiten zu stören. Brummell etwa wird umgehend wahnsinnig, als seine Finanzlage ihn dazu zwingt, kürzer zu treten.
Genaugenommen ist es ganz einfach: Auf dem Scheitel der Lebendigkeit, sei es als Depression oder als Glück, holt den Dandy regelmäßig die Todesangst ein. Dieses Schaukeln einer Waage im Dunkeln wird ihm endlich zu viel. Und da es zum Leben gehört, stellt er es ab. Sein Leben – oder auch das der anderen.
Denn da er natürlich keine Ordnung, auch nicht die moralische anerkennt, ist ihm der Mord nicht sehr fern. Paul Valéry schreibt über den Dandy, er »gründet sein Dasein auf das Nichtsein der anderen, denen es jedoch ihre Zustimmung zu ihrem Nichtsein zu entreißen gilt«.
Es ist, als verhülfe der Tod eines anderen, wobei es gleichgültig ist, ob die Vernichtung psychisch oder physisch geschieht, dem Dandy zum Leben.
Während der Flaneur Zeit hat und spazieren geht, gemächlich ist und sich in der Versenkung findet, die der Dandy flieht; während der Flaneur die Straße zu seiner Wohnung und die Stadt zu seiner Heimat macht, ist der Dandy heimatlos. Er wechselt häufig die Wohnung und bevorzugt möblierte Zimmer, weil er dort auf ein Anderes, Fremdes trifft, an dem er seine Eigenart beweisen kann, indem er mit dem umgeht, worin er nicht ist und, ohne selbst produzieren zu müssen, vorgefundene Muster gegen den Strich zieht.
Der Dandy liebt das Zufällige und Kleine. Das Kleine ist, was sich am leichtesten entzieht, dem buchstäblichen Zugriff, dem Gebrauch: wie die Nuance, die, was sie zeigt, nicht bestimmt, die im Undeutlichen bleibt; wie die Geste.
Nachdem er sich aus der Mode zurückgezogen hat, bevorzugt der Dandy Second-hand-Kluften. Er wahrt dabei die bürgerliche Maske, seine Kleidung ist nie extravagant; gegenüber der Stangenware hat das gebrauchte Kleidungsstück den unschätzbaren Vorzug, mit subtilsten Spuren gezeichnet zu sein, die nie ganz zu tilgen sein werden; die es in seiner Fremdheit belassen, mit dem der Dandy gleichwohl als einem Eigenen umgeht.
Der Dandy erlebt sich dabei am heftigsten, wenn er den Widerstand eines Anderen bricht und nur im dem Moment, wenn das Andere sich ergibt. Sodann wird es wieder uninteressant für ihn.
Tödliche Langeweile
Der Dandy hat keine Zeit, deshalb langweilt er sich, stürzt sich hektisch in immer neue Unternehmungen, füllt seine innere Leer mit von außen aufgefangenen Anregungen. Seine von Vergangenheit und Zukunft abgeschnittene Gegenwart ist leer; jeder Moment ist ein Abgrund, ein Gähnen: Langeweile.
Das treibt ihn zu fieberhafter Aktivität an. Zwar lebt er zu allererst seinem Genuss, verfügt aber über kein System für die Reizungen und Empfindungen, denen er nachjagt, und nichts vermag seinen Hunger dauerhaft zu sättigen. Im Unterschied zum Narziss, der sich bedingungslos mit Genüssen vollsaugt, ist der Dandy sparsam; er weiß um die Erschöpfung, die unweigerlich folgt.
Überhaupt ist die Langeweile die Grundbefindlichkeit des Dandy. Ohne Selbstbewusstsein gibt es keine erlebte Zeit. Das Selbstbewusstsein ist die fixe Orientierungsmarke, der Leuchtturm außerhalb des indifferenten Zeitflusses, an dem das Vergehen von Zeit gemessen wird – wie die Bewegung eines fahrenden Zuges für den darin Sitzenden nur durch das Vorbeigleiten der unbewegten Landschaft vor dem Abteilfenster bewusst wird.
