ÜBERSICHT Braune Bande. Neonazis in Niederdeutschland

Banden und ein Anführer, die es gar nicht geben soll – Aus der Statistik gefallene Fälle

Teil 1Nachtgang — 22. Mai 2000 | Geschädigter vor Gericht — 19. September 2000

Teil 2Ausgefallener Fall — 10. November 2000 | Zufällige Zeichen — 2000 | Schändungen — Juli 2000 | Anschein von Entsetzen — 20. Mai 2000

Teil 3Bomber, keine Bomber — 1994/98 | Sturm des »Sky« — 25. Oktober 1996 | Partygäste — 1999/2000

Teil 4»Weisse Brüder« — 19. Mai 1999 | Babymord — 1943/2003

Teil 5Letzte Zuflucht — 10. Mai 1999 | Hausbesuch — Mai 2000 | Verfahren — 30. Mai 2000

Teil 6Im Kuhstall — 14. August 2004 | Schulrebellen — 2003–05

Teil 7Abrechnungen — 10. Juni 2000 | Ohne Anlass — 18. Mai 2000 | Sommersee — 5. Mai 2001

Teil 8Judenhass — 28. Oktober 2000 | Schändlichkeiten — 2002/03

Neonazis in Niederdeutschland (Bild: urian)

Im Kuhstall — 14. August 2004

Abbröckelnde Zementmauern deuten die Koben an, in denen Kühe gestanden hatten. Eine Frau und ein Mann richten Kameras auf die Straße. Sie sammeln Bilder fürs Fernsehen.

Sie sind freie Journalisten. Um eine Geschichte ans Fernsehen zu verkaufen, brauchen sie Bilder, irgendwelche Bilder. Wie gründlich ihre Recherchen sein mögen, ohne Bilder können sie den Ertrag bestenfalls für ein paar Cents an eine Zeitung verhökern. Geld verdient man nur beim Fernsehen, und das will weniger Geschichten als Bilder.

Videos, heimlich und unter Gefahr aufgenommen aus den Fenstern eines Kuhstalls, passen bestens zu einem Beitrag, der vom braunen Mob handelt. Das Fernsehen bildet Neonazismus stets als dieselbe Konfrontation ab: dort die verhetzten glatzköpfigen Schläger, hier die braven empörten Bürger.

Das Fernsehen zeigt nie jene, die beifällig abnicken, was die jungen Kerle schreien; zeigt nicht die Patriarchen, die trotz aller zur Schau getragenen Zerknirschung mit den letzten Überlebenden von Hitlers Henkersknechten befreundet sind. Weil Wirklichkeit im Fernsehen nur als Bild existiert, das die Redakteure bereits im Kopf haben, würde ein schleichender Vormarsch in ihm erst sichtbar werden, wenn es zu spät wäre – wenn sie es nicht mehr würden zeigen dürfen.

Die Kamerafrau wird von den Braunen als »Hetzautorin« geschmäht. Sie ist äußerst hartnäckig und geschickt darin, ihre Umtriebe zu ermitteln und zuletzt auch erfolgreich dabei, sie in die Öffentlichkeit zu bringen.

Zwischen denen, die die Kameradschaften ans Licht zerren, und diesen selbst besteht eine prekäre Symbiose. Die paar Journalisten, die nicht nur fallweise berichten oder überhaupt von Agenturen abschreiben, sondern sich ins Gemenge begeben, balancieren auf einem schmalen Grat zwischen publizistischer Komplizenschaft und erklärter Feindschaft.

Der bloße Bericht kann verfälschend sein, weil seine Aufmerksamkeit das Ereignis vergrößert. Wie wichtig wären die Machenschaften ohne Proteste, ohne Polizeieinsätze, ohne Multiplikatoren? Oft wäre der Bande der Spaß verdorben, wenn niemand hinschaute.

