Das Ahnenerbe der Großsteingräber
Als die Nomaden sesshaft wurden, entstand mit der Landwirtschaft eine neue Weltordnung. Das Totenhaus war dauerhafter als die Hütte zu Lebzeiten. Die Ruinen des 5600 Jahre alten Ahnenkults stehen noch.
Als einzige Sehenswürdigkeiten werden auf einer beliebigen Touristenkarte für die Elbe-Weser-Region drei Dutzend Findlingsformationen ausgewiesen, Großsteingräber, „Hünengräber“.
Ihre Hochachtung verdankt sich der Speerspitze der Schutzstaffel in Wissenschaft und Kultur, dem Ahnenerbe – wie die „Pyramiden der Unterelbe“ belegen, die auf keiner Karte verzeichnet sind.
Der Übername stammt von denen, die verhinderten, dass sie um 1900 für den Straßenbau zertrümmert wurden. Erst 1936 geriet der Buchenhain mit den „Hünenbetten“ wieder in den Focus durch einen vom Zeitgeist inspirierten Heimatkundler. In den 1980ern wurden die Wegweiser abmontiert, weil sie immerzu mit Hakenkreuzen versehen waren.
Die Verehrung der Steinsetzungen wird beschwiegen und ist so tief verdunkelt, dass sich nicht einmal im Internet Spuren finden, wofür sie herhalten. Denen, die sich dort aufhalten, ist es nur Recht, wenn Touristen ferngehalten werden. (→ Ort mit Aura)
Anders in Verden an der Aller. 4500 Findlinge säumen einen zwei Kilometer langen Parcours um eine Bachsenke. Ein gigantisches Ahnengrab, glaubt der Reisende. So bewarb die „Pferdestadt“ den Sachsenhain als Attraktion neben Dom und Storchenstation. Erst nach der Jahrtausendwende vermerkten die „Tipps für den Gast“: „errichtet 1935“.
Seit 2004 weist eine Tafel am Wegesrand die Urheberschaft aus. Wer sie übersieht im Nebel, der von der „Blutbeeke“ aufsteigt, bleibt unaufgeklärt. Verewigt wird eine Legende, die Hermann Löns in Die rote Beeke ausmalte: wie Karl der Große anno 782 aufständische Sachsen hinrichten ließ. 4500, 450, 170 oder vielleicht keinen; es könnte nur das Knie gebeugt statt der Kopf abgeschlagen worden sein.
Löns verdichtete die nationalistischen Deutungen der „Volkskunde“: Karl als Franke und Franzose gegen Widukind als Germane und Deutscher, Christentum gegen Heidentum.
Das Verdener Stadtmarketing deklarierte das Arrangement um die „Blutwiese“ als Mahnmal für die Opfer des „Sachsenschlächters“ – wie Karl von Heinrich Himmler genannt wurde. Der Sachsenhain ist ein Produkt seines Ahnenerbe. Mit diesem Steckenpferd pflanzte er Lehren ein, die bis heute sprießen.
„ER“ wurde nicht 1935 beschworen und nicht von der Artgemeinschaft, die sich am „Stillen Freitag“ vor Ostern, dem erfundenen Datum der Exekution, auf dem „,Heidenfriedhof“ zum Ahnengedenken versammelt.
„ER“ entstand bei einer Umwidmungsaktion der evangelischen Kirche, die in den für eine „Schulungsstätte“ der SS vorgesehenen Gebäuden einen Jugend-Hof unterhält. Himmlers Hinterlassenschaften heißen bei ihr „Hinkelsteine“.
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Literatur
D. Alsdorf: Hügelgräber, Burgen, Kreuzsteine, Stade 1980 | E. A. Friedrich: Wenn Steine reden könnten III, Hannover 1995 | S. Kuhlmann: Der Streit um Karl den Großen, Widukind und den »Tag von Verden«, Stade 2010 | L. Lühmann: Die Hünenbetten bei Grundoldendorf Kreis Stade, Stader Jahrbuch 1969 | A. Röpke: »Wir erobern die Städte vom Land aus!«, Braunschweig 2005 | U. R. in Hamburger Abendblatt 28.7.1997, Neues Deutschland 11.5.2000, blick nach rechts 12/2000; → Sachsenhain und Ahnenerbe | A. Voß in Heimatkalender für den Landkreis Verden 1996 | W. Wegewitz: Die Gräber der Stein- und Bronzezeit, Hildesheim 1949
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Auszug aus HIMMELREICH HIRN, einem Graphic Essay über die letzten Tage von Heinrich Himmler
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Siehe auch:
→ Himmlers Ende (1)
→ Himmlers Ende (2)
→ Himmlers Ende (3)
→ Himmlers Ende (4)
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→ Himmlers Ende und Nachleben
→ Reise im inneren Reich
→ Himmlers Sterndeuter
→ Der letzte Mordbefehl
→ Ein ehrenwerter SS-Mann
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→ Himmlers Höllenfahrt
→ Tod im Erkerzimmer
→ Das Grab im Wald
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