Natürlich ist die Zugbewegung wie die Zeit dennoch vorhanden: im Körper, der damit umgeht, Stöße empfängt und abfängt, und vergeht. Den Körper allerdings hat der Dandy zu seinem Instrument, zur Maske degradiert. Deshalb ist es ihm möglich, sich mit äußerster Präzision und Preziosität gestisch zu artikulieren, weil er seinen Körper als etwas Fremdes behandelt und ihn quasi wie von außen dirigiert. Er ist eine Marionette mit selbständigem Bewusstsein.
Gegen die Vergänglichkeit seines Körpers, gegen die biologisch unerbittliche Zeit, gegen die unkontrollierbare Natur überhaupt lehnt der Dandy sich auf. Raymond Roussel beispielsweise, Millionär, Dandy und Schriftsteller, hat keine noch so schmerzhafte Prozedur gescheut, um seine Haut vor Falten, sein Haar vor dem Ergrauen, seinen Körper vor den Zeichen des Alters zu bewahren.
Die Erhebung des Dandy gegen die Zeit geht so weit, dass er seinen Tod in die eigene Hand nimmt; der Dandy ist unter allen Aspekten ein potentieller Suizidär.
Baudelaire sieht im Dandyismus einen letzten »Ausbruch von Heroismus in den Niedergangsepochen«; also auch hierin steht der Dandy gegen die Zeit. Im Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus »rettet« er gleichsam Sitten und Gebräuche des Adels in die neue Zeit hinüber.
Eine weitere Epoche, in der der Dandy sich entfalten kann, ist die vor dem Ersten Weltkrieg: In Vorahnung der Massenvernichtung glüht der Individualismus als Dandyismus noch einmal auf.
Dandy der Kaserne
Mit der Auflösung des öffentlichen Raums und der Verschärfung des Gegensatzes zwischen dem anonymen Großstadt-Betrieb und der bürgerlich-intimen Wohnstube wird der Aktionsradius des Dandy eingeschränkt. Im 20. Jahrhundert findet man ihn vornehmlich im Umkreis der Avantgarde-Bewegungen, die die Gesellschaft im engeren Sinn restaurieren und relativ abgeschlossene Gruppen bilden: Expressionismus, Dada, Surrealismus.
Sie bilden Anziehungspunkte für dandyistisch gestimmte Naturen. Innerhalb dieser Gruppen, in denen sie Randfiguren bleiben, sich nie ganz einordnen, an der Grenze gehen, kommt ihnen die Rolle des Agent Provocateur zu. Von Jacques Rigaut, der kurze Zeit zum Kreis der Pariser Dadaisten gehört, heißt es, er sei »in allen internen Auseinandersetzungen die Stimme des Gewissens Dada« gewesen.
Die ideale Kulisse für den Dandy bietet im 20. Jahrhundert jedoch das Militär. Der Prototyp des »Dandys der Kaserne« ist Jacques Vaché. Er war mit André Breton befreundet – soweit ein Dandy Freundschaften eingehen kann – und dieser gab seine Kriegsbriefe heraus, Dokumente tiefschwarzen Humors.

Was könnte als Projektionsfläche für den Dandy geeigneter sein als die totale Institution des Militärs, die perfekte Megamaschine, in der der kleinste Krümel Individualität ausgeputzt und der Einzelne zum Automaten wird? Eine angetretene Kompanie ist als Bühne für den Dandy noch ungleich besser geeignet als die höfische Gesellschaft am Anfang der Moderne.
Die Körper sind uniformiert: identische Kleidung, gestutztes oder geschorenes Haar, normierte Bewegungsabläufe. Sinnlose Handlungen. Nirgendwo hebt sich schon die minimalste Geste des Dandy schärfer hervor als im Raster eines durchgestylten Heeres. Zumal die kleinste Abweichung Strafe nach sich zieht: der gestische Einsatz des Dandy wird hoch belohnt; im Widerstand gegen die Militärmaschine erhält die sinnloseste Geste durch die auf sie reagierende Hysterie plötzlich subversiven Glanz.