Vor dem Ausguck des Kuhstalls kommen junge Männer und ein oder zwei Frauen einzeln, zu zweit oder in Gruppen vom Parkplatz bei der Sparkasse und verschwinden neben dem griechischen Restaurant hinter einer von Büschen verdeckten Hausecke. Sie schleppen Dosen mit Erbsensuppe, Toastbrot, Ketchup und Senf.

Ausspionieren ist nicht mein Metier. Zufällig hatte ich erfahren, wann das geheime Schulungswochenende abgehalten werden sollte. Ich war mir sicher gewesen, dass sie sich in Bargstedt treffen würden und hatte mir ursprünglich vorgenommen, bei einem Fahrradausflug dort vorbei zu schauen. Stattdessen gerate ich in eine regelrechte Aufklärungsmission und kreuze mit dem Kameramann über die Dörfer, um den zweiten möglichen Treffpunkt in Großenwörden auszuspähen, während die Frau Bargstedt im Auge behält.

Ohne die Voyeure hätte das Treffen einfach nur stattgefunden. »Basisgruppenarbeit« und »Verhalten gegenüber Polizei und Geheimdiensten«, »Versammlungsrecht«, »Presserecht« und »Plakatieren, Fotografieren, Verhalten bei Hausdurchsuchungen« stehen auf dem Stundenplan. Sonderlich verschwörerisch benehmen sich die Teilnehmer nicht, wenn sie im Visier der unsichtbaren Kameras in den Klassenraum spazieren. Polizei oder Geheimdienst sind freilich auch nicht anwesend.

Die drei Gebäude in der Ortsmitte, 1200 Quadratmeter laut Grundbuch, sind → Adolf Dammanns Familienbesitz. Ein Haus war die »Alte Mühle« und wird als Lagerraum für Propagandamaterial genutzt. Im griechischen Restaurant unterhielt Dammanns Vater eine Gastwirtschaft und einen Kolonialwarenladen. Dahinter befindet sich die baufällige frühere Bäckerei, in der ein Kamerad wohnt. Die Versammlungen finden auf dem einstigen Tanzboden statt.

Über die Aktivitäten in Bargstedt gab es stets mehr Gerüchte als Erkenntnisse. Manchmal ging es so hoch her, dass die Presse sich gezwungen fühlte zu berichten. Der Bürgermeister wiegelte ab, die Nachbarn riefen dann und wann die Ordnungskräfte, aber damit hatte es sich. Öffentlichen Protest gab es nie.

Die Nachbarn störten sich vor allem am Lärm, den die jungen Leute machten. Wenn sie sich wie jetzt still und heimlich über Strategien für ihre Machtübernahme beraten, merken die Anwohner es erst, wenn »das Fernsehen« auf ihrem Rasen steht.

»Da fehlten damals Toiletten«, erinnerte sich der Bürgermeister der 2000-Einwohner-Gemeinde an einen Auftrieb 1997. Während des Hamburger Bürgerschaftswahlkampfs dienten die Gebäude in der Ortsmitte als Stützpunkt für Plakataktionen.

Vergessen hat der Bürgermeister, dass eines Nachts eine Gruppe Neonazis mit Knüppeln und einem Gasrevolver Jugendliche verletzten, die eine Telefonzelle vor dem Gebäude benutzen wollten. Die Polizei erschien, durchsuchte das Haus und beschlagnahmte Beile, Messer, Knüppel, Schlagring und Gasrevolver. Am nächsten Tag versammelten sich die Neonazis fahnenschwenkend auf der Straße.

Anwohner berichteten von Ausschreitungen an Silvester 1999/2000. Der Bürgermeister und der für Bargstedt zuständige Direktor der Samtgemeinde Harsefeld sahen keinen Anlass, ordnungsrechtlich gegen Versammlungen vorzugehen.

Im Januar 2001 hielten die Jungen Nationaldemokraten ihren Landeskongress ab. Kurz darauf fanden mehrere »Bildungsseminare« statt. Im Mai 2002 wies der Staatsschutz darauf hin, dass in Bargstedt Kontakte zwischen NPD und Skinhead-Szene geknüpft würden. Im Sommer 2004 beobachteten die Nachbarn »Feierlichkeiten«.