Vaché treibt in dieser Hinsicht tatsächlich subversive Affirmation. Anders als sein literarisch-fiktiver Zeitgenosse Schweijk, der die Lücken des Gefüges akzentuiert, gleitet Vaché fast unauffällig mit der Masse. Seine Subversion ist nahe am Zynismus, wenn er etwa den Krieg unter ästhetischen Gesichtspunkten rezensiert und Vergleiche zwischen dem Kriegsgeschehen und Alfred Jarrys Ubu anstellt.
Er schert auch sonst keineswegs aus. Im Gegenteil erfüllt er das Geforderte und Befohlene mit satanischer Akkuratesse. Mitten in der Schlacht, in Blut und Schlamm, trägt er, wie durchaus auch von der Organisation vorgesehen, blitzsaubere Stiefel. Und zwar erfüllt er den Irrealismus, der vom Soldaten Korrektheit in allen Lagen erfordert, en passant, im Unterschied zu Schweijk, ohne irgendein Aufhebens davon zu machen.
Mitten im Gemetzel, das keine sauberen Stiefel zulässt und erfordert, bewahrt er sich durchaus eine paradoxe, gegenläufig unmenschliche Würde.
Dandyismus in der Literatur
Er war homosexuell, lebte aber seine Neigung nicht aus. Trotzdem hielt er es für nötig, um auch nur die Spur des Anscheins eines Verdachts zu verhindern, sich eine Schein-Geliebte zu halten. Mit ihr fuhr er gelegentlich in die Oper, weil das in seinen Kreisen so üblich war, aber nur, um sich selbst gleich nach Beginn der Vorstellung heimlich wieder davonzumachen.
Er reiste viel, um die halbe Welt, aber ohne etwas von fremden Ländern wahrzunehmen, in die er seinen Körper transportieren ließ; in der Ferne hielt er nur umso hartnäckiger an der Nähe fest. So, wenn er sich in einem von ihm selbst entworfenen, sargähnlichen Wohnmobil, hinter zugezogenen Vorhängen lesend, durch Europa chauffieren ließ.
Umgekehrt war er im Nahen in die Ferne verstreut. Am Schreibtisch, über jeden Satz blutend, wie er behauptet, fühlt er sich von der Versprechung seines Weltruhms fortgezogen ins Unabsehbare.

Raymond Roussel (1877–1933) ist ein Ausbund an Dandyismus, an äußerster Unentschlossenheit, der bei allem, was er unternimmt, mit Leidenschaft das Gegenteil davon begehrt. Und er hat seinen Dandyismus literarisch ausgespielt, in einer Handvoll bedrückender und monomanischer Werke. Diese blieben über Jahrzehnte unbeachtet, weil es unmöglich schien, irgendeinen Zugang zu ihnen zu finden.
Wie das ominöse Tier in Kafkas Erzählung Der Bau hatte Roussel sich gut versteckt vor dem Ruhm und der Anerkennung, die er sich zeitlebens sehnlichst gewünscht hatte. Er, der so verständlich wie Jules Verne hatte sein wollen, ist der Unverständlichste. Und das, obwohl seine Sprache der Jargon der Unterhaltungsliteratur ist.
Aber sein paranoides Bemühen, sich verständlich zu machen, hat ihn zu jeder Erklärung sogleich eine neue Erklärung hinzusetzen lassen, und was er hat sagen wollen, wenn er etwas sagen wollte, unter einem Berg von Verdeutlichungen unkenntlich gemacht. Seine Literatur ist eine der perfekten Oberfläche, die sich zu allen Seiten hin, nur durch den Rahmen des Buches begrenzt, ausdehnt, potentiell unendlich ist.
Statt Gegenstände zu beschreiben, erklärt Roussel ihre Beziehungen zueinander, ihre Ähnlichkeiten und Gegensätze; er überzieht sie mit einem Netz aus Korrespondenzen, unter dem sie selbst unfehlbar unsichtbar bleiben. Er häuft Details, Namen, Konkretheiten aufeinander und erreicht dadurch, dass das Bestimmteste in der Abstraktheit verschwindet.