Foto: urian
»NPD-Scheune« in Bargstedt

Schulrebellen — 2003–05

Gerade erst waren Neonazis fahnenschwenkend durchs Brandenburger Tor marschiert und hatten sich zu Tausenden am Grab von Führers Stellvertreter Rudolf Heß versammelt. Sie hatten sich an die Spitze des Protestes gegen die Sozialpolitik der Bundesregierung gesetzt und in Bochum die erste Demo gegen Hartz-IV veranstaltet.

Die 21 Neonazis aus Bremen, Verden, Achim und Himmelpforten, die in Bargstedt zusammenkommen, sind Protagonisten der Schuloffensive, bei der seit Ende 2003 vor Schulen im Elbe-Weser-Raum Propagandamaterial verteilt wurde, vor allem die Schülerzeitung Der Rebell. Als Begleitprogramm zur Überzeugung durch das Wort wurden Jugendliche, die sich ihnen entgegen stellten oder deren Nase ihnen nicht passte, von den »Rebellen« bedroht und überfallen.

Lehrer und Lehrerinnen wurden verhöhnt oder erhielten Morddrohungen. Aufklärungsveranstaltungen mussten sich auf Störmanöver einstellen. Eine Tagung der Lehrer-Gewerkschaft zur Schuloffensive im April 2004 in Verden wurde vom »Bildungseinsatzkommando« gestürmt.

»Eines nicht allzu fernen Jahres«, orakelte das Parteiorgan Deutsche Stimme, würde »den Versagern und Gemeinschaftszerstörern vom Volk die Rechnung präsentiert. Diese Aufrechnung wird gnadenlos sein, denn wer unsere Kinder nicht zu schützen vermag, wird selber keinen Schutz mehr finden.«

In Bargstedt wird auch die Aktion Schulhof beredet, die Verteilung einer kostenlosen Compactdisc mit dem Titel Anpassung ist Feigheit – Lieder aus dem Untergrund. Bands wie Stahlgewitter oder Nordfront sind mit strafrechtlich nicht zu beanstandenden Songs vertreten, die Lust machen auf mehr und Unmissverständlicheres.

Auf der Schulhof-CD singt Noie Werte über Journalisten: »Ich kenne deinen Namen, ich kenne dein Gesicht, / Du bist die Faust nicht wert, die deine Nase bricht, / Das, was du schreibst, hat wirklich immer Hand und Fuß, / Die Wahrheit umdrehen, ist, was du machen musst, was du machen musst. […] Das Spiel geht weiter, und du bist aus ihm raus.«

Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz wissen längst Bescheid, im Internet geht Geraune um. Journalisten, die nachfragen, werden um Stillschweigen gebeten – und halten sich daran. Nur die als »Volksschädling« geächtete Autorin hält nicht den Mund und informiert andere. Die ersten Artikel erscheinen.

Wenige Tage später geht der Innenminister von Sachsen-Anhalt mit seinen Informationen an die Öffentlichkeit. Ein paar weitere Zeitungen wagen zu berichten. Noch eine Woche vergeht, dann gibt der Innenminister von Niedersachsen eine Erklärung ab. Jetzt findet es der Medienführer, die Deutsche Presse Agentur, angezeigt, eine Meldung zu versenden.

Endlich fühlt sich auch die übrige Presse frei zu berichten. Die Neue Osnabrücker Zeitung vermengt die dpa-Meldung mit einem Bericht, den sie zwei Wochen vorher nicht hatte veröffentlichen wollen und selbstverständlich nicht honoriert. Der Spiegel schreibt, das Fernsehen filmt, binnen kurzem steigt die Zahl der Einträge im Internet von einer Handvoll auf Hunderte.