Eines der zentralen Motive in Roussels Werken ist die angehaltene Zeit und die Überwindung des Todes. So zeigt er Leichen, die mittels zweier Wundermittel dazu gebracht werden, immer wieder und natürlich vor Publikum, einen besonders bedeutsamen Moment ihres vergangenen Lebens nachzuspielen.
Roussels Welt ist ohne Intimität, alles wird in ihr ans Licht gezerrt (ein Mittagssonnenlicht, wenn die Schatten am kürzesten sind, das Licht im Zarathustra und das Licht in den Bildern Dalís), öffentlich gemacht, ohne sich dadurch zu erhellen. Das Veröffentlichte bleibt vielmehr umso verborgener.
In einem posthum erschienenen Selbstkommentar gibt Roussel vor, sein Schreibverfahren zu erklären. Er behauptet, seine Geschichten und die Maschinen, mit denen er seine abgeschlossenen öffentlichen Räume möbliert, aus der Spannung zweier Homonyme zueinander erhalten zu haben. Aber damit ist natürlich nichts erklärt: warum von den astronomisch vielen Möglichkeiten, zwischen zwei Wörtern durch eine Geschichte eine Brücke zu bilden, er sich für genau diese oder jene entschieden hat, bleibt weiterhin rätselhaft.
Roussel ist als Person ganz und gar in seine Texte eingegangen – und ist gleichwohl als Person nicht darin zu entdecken.
Camp / Wittgenstein
Camp, eine Variante des Dandyismus, die in den 1960ern in den USA aufkam, und sich bis in die 1970er hinein in Europa fortgepflanzt hat, ist entstanden aus dem Gefühl intellektueller Kreise, immer mehr vom gesellschaftlichen Geschehen abgeschnitten zu werden.
Die Antwort des Camp auf die Bedeutungslosigkeit des Intellektuellen ist freilich nicht die Revolte oder irgendeine politische Veränderung. Die Anhänger des Camp versuchen vielmehr, sich der Masse, die sie durchaus als von ihnen getrennt zu erfahren, anzunähern, ohne dabei ihre Sonderstellung als Intellektuelle aufgeben zu müssen.
Ihr Revier ist dabei die Privatheit. Der Camp macht sich die Objekte des Massengeschmacks, die Trivialliteratur, Comics, Werbung, Hollywood-Filme, zueignen, bewahrt sich aber seine intellektuell verfeinerte Wahrnehmungsweise. Er genießt das Krude in seiner Krudheit, aus dem Kontrast heraus zur Intellektualität, von der er sich ebenso abzuheben bemüht wie vom Massengeschmack.
Der Camp liebt den Comic nicht als Comic, sondern weil er kein Gemälde ist; und er nimmt das Triviale nicht bedingungslos auf wie die Massen, sondern unter der Bedingung, es anders als die Massen wahrzunehmen. Die Pop-Art ist in mancherlei Hinsicht der Niederschlag des Camp in der bildenden Kunst.
Der Dünkel des Camp ist gegen die Intellektuellen gerichtet: Mit der Masse ist er sich darin einig, dass die Intellektuellen dort Probleme sehen, wo keine sind. Trotzdem geht diese Problematisierung seinem Erleben trivialer Gegenstände voraus, indem er sie in ihrer Trivialität erblickt.
Ludwig Wittgenstein ist insofern ein Philosoph mit Camp-Gesinnung. Mit »denen da unten« ist er einig, dass die Welt ist, was der Fall ist, und keine Rätsel birgt. Die akademische Philosophie erzeugt seiner Ansicht nach nur Beulen, um sich damit, dass sie diese wegzuoperieren versucht, selbst zu rechtfertigen.
Freilich stellt Wittgenstein selbst unablässig genuin philosophische Fragen. Indes weicht er Antworten aus und gibt lediglich diese Fragen weiter – die dessen ungeachtet durch die Lücken im Gefüge, die sie zeigen, von anderen zur Antwort genutzt werden können.
Diese Inkonsequenz, philosophisch gegen die Philosophie zu argumentieren, drückt sich in seiner Schreibweise aus, in ihrer Verstreutheit, im An- und Absetzen von Gedanken, die der eigenen Logik ausweichen und Zuflucht suchen beim Dialogpartner, um diesen wiederum seiner Irrtümer zu überführen.
Der Partner, Wittgensteins »du«, ist er jedoch selber: Sich selber versucht er davon zu überzeugen, dass es die Probleme nicht gibt, die für ihn dennoch wirklich sind.
Roboter
Der Dandy ist ein Phänomen der Moderne. Deshalb gibt es ihn nicht als Erscheinung der postmodernen Gegenwart. Als Typus nicht, als einer, der eine besondere Haltung einnimmt, aber dafür als Hauptstrom der Gesinnung.
Die Leere, das Ausgleiten des Sinns und die Formalisierung des Lebens, digitale, staubfreie Neon-Wirklichkeit und Kachelwände, verzogene Normen und kultureller Pluralismus, der Differenzierungen für jeden Geschmack produziert – die Widersprüche, aus denen der Dandy entstand, sind geblieben, sie haben sich eher noch verschärft; nur ist mittlerweile ein dementsprechendes Subjekt gebildet worden, das sie als Selbstverständlichkeit erfährt.
Dandyistisch ist dieses Subjekt in seiner Konstruktion, in seiner Abwesenheit, die nur scheinbare Wirklichkeit erlangt: Roboter, dem die Kultur genügend Mittel bereitstellt, um sich als Individuum nach außen zu demonstrieren, wo es auf ebensolche Schein-Individuen trifft, die sich ihm als Roboter, die sie sind, darstellen, und von denen er sich wiederum scheinbar abzuheben bestrebt ist.
»Der spleen ist das Gefühl, das der Katastrophe in Permanenz entspricht.« Er erzeugt Apokalypse-Phantasien in Songtexten und Video-Clips gegen Sinnlosigkeit und Langeweile. Er sorgt für die Durchdringung von öffentlichem und privatem Raum, für Kneipen mit riesigen Schaufenstern und kahle, weiß getünchte Interieurs mit Plastikstühlen, in denen lauter Einzelne sich bewegen und aufhalten, die sich hartnäckig darüber täuschen, wie sozialisiert sie sind.
Der Autismus ist die Basis für die Kultur des Überdrusses. Die Rolle des Dandy ist längst dem Melancholiker zugefallen.
Zitierte Literatur
Honoré de Balzac: Physiologie des eleganten Lebens, in: Der Dandy, Hg. H.-J. Schickedanz, Dortmund 1980 | Roland Barthes: Cy Twombly, Berlin 1983 | Charles Baudelaire: Der Dandy, in: Der Dandy, Dortmund 1980 | Walter Benjamin: Das Paris des Second Empire: Die Moderne / Zentralpark, in: Gesammelte Schriften Bd.I/2, Frankfurt/M. 1974 | E. L.: Lord Patchogue – eine Legende?, in: Jacques Rigaut, Schriften (1919–1929), Berlin 1983 | Elisabeth Lenk: Der springende Narziss. André Bretons poetischer Materialismus, München 1971 | Oskar Negt / Alexander Kluge: Geschichte und Eigensinn, Frankfurt/M. 1981 | Jacques Vaché: Kriegsbriefe, Hamburg 1979 | Oswald Wiener: Eine Art Einzige, in: Riten der Selbstauflösung, Hg. V. v. d. Heyden-Rynsch, München 1982
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aus: Spuren – Zeitschrift für Kunst und Gesellschaft, hg. Karola Bloch, Hochschule für bildende Künste Hamburg, Nr. 11–12 / Mai–Aug. 1985
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Siehe auch:
→ Wittgenstein und die Sängerknaben. Sieben Sätze im Dreivierteltakt über Ludwig Wittgenstein als Denkmusiker
→ No. 224. Raymond Roussels Tod auf Reisen
→ Blinder Passagier. Warum der Schriftsteller Raymond Roussel das Wohnmobil erfand
→ Jacques Rigauts Langeweile zum Tode. Aufzeichnungen eines Dadaisten
→ Ansichten in Krötenperspektive. Carsten Klook: Letzte Nächte in Boohemia
→ Tod am Straßenrand. Maurice Sachs, der Dandy als Verräter
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