Die erklärte Kalkulation des Verfassungsschutzes war, »keine schlafenden Hunde zu wecken«. Ein Denkmuster mit Tradition. Würde Weggucken helfen, dürfte es die nachgewachsenen Generationen von Neonazis gar nicht geben.

Welchen Erfolg die JN damit hatte, »den Nationalismus in die Schulen zu tragen« ist nicht abzusehen. Von den Schulhöfen ließen sich die »Rebellen« fernhalten – auch von den Köpfen? Bleiben die Schüler gänzlich unberührt von den Parolen? Was Lehrer als krauses Gewäsch abtun, erzeugt vielleicht ein auch noch so vages Echo.

Beeindruckend war offenbar, dass diese jungen Männer und Frauen, die nicht wie typische Schläger aussahen, sondern vor allem wahnsinnig überzeugt taten, überhaupt etwas unternahmen. Die Schuloffensive war ein seit langem erster Versuch, die Schule als politischen Raum zu besetzen. Durch die schlichte Geste des Vor-der-Schultür-Stehens signalisierte das »Bildungseinsatzkommando« den Schülern: Ihr habt politisches Potenzial.

Der Appell trug bei einer allgemein unpolitischen Stimmung kaum unmittelbar Früchte. Aber das Bild bleibt: damals, als ich zur Schule ging, war die einzige Politik in meiner nächsten Nähe die Verteilung einer Schülerzeitung durch »Nationalisten«.

Ein Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Halle, wonach die Schulhof-CD »schwer jugendgefährdend« sei, unterband die geplante Verteilung vor den Sommerferien. Ein Jahr später befand das Amtsgericht Stendal, dass die Neuauflage nicht strafbar sei: allgemein missliebige Äußerungen dürften »mit Blick auf die Grundrechte der Meinungs- und Medienfreiheit nicht zu Sanktionen führen«, die CD enthalte kein rechtsextremistisches Gedankengut.

Am 12. September 2005 wurde sie bundesweit an Schulen verteilt, laut Angaben der NPD in 100 000 Exemplaren an 200 Orten. Zumindest medial war die Aktion ein Erfolg. Alles redete über die Partei, und wer keine CD abbekommen hatte, konnte sie im Internet herunterladen. Die Schulhof-CD erlebte mehrere Neuauflagen und wurde ein Standardwerbemittel der NPD.

Weitgehend unbeachtet von der älteren Generation und von den Massenmedien hat »Rechtsrock« seinen Platz in der Jugendkultur. Im Web verständigt sich die Szene über Angesagtes, musikalische Trends und Kleiderordnungen. Genuin Politisches spielt eine nachrangige Rolle. Die geächtete Musik bietet sich an für ein Selbstbild als »Rebell«, als »Unterdrückter«. Der Konsument kann sich einbilden, zu den »Verfolgten« zu gehören; das Odium des Verbotenen erhöht die Spannung. Via Internet sind die Titel problemlos verfügbar, und die juristische Ahndung ihrer Verbreitung aussichtslos.

Nach den Berichten über das Schulungswochenende in Bargstedt wurde das Baurecht in Stellung gebracht. Eigentümer Dammann wurden Auflagen gemacht und der Öffentlichkeit suggeriert, damit wäre der Spuk vorbei. Medien und »Antifaschisten« verbuchten einen »Erfolg« und meldeten eine angebliche »Schließung«. Dammann erfüllte die Auflagen, und der Betrieb ging weiter, unbeobachtet wie vordem: »Ich kann meine Freunde so oft empfangen wie ich will.«

Quellen und Literatur

SchulrebellenStader Tageblatt 22.9.1997 | U. R. in Neues Deutschland 1.2.2001, blick nach rechts 17/2004, Weser Kurier 2.9.2005 | Rotenburger Rundschau 19.8.2004 | blick nach rechts 1/2003, 8/2004, 23/2005 | die tageszeitung 6.6., 20.8., 14.10.2004 | Nds. Landtag Drucksache 15/1241

TEIL 7

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